Rund dreieinhalb Jahre ist es her, dass mit Ingo Kantorek einer der bis dato prägendsten Darsteller der RTLzwei-Daily "Köln 50667" bei einem tragischen Autounfall ums Leben kam. In Folge 1725 der Filmpool-Produktion starb dann auch sein Seriencharakter Alex Kowalski. Das war menschlich tragisch, aber auch für die Serie, in die Kantorek zu Lebzeiten so viel Energie steckte. Die meisten Daily Soaps haben Charaktere, die zugleich Anker und Kompass für ein ganzes Format sind. Alex war zweifelsfrei eine solch prägende Figur und es ist kein Zufall, dass "Köln 50667" ohne ihn über weite Strecken orientierungslos wirkte. Eben wie ein Schiff ohne Anker, das auf See von Wind und Wellen mal hierhin und mal dorthin getrieben wird.
Mit einer Abschiedsparty in der am Freitag erstmals im linearen Programm gezeigten Folge ging das bisher bekannte "Köln 50667" nun zu Ende. "Das war's" sagte etwa der von Christoph Oberheide gespielte Jan, "10 Jahre – und wir sehen immer noch so aus wie 18", fügte Figur Maike (Pia Tillmann) an, die sich kurz zuvor noch Tränen aus den Augen wischte. Pia Tillmann ist eine von zehn Personen vor der Kamera, die die Serie im Zuge eines großen Umbaus verlassen haben. Ein Serienumbau, der unausweichlich war, weil die Daily in zuletzt bekannter Konstellation längst nicht mehr genug junges Publikum zum linearen Schauen gebracht hat.
Mit Folge 2575, die am Montag läuft, soll nun eine neue Ära beginnen – und zumindest die erste Episode dieser neuen Ära hat es in sich. RTLzwei zeigt mit dieser eigentlich eine komplett neue Serie, die abgesehen vom kurzen Vorspann und dem Namen rein gar nichts mehr mit dem bisherigen "Köln 50667" zu tun hat. Der Schritt, zu dem sich die Verantwortlichen wohl gezwungen sahen, ist bemerkenswert radikal. Denn: Selbst die wenigen Figuren, die sich in die neue Serie rüber gerettet haben, tauchen zunächst nicht auf. Erwachsener soll die Serie werden und sich somit der allgemeinen Senderstrategie anpassen. Im Fokus stehen somit weniger Probleme von (Jugend-)Cliquen, sondern Familienstorys. Damit einhergeht auch, dass es im nun prägenden Mehrfamilienhaus keine weitläufigen Lofts gibt, sondern modern eingerichtete (Dachstuhl)-Wohnungen.
Familie Yilmaz, um die sich Folge eins der neuen Serie im Kern dreht, wohnt in einer solchen im Stadtteil Mülheim. Dass auch der Stadtteil gewechselt wurde, "K50667" sich also komplett aus der hippen Altstadt verzieht, unterstreicht die neue Ausrichtung. Das Leben von Papa Kenan und seinen beiden Kindern Elif und Mesut ändert sich an dem Tag, an dem Kenans neue Freundin Nina gemeinsam mit Tochter Paula einzieht – und der Haushalt Yilmaz/Neundorf eine waschechte Patchwork Family wird. Schnell zeigt sich, dass das Autorenteam Elif als Antagonistin auserkoren hat – sie kann mit ihrer neuen und gleichaltrigen Mitbewohnerin wenig anfangen. "Türkisch für Anfänger" lässt grüßen. Angemerkt sei: Die Qualität von Geschichten und Schauspielenden, die sich nicht geändert hat, soll hier auch deshalb nicht Thema sein, weil sie - auch mit Blick auf frühere Quoten - wohl nicht über Erfolg oder Misserfolg entscheidet.
Ein für "K50667" neues und dennoch innerhalb der Filmpool schon erprobtes Element sind indes ausführliche Interviewstatements in die Kamera, die stets auf dem großen Familiensofa abgeben werden. Was im Ursprung von "Modern Family" kommt, hatte Filmpool einst in der recht kurzlebigen Sat.1-Daily "Patchwork Family" schon übernommen. Die neue Handlung der Serie umfasst auch die Geschichten rund um Arbeiter-Familie Rieder, die zunehmend unter den größeren finanziellen Belastungen ächzt, und ein Mutter-Tochter-Gespann, die Werls, das es "nur im Doppelpack" gibt. Hier versucht man immer lebensnah zu erzählen.
