Kurz vor dem 30. Geburtstag wirkt es zuweilen, als befinde sich RTLzwei in einer Sinnkrise. Weil das ganz junge Publikum dem linearen Fernsehen zunehmend den Rücken kehrt, schwächeln die sehr jung positionierten Soaps im Vorabendprogramm und gleichzeitig fehlt es an Leuchttürmen wie es einst "Big Brother" war. Daher kommt es wie kommen musste: Jetzt springt also auch das jugendliche RTLzwei auf den Retro-Zug auf, auch wenn der gefühlt schon wieder Richtung Abstellgleis rollt. Warum der Sender sich ab sofort an einer Neuauflage des "Glücksrads" versucht, an einer Show also, die noch älter ist als RTLzwei selbst, bleibt ein Rätsel. Und zwar eines, das nach Ansicht der ersten Folge eher noch größer wird.
Ex-"Quatsch Comedy Club"-Conferencier Thomas Hermanns führt zusammen mit der Buchstabenwand-erfahrenen Sonya Kraus durch den Show-Klassiker, der mit seinen Regenbogen-Farben offensichtlich optisch an die guten alten Sat.1-Zeiten anknüpfen soll. Doch wo die Gewinnpaletten einst noch mit Kochtöpfen, klobigen Fernsehern und Waschmaschinen prall gefüllt waren, herrscht nun im Studio-Hintergrund gähnende Leere. Da drängt sich, um im Gameshow-Bild zu bleiben, schnell die Frage auf: Ist das euer ERNSTL?
Das Dilemma des "Glücksrad"-Comebacks ist allerdings ein anderes. Tatsächlich wäre es falsch gewesen, die Kandidaten von heute um Restbestände aus Warenhäusern spielen zu lassen. Aber sich ein paar Gedanken darüber zu machen, wie sich ein althergebrachtes Format wie dieses ins Hier und Jetzt transferieren lässt, ohne den Kern aus den Augen zu verlieren, hätte der Neuauflage erkennbar gut getan. Denn was soll nun eigentlich aus dieser Art von Retro-Fernsehen folgen? Ein paar Abende pro Jahr mit einer antiquierten Retro-Version des "Glücksrad" zu füllen, wird kaum die dringend nötige Trendwende bei RTLzwei einleiten - und gleichzeitig ist die Show in dieser Form viel zu angestaubt, um sie dort zu platzieren, wo sie eigentlich hingehört, nämlich nicht als aufgeblähte Zwölf-Runden-Version in die Primetime, sondern in komprimierter Form ins tägliche Vorabendprogramm.
Dort, wo eine Show zwischen Abendbrot, Abwasch und Gute-Nacht-Geschichte funktionieren muss, ist das Original "Wheel of Fortune" in den USA übrigens schon seit mehr als vier Jahrzehnten erfolgreich auf Sendung. Nicht, weil das Rätselraten sonderlich innovativ ist, sondern auch, weil die Show - aller TV-Tradition zum Trotz - heute eben nicht mehr so aussieht wie zum Start in den 1970ern. Am besten erkennbar ist das vermutlich am zweiten Herzstück der Show, der Buchstabenwand. Während das US-"Glücksrad" schon vor Jahrzehnten die analoge Wand durch eine digitale Variante ersetzt hat, muss Sonya Kraus in der RTLzwei-Version auch im Jahr 2023 noch jeden einzelnen Buchstaben umdrehen.
Das klobige Stück Fernsehgeschichte, an dem einst schon Maren Gilzer ihr Tagwerk verrichtete, mag vielleicht im Sinne des Oldtimer-Gefühls sein, bremst die Show aber spürbar aus, weil sich der Sender dadurch der Möglichkeit beraubt, Schnellraterunden einzubauen, in denen die einzelnen Buchstaben wie von Geisterhand sichtbar werden. Auf diese Weise ist in der amerikanischen Version keine Minute vergangen, bis das erste Rätsel gelöst ist, während der erste Glücksrad-Dreh in der deutschen Neuauflage erst nach fast sieben Minuten erfolgt. Tempo? Fehlanzeige.
Leider bringt auch Thomas Hermanns trotz erkennbarer Liebe zum Format als Moderator keinen Schwung in die Produktion von Noisy Pictures. Anstatt schnell zur Sache zu kommen, wird die Sendezeit regelmäßig mit leidlich witzigen Erinnerungen an die vermeintlich glorreiche "Glücksrad"-Zeit aufgefüllt ("Jaaa, das Topfset war so geil!"). Und ob die nun wirklich simplen Spielregeln ernsthaft vor jeder der insgesamt vier Runden aufs Neue erklärt werden müssen - nun ja. Bei so viel gebremstem Schaum kann auch der zwischenzeitliche Rollentausch nur noch wenig retten. Dass Hermanns als selbsternannte "Letterfairy" immer wieder höchstselbst vor der Buchstabenwand Meter um Meter abspult, ist freilich amüsant, doch das Gag-Potenzial erschöpft sich erwartungsgemäß schnell.
Nein, das ist kein Plädoyer gegen Comebacks beliebter Fernsehshows; ganz im Gegenteil. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob die TV-Sender nicht gut beraten wären, Klassiker wie das "Glücksrad" behutsam zu erneuern - anstatt sie zu allem Überfluss auch noch in ein Studio-Design zu pressen, das vor dreißig Jahren liebevoller gestaltet war als heute. Entwickeln sich auch liebgewonnene Dauerbrenner nicht weiter, dann dürfte es mit der Halbwertszeit schnell vorbei sein, auch wenn sie eigentlich zeitlos sind.
"Glücksrad" läuft um 20:15 Uhr bei RTLzwei und schon jetzt bei RTL+