Als am vorigen Freitag die letzte Ausgabe von "Volles Haus!" lief, schien es, als könne man den Stoßseufzer förmlich spüren, den die Verantwortlichen bei Sat.1 ausstießen. Ohne ein Wort des Abschieds endete ein Kapitel, das wohl als eines der größten Missverständnisse in der bewegten Historie des Privatsenders eingehen dürfte. Es war das Aus einer Sendung, die schon vor dem Start unter keinem guten Stern stand, weil das unerfahrene Team hinter den Kulissen das Großprojekt derart blauäugig angegangen war, dass es schon zum Start im Februar eigentlich nur noch darum ging, den Schaden möglichst in Grenzen zu halten.
Nun, ein halbes Jahr später, ist nicht nur "Volles Haus!" Geschichte, sondern auch die Sat.1-Ära von Daniel Rosemann. Mitte 2021 war er angetreten, um den schon lange kriselnden Sender endlich aus dem Tal zu führen. "Zum 40. Geburtstag möchte ich, dass ein neues Sat.1 mit alter Stärke strahlt", gab er damals die Marschroute aus - und einiges spricht im Rückblick dafür, dass Rosemann diese Aufgabe damals unterschätzt hat. Kaum mehr als zwei Monate vor dem runden Sat.1-Geburtstag ist in Unterföhring an Feierlaune nicht zu denken: Seit Rosemanns Amtsantritt sind die Quoten weiter gesunken, und als sei das nicht schon schlimm genug, musste sich Sat.1 zuletzt mehrfach hinter dem Konkurrenten Vox einreihen, der von der Planlosigkeit des "Bällchensenders" in der Daytime ebenso profitierte wie RTL, wo inzwischen ausgerechnet die frühere Sat.1-Richterin Barbara Salesch für den Turnaround am Nachmittag sorgte.
Daniel Rosemann hat Sat.1 im Gegenzug zwar von Scripted Realitys befreit, konnte zwischen dem erfolgreichen "Frühstücksfernsehen" und dem Beginn der Primetime aber keine bleibenden Impulse setzen. Neben "Volles Haus!" scheiterten diverse Gameshow-Versuche ebenso wie die Rückkehr von Dailytalkerin Britt Hagedorn. Auch die jüngste Herzschmerz-Offensive mit der "Landarztpraxis" sieht noch nicht nach der erhofften Rettung aus. Rosemanns Nachfolger Marc Rasmus wird also einmal mehr die Reset-Taste drücken müssen, um Sat.1 zurück in die Spur zu bringen. Das gilt auch für die Primetime, in der es spürbar an Kontinuität mangelt und unter Rosemann allenfalls Jörg Pilawas "1% Quiz" erfolgreich neu etabliert werden konnte, dessen erste Staffel inzwischen aber auch schon wieder ein halbes Jahr zurückliegt.
Doch auch wenn sich Daniel Rosemann mit Sat.1 gehörig verschätzt hat: Geschätzt wird er in der Branche trotzdem - denn zu seiner 15-jährigen Bilanz in Unterföhring gehört eben nicht nur Sat.1, sondern auch ProSieben. In seiner Zeit als Unterhaltungschef und seit 2016 auch als Senderchef hat er dort bis heute bleibende Impulse gesetzt, die nach dem überraschenden TV-Rückzug von Stefan Raab bitter nötig waren. Dank frischer Ideen half Rosemann dem Sender schnell aus der Sinnkrise und überzeugte damit nicht nur Kritikerinnen und Kritiker, sondern auch das Publikum, dessen Einschaltverhalten er tagtäglich fast schon wie ein Mathematiker in all seinen Einzelheiten analysierte.
Tatsächlich war Rosemanns Näschen für Hits über weite Strecken hinweg bemerkenswert: Mit "The Masked Singer" holte er einen der größten Show-Neustarts der zurückliegenden Jahre nach Deutschland und nahm mit "Wer stiehlt mir die Show?" sowie "Joko & Klaas gegen ProSieben" echte Unterhaltungs-Innovationen ins Programm, gewann mit all diesen Sendungen wie auch "Die beste Show der Welt" Deutsche Fernsehpreise in Serie. Ganz nebenbei stellte er mit dem im November 2021 sehr überraschend ins Programm gehieften Comeback von "TV total" unter Beweis, dass Comedy in der Primetime noch immer massentauglich sein kann.
Zu seiner Bilanz gehört aber auch die Tatsache, dass der Innovationsmotor bei ProSieben in jedem Moment ins Stottern geriet, als Rosemann seine Energie zusätzlich bei Sat.1 investieren musste, auch wenn er nach wie vor mutig blieb. Mit dem Versuch, mit "Zervakis & Opdenhövel. Live" ein wöchentliches Magazin prominent zu etablieren, wollte der leidenschaftliche Fernsehmacher endgültig den Beweis dafür liefern, dass ProSieben nicht nur unterhaltsam, sondern auch relevant sein kann. Ein Projekt, das Hand in Hand gehen sollte mit der Absicht, wieder Informationskompetenz im eigenen Haus aufzubauen und damit den Fehler des früheren ProSiebenSat.1-Managaments, den Nachrichtensender N24 zu verkaufen, auszugleichen. Vom Publikum wird die Sendung allerdings auch nach zwei Jahren verschmäht und es darf bezweifelt werden, ob "ZOL" nach Rosemanns Rückzug noch genügend Fürsprecher in Unterföhring haben wird, um einen dauerhaften Verbleib im Programm zu rechtfertigen.
Dabei täte auch sein ProSieben-Nachfolger Hannes Hiller gut daran, den Informationsbereich nicht zu vernachlässigen. Im Zusammenspiel mit Joko und Klaas war es in den zurückliegenden Jahren nicht nur möglich, Themen wie sexuelle Belästigung oder die Frauenbewegung im Iran zur besten Sendezeit zu thematisieren, sondern auch eine achtstündige Pflege-Doku zu senden, die bei den Zuschauerinnen und Zuschauern ebenso Beachtung fand wie in der Politik. Daneben konnte sich auch Thilo Mischke in der Primetime regelmäßig frei von Quotendruck gesellschaftspolitischen Themen wie Rechtsextremismus oder dem IS-Terror widmen.
Welch großes Anliegen es ihm war, auch solche Farben ins ProSieben-Programm zu bringen, machte Daniel Rosemann erst kürzlich deutlich, als er im Vorfeld der Fernsehpreis-Verleihung einen flammenden Appell an die Branche richtete, der heute, nur drei Wochen später, fast schon wie eine vorzeitige Abschiedsrede wirkt. "Wir können Menschen eine Stimme und viel Reichweite geben, die sonst nicht gehört werden", sagte er damals und forderte: "Lasst Menschen auf unseren Sendern zu Wort kommen, die einen Unterschied machen." Das ist ein Vermächtnis von Rosemann, das nachhaltiger in Erinnerung bleiben darf als seine Glücklosigkeit bei Sat.1. Bleibt zu hoffen, dass sich die künftigen Chefs von ProSieben und Sat.1 ein Beispiel daran nehmen werden.