Auch die schönste Zeit des Jahres kommt nicht ohne Rituale aus: Der bzw. die Durchschnittsdeutsche fährt gern jedes Jahr an denselben Urlaubsort. Da kennt man die Preise von Sangria und Schnitzel; weiß, wann das Handtuch über den Balkonrand gen Hotelpool geworfen werden muss, um sich einen der besten Plätze zu sichern; und lässt sich von den Einheimischen gezwungen anlächeln, wenn man beim Bestellen des Abendessens ein paar Standardsätze in der Landessprache kunstvoll verunstaltet hat.
Klar kann man kann zwischendurch auch mal was Neues ausprobieren. Aber Urlaub ist halt immer dann am schönsten, wenn man sich schon auskennt.
Fragen Sie doch mal RTL: Seit fast zwei Dekaden fliegt der Sender, wenn das neue Jahr begonnen hat, eine Reihe wechselnder Prominenter ins australische Murwillumbah, um ihnen dort für längstenfalls zwei Wochen eine Auszeit vom beschwerlichen Alltag zuhause zu gönnen und sie mit täglich garantierter Sendezeit zur möglichst umfassenden Selbstpräsentation zu animieren.
Hipsterbart statt Hartwichdaniel
2021 fiel diese Ferientradition, wie bei den allermeisten Zuschauer:innen, pandemiebedingt ins Wasser; ein Jahr später musste man mit dem lediglich 13.000 Kilometer entfernten Südafrika als Ersatzort Vorlieb nehmen, weil die Australier:innen weiter unter sich bleiben wollten. Was zwar den Vorteil hatte, Dschungelprüfungen vor Landschaftskulissen veranstalten zu können, von denen andere Shows nicht mal zu träumen wagen. Aber auch blöd, weil's wegen unzureichender Zeitverschiebung zur Live-Moderation immer schon dunkel war.
Schon aus aktuellen Energiespargründen kam es wohl nicht in Frage, dieses Jahr einfach ein paar Flutscheinwerfer aufzustellen, um dieses Manko zu beheben; dazu kommt, dass viele deutsche Fernsehzuschauer:innen (und -verantwortliche) nur eines noch mehr hassen als die Aufgabe erprobter Rituale. Nämlich: unerbetene Abwechslung.
Deshalb ist der Dschungel in Jahr 4 m.C. (mit Corona) nun back im Outback (naja, fast). Und alles scheint wie immer: altes Camp, altes Baumhaus, alter Hoden, alte Mod… – nein, halt, Momentchen mal – hat der Hartwich sich dieses Jahr etwa erstmals einen moderierenden Hipsterbart wachsen lassen und kombiniert die selbst rausgelegte Klamotte jetzt ernsthaft mit weißen Socken unter Hochwasserhose?
Nee, natürlich nicht, und eine Veränderung ließ sich dem Publikum nun wirklich nicht ersparen, so lange die fortschrittliche RTL-KI nur als "Text-to-Speech"-Angebot funktioniert und nicht, um "IBES"-Ex-Moderatoren künstlich in neue Staffeln hinein zu materialisieren.
Eine ganz brauchbare Truppe
Deshalb steht seit diesem Freitagabend (außer dem veganen "Räucherlaxx" als Sponsor vor dem Intro) nun der zweite neue Dschungel-Co-Host in fast 20 Jahren an Sonja Zietlows Seite, und musste anfangs direkt geloben, länger im Amt zu bleiben "als ein durchschnittlicher RTL-Geschäftsführer", so wahr ihm Bob helfe. Um's abzukürzen: Bereits zum Auftakt der 16. Staffel machte Jan Köppen den Eindruck, als sei er schon ewig "der Busch-Mann" an Zietlows Seite. Große Mühe, sich in das bekannte Theater aus Tralien, Kandidat:innen-Zwist, Selbstüberschätzung und Ekelprüfung einzufühlen, hatte Köppi jedenfalls erwartbar nicht. Nur das Dröhnen in der Stimme, die zum Auftakt jeder Folge von den zu erwartenden Höhepunkten tönt, muss der Daniel-Hartwich-Gedächntnishemdenträger noch ein bisschen üben. Ansonsten: Fein gemacht!
