Weihnachten im Jahr 1996. Vor einem reichlich geschmückten Baum steht ein kleiner Junge, dessen Vater gerade mit ihm spricht. Er wünsche ihm, dass er reich wird, sagt der bullige Mann mit der Halbglatze. Er hoffe, dass er ihn irgendwann ernähren könne und in der Serie A spiele. "Der beste Fußballer der Europas" solle er werden. Und der Vater geht sogar noch weiter: Er verspricht dem kleinen Jungen, dass alles so kommen wird, wenn er weiter so viel trainiere wie bislang. 

Es ist ein ziemlich gewaltiger Einstieg in die neue Prime-Video-Doku "Lewandowski - The Unknown", den die Macherinnen und Macher von Papaya Films gewählt haben. Der kleine Junge heißt Robert Lewandowski und wird später tatsächlich mal einer der besten Fußballer Europas bzw. der Welt - nur das weiß zu diesem Zeitpunkt am 24. Dezember 1996 noch niemand. Robert Lewandowski war da gerade mal 8 Jahre alt. Die privaten Videoaufnahmen zeigen aber schon sehr gut, wie früh der spätere BVB- und Bayern-Spieler auf den Fußball fokussiert war. 

Die Verantwortlichen von Papaya Films dürfen und müssen sich bedanken bei den Eltern von Robert Lewandowski, die in den 90er Jahren anscheinend ein Faible dafür hatten, ihre Kinder mit der Videokamera zu filmen. So können in der neuen Doku nun viele Ausschnitte aus der damaligen Zeit gezeigt werden. Man sieht Robert Lewandowski Videospiele spielen, beim Planschen im Pool und bei Fußballspielen mit Gegnern, die nicht nur älter, sondern auch körperlich viel weiter waren als er. 

Hinzu kommen nicht nur die Stimmen von ehemaligen Weggefährten und Experten wie Jürgen Klopp, Mats Hummels, Hansi Flick, Thomas Müller und einigen weiteren Personen aus dem Umfeld von Dortmund und Bayern. Zu Wort kommen auch Lewandowskis Mutter, seine Schwester, Freunde und ein Sport-Psychologe. Diese Melange hilft dabei, dass die Prime-Video-Doku eine gewisse Tiefe entwickelt. Wo andere Sport(ler)-Dokus nur an der Oberfläche kratzen, geht der Film über Lewandowski darunter. 

Oder um es anders zu formulieren: Die Filmemacherinnen und Filmemacher haben sich nicht damit begnügt, Lewandowski in die Umkleidekabine zu folgen und ihm ein paar Fußball-Fragen zu stellen. Und so macht die Doku ihrem Titel auch alle Ehre. In "Lewandowski - The Unknown" erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer vieles, was bislang nicht bekannt war über einen Fußballspieler, über den man schon alles zu wissen glaubte, weil er so präsent in den Medien war und ist. 

So erfährt man, dass Lewandowski zwar früh angefangen hat mit dem Fußball, es aufgrund seiner körperlichen Situation nicht immer leicht hatte. Der heute kräftige Stürmer war damals ein kleiner, zarter Junge. Dadurch hatte er nicht nur Nachteile auf dem Platz, sondern musste sich auch von gleichaltrigen Jungs immer wieder Häme gefallen lassen. Wenig Mut und Selbstsicherheit habe er damals gehabt, sagt Lewandowski. 

Doku spart nicht an schwierigen Themen

Auch seine Zeit in Deutschland wird in der Doku ausgiebig beleuchtet. Von seinem schweren Start in Dortmund, wo er neben dem Fußball auch versucht hat, eine neue Heimat mit seiner Lebensgefährtin aufzubauen. Bis hin zu ersten Erfolgen und seinem Wechsel zu Bayern München, den ihm bis heute noch einige BVB-Fans übel nehmen. Bei den Bayern legte er dann aber so richtig los. Hier erzählt die Doku die Geschichte eines Getriebenen, der nur ein Ziel verfolgt: Den Gewinn der Champions League. 

Immer wieder holen die Macherinnen und Macher die Zuschauenden aber raus aus der lauten Fußball-Welt. Etwa indem sie die Geschichte von Lewandowskis Vater erzählen. Also dem Mann, der seinem Sohn an Weihnachten 1996 so liebevoll und selbstironisch zugesprochen hatte. Als Lewandowski über den frühen Tod seines Vaters erzählt, kommen ihm die Tränen - es ist eine der stärksten Szenen der Doku. Aber in der Folge versteht man auch besser, wieso er in Dortmund irgendwann nach einem Gespräch mit Jürgen Klopp aufdrehte. Lewandowski sah in dem Trainer eine Art Vaterersatz.

Auch andere, schwierige Themen spart die Doku nicht aus. So geht es auch um eine Hasswelle, die Lewandowski über sich ergehen hat lassen müssen, als die polnische Nationalmannschaft nicht so abgeschnitten hat, wie das die Fans gehofft hatten. Thema ist auch eine Fehlgeburt, die Lewandowskis Frau erlitten hat. Inzwischen sind sie Eltern von zwei Töchtern und in der Doku wird deutlich, wie das auch seine Sicht auf den Fußball verändert hat. 

Die Wartezeit hat sich gelohnt

Und zwischendurch gibt es natürlich auch immer viele Tore: Da 4 gegen Real Madrid, dort 5 innerhalb weniger Minuten gegen den VfL Wolfsburg. Und dann wäre da natürlich auch noch der ewige Bundesliga-Torrekord von Gerd Müller, den Lewandowski in der Saison 2020/21 übertraf. Beim Blick auf die Karriere des Polen springen die Filmemacherinnen und Filmemacher auch immer wieder: Da wird gezeigt, wie sein damaliger Verein in Warschau den Vertrag nach einer Verletzung nicht verlängern wollte und Lewandowskis Mutter um die Zukunft ihres Sohnes kämpfte - und im nächsten Moment steht er schon vor seinem vorläufigen Karrierehöhepunkt, dem Champions-League-Halbfinale 2013, in dem er alle seine Kritiker Lügen strafte. 

Insgesamt ist "Lewandowski - The Unknown" eine starke Doku, weil sie den Fußballer Lewandowski mit dem Menschen Lewandowski verbindet. Der Film gibt einen tiefen Einblick in das Leben eines der besten Fußballspielers der Welt und nie vermittelt sich dabei der Eindruck, hier würde man der PR-Nummer eines Menschen aufsitzen, der in einer Branche arbeitet, in der die Kommunikation nach außen hin sonst oft sehr streng geregelt ist. Da ist es dann auch zu verschmerzen, dass Prime Video die Doku eigentlich schon für 2022 angekündigt hatte. Wenn die Wartezeit dafür gesorgt hat, dass die Doku letztlich so geworden ist, wie sie geworden ist, dann ist das eine gute Nachricht für alle. 

"Lewandowski - The Unknown" ist ab sofort bei Prime Video zu sehen.