Konsequent inkonsequent
So konsequent und stringent "Köln 50667" in der Montagsfolge Neues begeht und Altes hinter sich lässt, so inkonsequent wird die Serie im Lauf der Woche. Denn den kompletten, den durchgehend radikalen Umbruch, den hat man sich nicht getraut, was aus mehrerlei Gründen seltsam ist. Schon in der Dienstagsfolge wird ausgerechnet die von Mandy-Kay Bart gespielte Mel nach rund drei Jahren Pause ihr Seriencomeback geben. Mel, nach offiziellen Sprech jetzt "positiv aufgeladen", ist nämlich die Witwe von Alex Kowalski, was bedeutet, dass die Chance verpasst wurde, mit dem neuen "K50667" alle Fäden zum einst so ikonischen Darsteller hin wirklich final abzuschneiden. Sie wieder in die Serie zu holen, riecht, schmeckt und sieht nach einem Kompromiss aus, um ein Stück weit bekannte Gefühle in dem Format zu belassen. Ein Drahtseilakt? Ein Fehler? Mel soll in den kommenden Wochen zusammen mit ihren (Halb)-Brüdern Ben (Jay Sirtl) und Olli (Patrick Beinlich) und ihrem Neffen Oskar (Marcel Thorwesten) ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlagen. Und sie lebt weiterhin im bekannten und seit zig Jahren bespielten Ehrenfelder WG-Loft der Serie, die nächste verpasste Chance, sich von Alex-Vibes zu lösen.
Komplettiert wird die Serie von den "Träumern": Also die Freundesclique rund um George (Jossy Luzayadio), Johnny (Mario Kleinermanns), Barbie (Leoni Baltz) und Anna (Anna Iffländer), die gemeinsam mit Georges Schwester Tess (Moring Rotimi) und später auch Jan (Christoph Oberheide) in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. Über Bekanntheiten oder unterschiedliche Verwandschaftsgrade wird der Alt-Cast mit den Neulingen verwoben, über plötzlich vorhandene, früher aber nie erwähnte Verbindungen zwischen Soap-Figuren, muss sich niemand wundern.
Deutsche Zaghaftigkeit
Das neue "Köln 50667" ist ein großes und in der deutschen Soaplandschaft kaum dagewesenes Experiment. So sehr die – trotz weniger Übriggebliebener – inhaltliche Veränderung in Cast, Ausrichtung und Optik überrascht, so notwendig war sie auch. RTLzwei-Chef Andreas Bartl wird seine Worte mit Bedacht gewählt haben, als er vor wenigen Wochen von einer "letzten Chance" für die Daily sprach. Mit dem Rücken zu Wand ist Offensive manchmal eben doch die beste Methode. Dem entgegen stehen aber die deutschen Sehgewohnheiten. Es hat einen Grund, dass Telenovelas in Deutschland bei Übergängen zwischen Staffeln viel zaghafter vorgehen als etwa in Südamerika. Dort ist es üblich, dass nach beendeter Liebesgeschichte eine komplett neue Serie beginnt – und die Zuschauerin freut sich, neue Welten, neue Figuren und ein frisches Setting kennenzulernen.
In Deutschland gab es bisher die Erfahrung, Publikum mit zu viel Neuem schlicht zu überfordern und zugleich starke Sehnsucht nach Bekanntem auszulösen. Wann immer sich langlaufende Serien also inhaltlich neu erfinden mussten, wurden wesentliche Anknüpfungspunkte eigentlich beibehalten – so auch etwa bei RTLs "Alles was zählt" 2015, als ein nicht unwesentlicher Teil des (Haupt-)Casts bei einem tragischen Busunglück das Zeitliche segnete - Ankerfiguren waren hier aber weniger betroffen, die Quoten allerdings damals auch weit nicht so schlecht wie heute beim Kölner RTLzwei-Format. Dem fehlt nach der wirklich sich auf den Neucast fokussierenden Montags-Folge aber ein wenig der Mut, alle alten Fäden abzuschneiden. Und genau das macht dann auch die Montagsfolge unsinnig. Es gibt also in Folge 2575 einen Komplett-Fokus auf das Geschehen im Hause Yilmaz/Neundorf. Das ist ungewöhnlich, weil neu und anders und mag so manchem Fan erstmal wenig schmecken. Wen es nicht verwirrt, sondern wem es vielleicht sogar wieder gefallen hat, der wird in Folge 2576 prompt mit dem Altcast belohnt. Und wer mit den Neuen nicht klar kam, ja der schaltet am Dienstag vielleicht schon nicht mehr ein.
Das sowieso schon sauschwierige Unterfangen, gegen Sehgewohnheiten anzukämpfen und Fans von früher zurückzuholen, dürfte nur mit maximalem Mut funktionieren. So wie damals als RTLzwei und Filmpool mit den Städtesoaps etwas Neues auf dem Markt positionierten. Maximaler Mut ist angesichts von Quotendruck und Verantwortung für nicht wenige Arbeitsplätze bei seriellen Produktionen sowie diversen Zwängen (unter anderem, dass viele Köche bei solch wichtigen Fragen mitrühren und abschmecken) selten geworden. Da sind die Südamerikaner zweifelsfrei ein Stück weit voraus. Und so bleibt die wenig überraschende Erkenntnis, dass Köln eben nicht den Kontinent gewechselt hat – und der Umbruch gerne noch radikaler hätte ausfallen dürfen.
"Köln 50667" läuft linear wochentags um 18:05 Uhr bei RTLzwei.