Immerhin hat sein Arbeitgeber für die schnelle Eingewöhnung eine ganz brauchbare Truppe aus Teilnehmenden zusammengestellt. Auch wenn sich im vergangenen Jahr bereits abzeichnete, dass alle "Stars" alter Definition entweder bereits drin gewesen oder noch nicht pleite genug sind, um reinzugehen; oder wie Martin Semmelrogge von den zuständigen Behörden halt nicht gelassen werden. Auch Australier:innen haben halt ihre Grenzen.
Claudia Effenberg wird in diesem Jahr die Rolle der Kandidatin zuteil, von der man sich fragt: War die nicht schon mal dabei? Jana Pallaske hat sich aus Erdverbindungsgründen offensichtlich bewusst rückwärts vorgearbeitet: von "Global Gladiators" über "Sommerhaus der Stars" zum Original. Und der NDW-Hit von Markus Mörl war vor 41 Jahren quasi die Vorbereitung auf seinen Dschungel-Einsatz: "Ich will Spaß."
Bienen im Brot? I don't glaub this!
Zur Reality gehört aber auch, dass sich die allermeisten ihr Flugticket wieder vor allem durch Präsenz in anderen (RTL-)Formaten erworben haben – und zum Teil schon so gut kennen, dass der eine der anderen dort schon mal aus Versehen den Fuß gebrochen haben; was exakt gar nichts darüber aussagt, wie unterhaltsam die aktuelle Staffel werden könnte, wenn sich erstmal die zu wünschende Gruppendynamik entfaltet hat.
Die wahren Stars der kommenden zwei Wochen werden vermutlich wieder diejenigen sein, von denen man's jetzt am wenigsten vermutet. Obwohl: Cosimo, der "Checker vom Neckar", hätte Potenzial – wenn er die Story, wie ihm in der Jugend immer Bienen ins Pausenbrot gelegt wurden, noch mal ausführt. Weil, sonst: I don't glaub this. Gigi ja ohnehin: "Ich lieb so Sachen, wo man voll stirbt und danach doch noch lebt." Derweil scheint Tessas Stresslevelpotenzial ("alle gegen mich") bereits nach zweieinhalb Stunden ausreichend umrissen.
(Bei dieser Gelegenheit: He RTL, wer hat denn bei euch gepennt und den tierlieben "Love Island"-Adriano anzufragen verpasst?)
So wie Köln, nur in groß
Und damit zur Frage des Abends, gestellt während der Anreise von Claudia Effenberg: "Ist das hier Dschungelcamp? Is this the jungle?" Ja, it is: Wo die einen über Schluchten balancieren müssen, um Sterne zu sammeln. Und die anderen – inzwischen ohne mit der Wimper zu zucken – aus dem Helikopter mit dem Fallschirm bis fast vor die Pritsche springen, um sich anschließend darüber zu streiten, wer welches Bett im Camp bekommt und alle das große Würgen kriegen, wenn nach dem Opossum-Lunch und der Katastrophen-Zahnpasta beim "Dschungel-Bar-Bäh-Cue" auch noch lokale TV-Spezialitäten wie Schweinepenis, Krokodilauge, Bullenhoden und Ziegenanus verzehrt werden sollen.
Sie ist eben ein einziges längliches Ritual, diese Auftaktsendung von "Ich bin ein Star", die niemanden mit unnötigen Überraschungen zu belästigen versucht, sondern einfach das sein möchte, was sie schon immer war: Tag 1 im Dschungel, dieser "Mischung aus Tegernsee und Bali", die so ist "wie Köln, nur in groß", diesmal sogar einen Tag länger als gewohnt.
"Mir ist ein bisschen schlecht. Aber war gut", hat Djamila Rowe nach den ersten Stunden Zwischenbilanz gezogen, bevor es am Samstag für Tessa zum Sternesammeln in den alten Krokodiltümpel geht. Dem kann man eigentlich nichts hinzufügen.