Nach einer gefühlten und tatsächlichen Ewigkeit wurden vor wenigen Wochen von der österreichischen Bundesregierung die Eckpunkt der geplanten ORF-Reform vorgestellt. Das, was die Politik da präsentiert hat, ist aber allenfalls ein Meilenstein im überschaubaren österreichischen Markt. Bislang war es nämlich tatsächlich noch so, dass der öffentlich-rechtliche ORF seine Inhalte online nach sieben Tagen depublizieren musste. Diese anachronistische Einschränkung soll künftig wegfallen. Außerdem soll es dem ORF künftig erlaubt sein, Online-Only-Inhalte zu produzieren und einen digitalen Kinderkanal zu betreiben (DWDL.de berichtete).
Das alles sind Dinge, die andere öffentlich-rechtliche Anstalten in Europa längst dürfen - und die in diesen Ländern, einschließlich Deutschland, nicht zum Zusammenbruch der Print-Landschaft geführt haben. Der ORF muss dafür in Österreich auf seiner Nachrichtenwebseite ORF.at, der erfolgreichsten des ganzen Landes, Abstriche machen. So soll der ORF künftig nur noch 350 Texte pro Woche veröffentlichen dürfen, damit fallen wohl rund zwei Drittel der bisherigen Artikel weg. Auch der Anteil der Videobeiträge soll deutlich steigen, geplant ist ein Verhältnis von 70:30 (Video:Text).
Auch in Deutschland gab und gibt es immer wieder Debatten um einzelne Sendungen und Genres bei ARD und ZDF, so plump wie der VÖZ in Österreich hat aber noch kein Verband hierzulande versucht, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kaputt zu machen - zumindest nicht in den vergangenen Jahren. Überhaupt fahren die österreichischen Verlegerinnen und Verleger eine schizophrene Strategie. So wollen sie offenkundig, dass der ORF nicht das dürfen soll, was ARD und ZDF in Deutschland längst gestattet ist. Andererseits fordern sie eine paritätisch besetzte Schlichtungsstelle aus Mitgliedern der Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverbände und dem ORF-Direktorium, die darüber wachen soll, dass die Texte auf ORF.at tatsächlich nur noch 300 Zeichen lang sind - "nach dem Vorbild Deutschlands", wie es vom Verband heißt. Dass diese Schlichtungsstelle in Deutschland de facto längst gescheitert ist und sich Zeitungsverleger im ganzen Land mit ARD-Anstalten über deren angeblich zu presseähnlichen Online-Auftritte streiten, ist offensichtlich noch nicht bis nach Österreich durchgedrungen. Erst Anfang Mai hatten die Kollegen von "Medieninsider" darüber berichtet.
ORF spottet, Ministerium widerspricht
Und der Verlegerverband? Der tut jetzt so, als habe es diese Gespräche und Verhandlungen nie gegeben. "Weder der VÖZ noch einer seiner Vertreter waren in ernsthafte Verhandlungen eingebunden", sagt VÖZ-Präsident und Styria-Vorstandsvorsitzender Markus Mair. "Der Prozess war von Geheimniskrämerei mit spärlichen und selektiven Informationshäppchen gekennzeichnet. Faire und offene Verhandlungen mit den betroffenen Stakeholdern sehen definitiv anders aus." Wäre das tatsächlich so gewesen, wäre es für den VÖZ doch ein Leichtes gewesen, vor der Vorstellung der geplanten ORF-Reform Alarm zu schlagen und auf die angebliche Ungerechtigkeit hinzuweisen. Und zu erklären, dass man gar nicht so sehr in die Verhandlungen eingebunden war, wie es lange geschrieben wurde. Nun macht es den Eindruck, als würden beim VÖZ bockige Kinder das Sagen haben, die den ORF nur deshalb einschränken wollen, weil sie in den vergangenen Jahren ihre eigenen Unzulänglichkeiten häufig unter Beweis gestellt haben.
Würden der VÖZ und seine Mitglieder nur halb so viel Energie in die Entwicklung der eigenen Angebote stecken wie in die Bekämpfung einer ORF-Reform, die für österreichische Verhältnisse vielleicht wegweisend ist, aber darüber hinaus höchstens als Reförmchen wahrgenommen wird, wären sie vielleicht schon weiter in der Etablierung ihrer digitalen Pay-Modelle. Gefühlt führen die Zeitungsverlegerinnen und Zeitungsverleger eine Debatte, die es bis vor vielen Jahren auch in Deutschland gegeben hat. Nur: Keine einzige Beschränkung oder Beschneidung des ORF macht das Angebot der Zeitungen besser. Dafür müssen sie schon selbst sorgen.
Was die Zeitungen von den Privatsendern lernen können
Vielleicht wäre es mal angebracht, sich endlich ehrlich zu machen, vor der eigenen Haustür zu kehren und sich zu fragen: Was haben wir in den vergangenen Jahren eigentlich alles verpennt und falsch gemacht? Wo können wir besser werden? Stattdessen wirft man sich wie ein Kind auf den Boden und hofft, dass dadurch alle Probleme gelöst werden. Natürlich soll der ORF den privaten Medienanbietern noch Platz lassen zum Atmen und ihnen nicht unnötig und auf unfaire Art und Weise das Wasser abgraben. Aber nun so zu tun, als wären die wenigen neuen Digital-Freiheiten für den ORF Teufelswerk, durch die reihenweise Zeitungen sterben würden, lässt doch eher auf Seiten der Verleger tief blicken.
Wie man es besser macht, zeigen dem VÖZ ausgerechnet die österreichischen Privatsender. Auch die lagen mit dem ORF jahrelang im Clinch und beharkten sich öffentlich mit dem langjährigen Generaldirektor Alexander Wrabetz. Irgendwann setzte bei den Sendern aber die Erkenntnis ein, dass ewiges Lamentieren auch nichts bringt. Und so kam man vom Jammern ins Tun: Mit Joyn Österreich startete vor wenigen Tagen eine senderübergreifende Streaming-Plattform, ein Paradebeispiel der Kooperation von privaten Medien und Öffentlich-Rechtlichen. Und auch wenn die Privatsender, und insbesondere ihr Lobbyverband, Kritik haben an der geplanten ORF-Reform, bezieht sich das von den wichtigsten Vertretern im Wesentlichen auf einige bestimmte Punkte im Bereich der Werbung. Von den plumpen General-Angriffen à la VÖZ hat man sich längst verabschiedet.