Wenn Bernd Stromberg, nur ein Gedankenspiel, vor seinem Job als völlig inkompetenter, von sich selbst sehr überzeugter Abteilungsleiter der Capitol-Versicherung, unter Pseudonym ein Studium in Weimar begonnen und sich dabei von Dokumentarfilmern begleiten lassen hätte – was wäre er wohl für ein Typ gewesen? Nach eingehender MDR-Recherche macht die ARD-Mediathek folgenden Vorschlag: ungefähr so wie Lennart Schowiak.

Der Fantasie-Westfale aus dem Fantasiekaff Branecke studiert das reale Fach einer realen Universitätsstadt, wo alles echt und zugleich erfunden ist. "Mockumentary" nennt sich dieses fiktionale Prinzip einer vorgetäuschten Wirklichkeit, das aktuell Bildschirme füllt wie sonst nur Kanzlei- und Klinikserien. Neueste Ausgeburt: "Irgendwas mit Medien", gebräuchliches Karriere(ver)planungssynonym für die ehrgeizige Arbeitsverweigerung im Hamsterrad der Multioptionsgesellschaft.

Irgendwas mit Medien studiert also auch der selbsterklärte Überflieger Lennart Schowiak, dessen sprechender Nachname noch Bedeutung erlangt. Warum genau ein Kamerateam dabei ist, wenn der 19-jährige Abiturient aus einem Kinderzimmer voller Pokale und Urkunden ins ebenso provinzielle Weimar zieht, wird zwar nicht weiter vertieft. Aber wenn Regisseur Mirko Muhshoff nach eigenem Drehbuch im Kleinwagen nach Thüringen steigt, liefert die fingierte Dokumentation Einblicke in den Abgrund bundesdeutscher Alltäglichkeiten, die ebenso erhellend wie schmerzhaft sind. Mockumentarys eben…

Prokrastinierender Platzhirsch vs. hyperventilierenden Frischling

Oder wer hat Lennarts Altersversion "Stromberg" ohne Betäubungsmittel und Galgenhumor ertragen? Eben! Gemeinsam mit Co-Showrunner Jano Kaltenbach als Langzeitstudent Simon kreiert Muhshoff eine Milieustudie, die viel zu absurd ist, um wahr zu sein, aber schon deshalb glaubhaft wird, weil beide damit ein Stück ihrer Biografien als Medienkunst-Studenten in Weimar aufarbeiten. Bleibt nur zu hoffen, dass Lennart und Simon trotzdem Übertreibungen sind, am besten heillose.

Denn während ersterer mit einer öligen Mischung aus frühvergreister Selbstüberschätzung, rückgratloser Untertänigkeit und paternalistischer Randgruppenabscheu am laufenden Meter intolerante Dad-Jokes abfeuert, wäre letzterer für schon dafür viel zu faul. Das Erstsemester Lennart leidet demnach am Dunning-Kruger-Effekt, der ihm jede seiner Haltungen oder Handlungen als bestmögliche vorgaukelt. Der Langzeitstudent Simon hält es hingegen mit der Inokulationstheorie, wonach Veränderungen aller Art nur Ärger machen.

Kein Wunder, dass sich der prokrastinierende Platzhirsch vom Anbiederungseifer des hyperventilierenden Frischlings eher abgestoßen als angezogen fühlt. Und so erleben wir zwei Pole der deutschen Bildungsmisere achtmal 25 Minuten dabei, wie sie gemeinsam einsam um sich kreisen, dass von Zigeunerschnitzel über Blackfacing bis Homophobie die Peinlichkeiten nur so purzeln – zum Leidwesen Außenstehender wie Lennarts Schulliebe Inga (Målin Uschkureit) oder dem Textil-Professor Maulhardt (Dominique Horwitz).

Pseudoreportagen aus dem finsteren Herz der Normalität

Mit der Uni erobert das Mockumentary-Metier nach Start-ups ("Operation Naked"), Kleinstadt ("Normaloland"), Theater ("Ladybitch"), Supermarkt ("Die Discounter"), Schule ("Almania") folglich das nächste Schlachtfeld (spieß)bürgerlicher Mikrokosmen und entfernt sich damit ein Stück weiter vom ursprünglichen. Schon 1970 zeigte Tom Toelles "Millionenspiel" ja eindrucksvoll, welchen Sog eine Inszenierung haben kann, die der Realität nicht nur ähnelt, sondern nacheifert.

Wie drei Jahre später in Wolfgang Petersens Katastrophenszenario "Smog", beschwerten sich damals Hunderte Zuschauer beim WDR, warum der (berühmte) Dieter Thomas Heck den (unbekannten) Dieter Hallervorden durch eine Gameshow mit potenziell tödlichem Ausgang hetzen könne. Obwohl Fake-Dokus seit der Beatles-Flucht "A Heard Day’s Night" 1964 zum guten Unterhaltungston zählten, war jene von Wolfgang Menge so authentisch, dass sie zur Blaupause späterer Variationen diente. Vom belgischen Gewaltporno "Mann beißt Hund" bis zum Found-Footage-Horror "Blair Witch Project" haben sie dem Sujet fortan dreierlei ermöglicht: Enthemmte Brutalität durch den Anstrich vermeintlicher Wahrhaftigkeit plausibler, also glaubhafter und nebenbei billiger zu machen.

Schließlich waren schlichte Kulissen, schlingerndes Bild und schlechter Ton Ausdruck ästhetischer Standards, die den Bruch der Zivilisation noch einleuchtender machen. Seit "The Office" den Horror britischer Büros vor 22 Jahren zum Welterfolg inklusive 13 Spin-Offs bis nach Saudi-Arabien machte, hat sich das Genre vom Bruch der Zivilisation allerdings in Richtung ihrer Überzeichnung erweitert. Seither läuft der Bildschirm auch hierzulande schier über vor Pseudoreportagen aus dem finsteren Herz der Normalität.

Dort also, wo Mirko Muhshoff und Jano Kaltenbach eigenhändig Charaktere simulieren, die es in Weimar genauso geben dürfte wie in Wuppertal und Wien. Hochnotpeinliche, allenfalls unfreiwillig komische Jugendspießer à la Oliver Pocher, von denen einer auf seiner Wettcouch festklebt, ein anderer nicht mehr nu(h)r im Ersten auf der Emanzipation rumhackt und das Prachtexemplar sogar US-Präsident war. Dass es ausschließlich Männer sind, darüber sollten jene, die unreflektierte Chauvis wie Schowiak unvorstellbar finden, mal nachdenken.

Sein kleingeistiger Größenwahn hat sich "kleine Erfolge, bescheiden bleiben, Semesterbester werden" als Studienziele an die Wand seiner eiskalten WG geheftet, deren Zweitbewohner – einer der guten Running-Gags – in den ersten acht Folgen nie auftaucht, aber alles verdreckt und damit den Hausmeister in Lennart weckt. Ein Horrorclown wie Bernd Stromberg. Zum Gruseln, Heulen, Lachen, das oft im Halse stecken bleibt. Über uns selbst.

Die erste Staffel von "Irgendwas mit Medien" steht in der ARD-Mediathek zum Streamen bereit.