Was sich doch alles so aufstauen lässt: Wasser und Wut, Information und Leid, gesellschaftliches und persönliches Handeln, Fühlen, Denken und natürlich Autos, Autos, Autos – ziemlich kompakt verdichtet in, vor, hinter, neben all jenen, denen das Fachreferat der Springer-Presse ein ebenso schlaues wie verächtliches Stigma verpasst: Klima-Kleber. Seit Anfang 2022 geistern sie ganz real durch unsere „Empörungsdemokratie“, wie sie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in „Die große Gereiztheit“ beschreibt.
Jetzt werden – endlich – auch fiktional orangene Warnwesten übergestreift. Und wenn die spielfilmkurze, debattenlange Web-Serie heute Abend auch bei ZDFneo zu sehen ist, trägt sie die Umschreibung ausgebremster Entfaltung aller Beteiligten sogar im Titel: „Aufgestaut“. Aufgestaut hat sich ja nicht nur ein wachsender Strom verschiedenster Fahrzeuge, denen vier Mitglieder der Letzten Generation die freie Fahrt durch München verwehren, Aufgestaut hat sich auch der Abneigung dagegen. Doch der Reihe nach.
Drei Stunden, bevor der Blockade-Rookie Finn (Adrian Grünewald) vom nächsten Asphalt getragen wird, trifft er sich mit der routinierten Lena (Valerie Stoll), um die verkehrsinfarktbedrohte Landeshauptstadt unter Anleitung des polizeibekannten Anatol (Valentino Dalle Mura) zu blockieren. Ein paar Minuten später also haften sie mit zwei weiteren, eher schweigsamen LG-Aktivisten auf einer Kreuzung und sorgen dafür, dass der Kollaps entlädt, was sich zuvor offenbar in den Menschen hinter den Lenkrädern aufgestaut hatte.
So erleben es deutsche Metropolen schließlich andauernd, seit die vermeintlich Letzte Generation das Konzept der britischen NGO importierte. Was ihre Bevölkerungen weit seltener erleben: Wer genau da eigentlich das Gesetz in die klebrigen Hände nimmt und wer genau darunter zu leiden hat. Das wollen Zarah Schrade und Matthias Thönnissen, die in der ZDFneo-Serie „Schlafschafe“ schon einmal gemeinsam Wut und Wirkung sozialer Brüche seziert haben, nach eigenem Drehbuch beantworten.
Entstanden sind daraus sechs Kapitel von einer Wahrhaftigkeit, auf die das umstrittene Thema lange warten musste. Ohne den drolligen Witz der wesensverwandten Vox-Serie „Mirella Schulze rettet die Welt“, aber keinesfalls humorlos, wühlt sich „Aufgestaut“ rund 15 Minuten pro Folge durch die Gemütslagen aller Betroffenen und lädt uns den zwei Kreativen zufolge dazu ein, „Perspektiven der verschiedenen Stellvertreterinnen und Stellvertreter in der Diskussion einzunehmen“. Schwieriges Unterfangen. Mission accomplished.
Nachdem das Quartett Platz genommen hat und auf die Polizei wartet, treten zwei Facetten der Betroffenheit ins Rampenlicht, die das Spektrum der Objekte perfekt personifizieren: Paketbote Lew (Nicolas Garin) hat eben noch den Glückwunsch seiner Sprachassistentin erhalten, „dein Zeitguthaben beträgt drei Minuten“, da macht es ihm die Klimademo zunichte. Doch als er sie mehr verzweifelt als wütend um freie Durchfahrt anfleht, rauscht ein Porschefahrer dazwischen und kontert Finns Forderung nach Tempo 100 gehässig mit „genau, was wir brauchen: Noch mehr Regeln, damit keiner mehr atmen kann“.
So dialektisch rasselt das realfiktionale Straßentheater in sechs Akten, die von der Cellistin Ava (Nadja Saberski) über Einsatzleiter Wuttke (Daniel Donskoy) bis zur hochschwangeren Zeynep (Miriam Ohlmeyer) je ein Blockade-Opfer (aus LG-Sicht also: Täter) im Titel tragen, krachend ineinander: Deutschlands soziokulturelle Frontverläufe zwischen rechts und links, oben und unten, Bauch und Kopf, Wissen und Raunen. Nur, dass Schrade und Thönnissen die Gräben flugs wieder zuschütten.
Bis auf Carpendales irritierend glaubhaften Sportwagensnob, der Mitgefühl einfordert, aber zum eigenen unfähig ist, kriegen schließlich fast alle Figuren die Chance, ihr Verhalten im Licht anderer zu reflektieren. Bestes Beispiel: Finns Opa. Ein Volljurist, den Daniel Friedrich so virtuos zwischen Arroganz und Einsicht schlingern lässt, dass selbst sein elitärer Umgang mit dem schwarzen Kiosk-Hiwi authentisch wirkt. Wobei uns Paul (Ben Andrews Rumler) ganz nebenbei erklären darf, warum vier Weiße auf der Straße kleben und keiner seinesgleichen.
Dass alles zum Ende hin arg telegen eskaliert und Finn natürlich (Stichwort: Wasserstau) Blasenprobleme kriegt, dass der angespannte Anfänger dabei ein wenig fehlerfrei agitiert und die 68erin Margot (Franziska Walser) ein bisschen altlinks, dass die produzierende Tellux Film zwar ständig schleichwerbewirksam Automarken ins Bild rückt, aber das „Handelsblatt“ zur „Handelswelt“ machen muss: geschenkt! Hinterm Horizont öffentlich-rechtlicher Formatzwänge entfaltet sich ein Regenbogen authentischer Konflikte, der vom ersten Moment dieser federleichten Problemserie an spürbar wird.
„Einigermaßen geschlafen?“, fragt Finn, als er vorm Einsatz nervös auf Anatol wartet. „Ich weiß nicht, ob Smalltalk das der richtige ist für den Moment“, antwortet Lena ebenso angespannt, worauf Finn „das hat mich wirklich interessiert“ sagt und „ist es dann auch Smalltalk?“ fragt. Ist es nicht. Es ist Einfühlungsvermögen und Tiefenrecherche, Storytelling und Polittainment in Höchstform. Vielleicht sollte man all dies bei Aktionen der Letzten Generation auf Großbildleinwand zeigen. Das könnte helfen, den Stau aus Wasser und Wut, Information und Leid, gesellschaftlichem und persönlichem Handeln, Fühlen, Denken und natürlich Autos, Autos, Autos entspannter aufzulösen.
Alle Folgen von "Aufgestaut" stehen in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit. ZDFneo zeigt sie am Mittwochabend ab 23:10 Uhr in einem Rutsch.