A-Prominente a.D. haben’s auch nicht leicht. Uli Hoeneß musste sich von Sat.1 als großkotziger Udo Honig veräppeln lassen und wählt sich seither aus toxischer Torschlusspanik mit der Selbstgerechtigkeit peinlicher Onkel auf Omas 90. Geburtstag in den „Doppelpass“ ein. Karl-Theodor zu Guttenberg hat das Privatfernsehen als „Der Minister“ dem Spott des Pöbels ausgeliefert und darf bei RTL gegen seine Nutzlosigkeit anmoderieren. Familie Windsor was not amused über „The Crown“, versucht aber alles, um dem affektierten Netflix-Bild gerecht zu werden. Jetzt hockt auch noch Angela Merkel im Wald, pisst im Beisein von Mops Helmut die Uckermark voll und sagt, nein: kräht dazu, „das ist Freiheit!“.
Fragt sich nur: wessen Freiheit genau. Als lebendes Denkmal der Zeitgeschichte sollte die Ex-Kanzlerin natürlich etwas mehr abkönnen als Ottonormalwahlberechtigte. Ein Biopic wie „Miss Merkel“ hingegen, in dem sie nicht nur ihre Notdurft, sondern auch sonst allerlei allzu Privates öffentlich verrichtet, mag von Danger Dans Kunstfreiheit gedeckt sein; umso mehr überschreitet das RTL-Original heute auch linear diverse Geschmacksgrenzen, also keinesfalls nur persönlichkeitsrechtliche.
Angela Merkel, so gehen die 90 Minuten los, ist im Ruhestand, der eine Macherin wie diese allerdings naturgemäß unruhig macht. Beim Spaziergang durch ihr (fiktionales) Altenteil Kleinfreudenstadt freut sie sich demnach zwar nicht nur beim Pinkeln über die neugewonnene Unabhängigkeit. Ein mysteriöser Mord aber, dem der adlige Schnösel Philipp von Baugenwitz (Thomas Heinze) im Weinkeller des eigenen Schlosses zum Opfer fällt, macht die Profipolitikerin zur Hobbydetektivin, weshalb ihr Mann Joachim Sauer (Thorsten Merten) einen Schwur fordert, sich nicht einzumischen.
Doch Miss Merkel kreuzt hinterm Rücken die Finger und ermittelt fortan eher gegen als mit Polizei oder Staat in einem Todesfall voll skurriler Filmfiguren feudaler wie plebejischer Kreise. Die titelgebende Reminiszenz an „Miss Marple“ ist deshalb kein Zufall, sondern Konzept – woran allenfalls überrascht, dass es nicht in Schwarzweiß gedreht wurde. Denn selten zuvor im gegenwärtigen Fernsehhumor wirkte ein Format antiquierter als dieses. Arme Angela Merkel.
Im „Uckermark-Krimi“ (dessen Untertitel Fortsetzungen androht) wird sie schließlich wie zehn Jahre zuvor bereits als Angela Murkel an Sat.1-Minister Franz Ferdinand von und zu Donnersberg Seite von der Filmfigurenskurrilität Katharina Thalbach gespielt, die damals wie heute kaum fünf Sekunden mal ohne Grimassen auskommt. Dazu hagelt es unablässig billige Rauten- und Blazerwitze. Der Geruch irgendwo erinnert sie ans Eau de Toilette von Papst Benedikt, ihr nackter Bodyguard Mike (Tim Kalkhof) ans Fußballnationalteam nach dem WM-Titel. Und als der Helmuts Hundekot entsorgen will, macht sie das selbst, weil: „Ich hab‘ so oft den Mist von anderen Leuten weggeräumt.“
Wenn Regisseur Christoph Schnee die Bücher von Stefan Cantz in einer sämigen Soße aus drolligem Klavier-Geplödder und drolligeren Close-ups aufkocht, schöpfen sie also überreichlich aus ihrem Komödienbestand, der sich auf 24 Folgen „Mord mit Aussicht“ (Schnee) und „Tatort“ Münster (Cantz) zusammensetzt. Leider wird das Niveau beider Referenzobjekte nochmals breitbeinig unterlaufen. „Miss Merkel“ erinnert weder an Prof. Boerne noch Sophie Haas, sondern Daniela Katzenbergers Pfalzkrimi „Frauchen und die Deiwelsmilch“, mit dem die ARD 2014 tief ins Kellergeschoss der Publikumsverachtung hinabgestiegen war.
Ungefähr dort wurde die Influencerin Pia (Bianca Nawrath) aus dem Apothekenrundschau-Baukasten für crazy Teenager ausgestattet, aus dem auch ihre dauerlallende Schwiegermutter Alexa (Judith Neumann) kostümiert wurde. Sascha Nathans menschlich wie moralisch verwahrloster Kommissar Hannemann entspringt dagegen noch der Edgar-Wallace-Zeit, aus der affektierte Comtessen wie Katharina von Baugenwitz (Judith Engel) zwar schon Mitte der Sechziger gefallen sind; hier aber reicht es locker zur tragenden Nebenrolle, die dummerweise nicht mal unfreiwillig komisch gerät. Einzig Thorsten Merten als mütterlich dröger Kanzlerinnengatte Sauer („wie lustig“, tihi), verleiht seiner Rolle ein wenig Würde im Zotengewitter.
Es gibt also nicht einen, in Zahlen: 1 einzigen Moment zum Schmunzeln, geschweige denn Lachen, aber ein finales Gruppengeständnis à la Hercule Poirot, ergo: stilistisch aus den frühen Siebzigerjahren, in denen dieses vollfiktionale Biopic bereits als rückständig gegolten hätte, so uninspiriert stümpern sich die Gewerke durch einen Krimi, dem seine Handlung fast noch gleichgültiger ist als die Glaubwürdigkeit ihrer Charaktere. Und das ist nicht nur schade, sondern angesichts einer der spannendsten lebenden A-Promis im Titel fast schon anstößig.
Ihr darf man – Stichwort „Der Minister“, dem das erste Mordopfer Thomas Heinze einen grandios verrotteten „Bild“-Chef Kai Diekmann beisteuert – also durchaus humorvoll auf den Grund gehen. Allerdings nur, wenn sich die Grabungen nicht mit Gelegenheitsfunden wie Miss Merkels Emanzipationserklärung, „sie müssen sich dran gewöhnen, Mike, wir Ostfrauen ergreifen gern die Initiative“ zufriedengibt. Parodien, dazu sollten männliche Frauenanalytiker wie Schnee & Cantz noch mal einen Crashkurs belegen, verunglimpfen die Persiflierten nicht; sie suchen darin nach Sollbruchstellen. Wer sie bei Angela Merkel dort wähnt, allein im Wald an Bäume zu pinkeln, sollte vielleicht doch weiterhin „Alles Atze“ machen.
"Miss Merkel - Ein Uckermark-Krimi", Dienstag um 20:15 Uhr bei RTL und schon jetzt auf Abruf bei RTL+