Licht ist nicht nur, aber gerade in Film und Serien besonders bedeutungsvoll. Licht macht das Unsichtbare erst sichtbar und das Sichtbare noch sichtbarer. Licht verändert Stimmungen oder erzeugt sie sogar. Licht ist demnach mehr als ihr messbarer Strom in Lux und Lumen, irgendwie aber irgendwie auch nichts komplett anderes. Weshalb Kerzen ihre unmittelbare Umgebung zwar vierzigmal weniger erhellen als 40-Watt-Birnen, aber viermal mehr als der Vollmond.
Soweit ein physikalisches Gesetz, das Film und Serien jedoch nur selten tangiert. Dort beleuchtet unser Erdtrabant noch den finstersten Wald so grell, dass selbst filigrane Bastelarbeiten machbar sind oder wie in der Gruselkomödienserie mit dem socktfinsteren Titel "Kohlrabenschwarz": die Suche nach einer dunklen Hütte, hinter der gleißendes Mondlicht den Bodennebel illuminiert wie Flutlichtmasten Fußballstadien. So geht es (nicht nur, aber mit Vorliebe) hierzulande zu im Mystery-Fach. Und bedrohlich drängeln sich unheilschwangere Geigen dazu durchs Unterholz…
Alles Effekt, alles Funktion, alles Optik also im heiter bis gruseligen Sechsteiler von Tommy Krappweis (Buch) und Erik Haffner (Regie), die für ProSieben einst Grimms "Märchenstunde" verballhornt hatten und sich jetzt an alpine Volkssagen wagen? Nicht so ganz! Denn klar – wenn Paramount+ das privatfernsehgeschulte Publikum in Deutschland surreal unterhält, pardon: entertaint, funkeln die Klischees und Stereotypen noch heller als Petroleumfunzeln im Kellerverlies.
Die beiden Erfinder von "Bernd, das Brot" allerdings schaffen es buchstäblich auf gespenstische Art und Weise, ihrem Fantasy-Stoff abseits ausgetretener Genrepfade eine Form von Wirklichkeit einzuhauchen, die sich auch in den "Legenden, Märchen und Mythen aus dem bayerischen Hinterland" finden. So heißt ein speckiges Buch, das dem Polizeipsychologen Stefan Schwab (Michael Kessler) beim Versuch in die Hände fällt, mit der Rosenheimer Kripo verschwundene Teenager aufzuspüren.
Während der jähzornige Dezernatsleiter Kroiss (Axel Milberg) seiner Belegschaft angesichts zahlungskräftiger Messe- und Feriengäste vor Ort rasche, aber geräuschlose Ermittlungsergebnisse abverlangt, wecken die Umstände der Entführungen den Cop im Psychologen Schwab. An der Seite seiner Ex Susanne (Bettina Zimmermann), ihres Neuen Peter (Franz Hartl) und Kommissarin Leitner (Bettina Lamprecht), sucht der Seelenexperte nach Opfern und findet Täter aus der angesprochenen Sammlung regionaler Legenden, Märchen, Mythen.
Und die gehen oft so blutig zu Werke, dass "Kohlrabenschwarz" bisweilen haarscharf am Splatter vorbeischrammt. Mit praktisch identischem Personal (in dem nur Jürgen Tonkel vom schlagkräftigen Pastor Ketnath zur schlichten Polizeibeamtenseele Falbner wird) macht Krappweis sein gleichnamiges Audible-Hörspiel demnach zur bildgewaltigen Mischung aus Komödienstadl und Gothic-Horror, in der die Lebenden drollige Autos fahren, dazu drollige Gesichter machen und stets dann von einer drolligen Maultrommel begleitet werden, wenn auch die Pointen drollig sein sollen.
Atmosphärisch ungefähr zwischen "Brothers Grimm" und "Wer früher stirbt ist länger tot" sorgt die dramaturgische Mischung aus "Struwwelpeter" und "Der Pass" somit für Grenzgänge verschiedener Genres, die hierzulande selten gelingen – siehe "Der Greif", wo Amazon Prime zuletzt Fantasy mit Coming-of-Age kombinieren wollte, aber im sehr deutschen Sumpf berechenbarer Schockeffekte steckblieb. Wie trittsicher ihn "Kohlrabenschwarz" hingegen umkurvt, liegt dabei vor allem am mutigen Casting.
Vor allem Michael Kessler und seine buchstäblich fabelhafte Schauspielkollegin Bettina Lamprecht sorgen mit ihrer Gabe zur Banalität des Abnormalen dafür, dass die Scherze selten ins Zotige abgleiten und der Aberwitz realer Märchenmonster damit weniger jenseitig wirkt. Dank ihrer Authentizität stört Axel Milbergs Edgar-Wallace-Getue ebenso wenig wie gelegentliches Grimassieren zur selbstverliebten Mundartkomik oder Service-Fiktion der Art wörtlich wiederholter Sätze vom anderen Ende der Telefonleitung. Den Rest erledigt Tommy Krappweis‘ Drehbuch, das selbst Teenager wie Teenager reden, nicht ihre Boomer-Fiktionen.
Gescriptete Running-Gags wie Schwabs Frage, was sein Nebenbuhler Hartl denn für ein Pfarrer sei, wenn er Riesencolts ("a vorsichtiger") oder Taschenlampen ("a vorbereiteter") zückt, sind da genauso stichhaltig wie inszenatorische, etwa das investigative Brainstorming auf einem verwitterten Minigolfplatz. Der Versuch, bundesdeutsches Serienentertainment auf Deutsch zu machen, ohne Deutsch zu wirken, mag also bisweilen überambitioniert sein, reicht allerdings näher denn je an "Kreutzer kommt" heran.
Mit Christoph Maria Herbst als soziophobe Polizeiversion von "Dr. House" hatte ProSieben vor 2010 hiesige Sehgewohnheiten bewusst herausgefordert, letztlich aber doch überfordert. Von daher bleibt abzuwarten, ob "Kohlrabenschwarz" erfolgreich zwischen den Genres vermittelt oder doch wieder so reichweitenschwach bleibt, dass Regie und Drehbuch auch im Streaming künftig lieber wieder auf Konventionelles setzen. Was überaus beklagenswert wäre. Denn wenn Serien wie diese jetzt noch ihr Kunstlicht dimmen, kann daraus richtig gutes Fernsehen werden.
"Kohlrabenschwarz" steht ab sofort bei Paramount+ zum Abruf bereit.