In der vom Schlesinger-Skandal befeuerten Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seines Programmauftrags, war „Glow Up“ schon gefundenes Fressen, bevor die erste Folge überhaupt vorlag. Relevanz im Farbenspektrum deutscher Kritiker ist grau, vielleicht noch seriös dunkelblau - aber doch nicht bunt. Kann eine Castingshow für MakeUp-Artists Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Sinne sein? Seit Donnerstagabend ist die Antwort bekannt: Ja, sowohl im positiven wie negativen Sinne.
Das von Riccardo Simonetti charmant moderierte und Warner Bros. ITVP Deutschland gut produzierte Format ist schnell erklärt: Zehn MakeUp-Artists - in der Sendung zu MUAs verkürzt - kämpfen in acht Folgen mit unterschiedlichen Themen („Beauty Editorial“, „Social Media“, „Fashion Show“ etc.) um 20.000 Euro und einen Agentur-Vertrag. Jede Woche stehen die zwei Challenges an. Die beiden MUAs mit dem schlechtesten Jury-Feedback dabei, erhalten bei der zweiten Kreativ-Challenge 15 Minuten weniger Zeit. Die beiden MUAs die die Jury am wenigsten überzeugen konnten, müssen in ein spontanes „Face Off“ um zu entscheiden, wer bleibt und wer fliegt.
Viele Aspekte des aus Großbritannien kommenden Formats erinnern an das, was man von anderen Castingshows gewohnt ist - inklusive dem linearen Sendeplatz am Donnerstagabend um 20.15 Uhr. ZDFneo, sonst dafür bekannt selbst teure Eigenproduktionen gerne in die Nacht hinein zu versenden, gibt der Sendung die ganz große Bühne. Und die betreten - wie bei anderen Shows auch - zwei um Gäste ergänzte Juroren, denen man nicht gerade Bescheidenheit nachsagen kann: Loni Baur („Ich bin in Deutschland bekannt für sehr viele spektakuläre, kunstvolle und kreative Looks“) und Armin Morbach („Ich hatte jeden großen Star schon vor der Linse“).
Bunt ist „Glow Up“ nicht erst durch die MakeUps schon dank eines diversen Casts, der in so vielerlei Hinsicht Erwartungen bricht. Jedes Geschlecht, jede Orientierung, jeder Body Type und jede Herkunft ist vertreten. Adam ist seit dem 14. Lebensjahr extrem schwerhörig, lässt sich aber davon nicht bremsen. Johanna wiederum nicht von dem Vorurteil, nur Männer könnten Drag Queens sein. Man muss dem Casting der ZDFneo-Show großen Respekt zollen: Diversität zu casten ist noch einmal schwieriger, wenn nicht das Sein allein sondern Können gefragt sind. Wer du bist ist egal, was du aus dir machst, zählt.
Während bei anderen Castingshows die Empfehlung, erst einmal an sich zu arbeiten, über viele Jahre vorrangig auf die Figur bezogen war, vermittelt „Glow Up“ sehr deutlich: Hier geht es um Handwerk, welches man lernen und verbessern kann. Das macht die Sendung diverser und offener als eine Model-Castingshow, bei der die Qualität der Kandidatinnen mehr in den Genen als dem Können steckt. Das den Deutschen so liebe Leistungsprinzip lässt sich hier (etwas) objektiver anwenden und an geäußerter Kritik mangelt es nicht, besonders bei Armin Morbach. Doch beurteilt werden eben Arbeit statt Menschen, was angesichts dieses Casts ein Zeichen für Equality setzt. Bei "Glow Up" trifft das Porträt eines Handwerks auf eine Botschaft der Ermutigung. Daran ändern auch harte Jury-Urteile nichts.
Alles toll also? "Hier kommt gleich ordentlich Schwung in die Bude“, verspricht Riccardo Simonetti ganz zu Beginn. Halten lässt sich das allerdings nicht. Die Show ist recht harmonisch, spiegelt immer wieder die Tonalität mit der Simonetti sich im deutschen Fernsehen von Gastauftritten zu eigenen Primetime-Shows nach oben gearbeitet hat: Wertschätzend, stets positiv und beschwingt. Selbst Kritik wird oft so höflich vorgetragen („Potential nicht ausgenutzt“), dass die Vorschau zu Sendungsbeginn durchaus Probleme hat, mit genreüblich-dramatischen Szenen zu locken. „Glow Up“ wirkt bunt und schrill, ist aber brav und bodenständig. Noch so eine Gemeinsamkeit mit dem Host, die nicht negativ gemeint ist, aber im Wettbewerb der totalen Reizüberflutung hoffentlich nicht untergeht.
Denn auch ohne jede Affinität zum Thema MakeUp schafft es „Glow Up“ überraschend gut Neugier zu wecken auf dieses Handwerk. Neben einem respektvollen Wettkampf vermittelt „Glow Up“ dafür einen intensiven Chrashkurs in die kreative Welt der MUAs, was dann die Jury-Urteile auch für Laien nachvollziehbar macht. Meistens zumindest, denn natürlich lebt „Glow Up“ auch immer wieder vom Überdrehen - und darf oft genug auch Anlass sein für ein Gefühlspektrum von überraschtem Staunen bis irritierter Ablehnung der wilden Kreationen. „Euer MakeUp wird heute mein Spiegel in eure Seele sein - und ich möchte Euch ganz genau kennenlernen“, sagt Gast-Jurorin Franziska Knuppe in der ersten Sendung. „Was macht Euch einzigartig? Das ist das Thema eurer nächsten Challenge“, ergänzt Riccardo Simonetti. Auf diese Art wird es dann sehr fachlich sehr persönlich.
Wenn man „RuPauls Drag Race“, „Germanys Next Topmodel“ und Riccardo Simonettis Charme gut genug mixt und das Ergebnis mit öffentlich-rechtlicher Ernsthaftigkeit garniert, bekommt man „Glow Up“. Weniger laut, weniger schrill aber trotzdem sehr divers und bunt. Mit der Fokussierung auf MakeUp fehlt natürlich enorm viel, was die große Kunst von Drag ausmacht, doch um den Kern der Verwandlung geht es auch bei „Glow Up“. Was fehlt ist die Extravaganz und Show, die Drag-Formaten inne wohnt. Auch zwischenmenschliches Drama und Eskalation spielt eine weniger große Rolle, was auch kaum passen würde - zu öffentlich-rechtlicher Unterhaltung einerseits und einem von Riccardo Simonetti präsentierten Format andererseits.
Wo andere Casting- oder Realityformate von den Geschichten zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern lebt, bleibt „Glow Up“ fokussiert aufs Thema. Auf das Handwerk. Selten war das Sprichwort passender als hier: Möge das Format bei so viel Ernsthaftigkeit statt Entertainment bitte nicht in Schönheit sterben. Ob dieser Talentwettbewerb ankommt, wird sich nicht allein an der Primetime-Ausstrahlung entscheiden. Und doch ist es interessant, dass „Glow Up“ auf dem „Germany’s Next Topmodel“-Platz den neuen Show-Abend auf ZDFneo eröffnet bei dem nach wochenaktuellen Wiederholungen von „Maithink X“ und „ZDF Magazin Royale“ ab 22.15 neue Folgen von „Studio Schmitt“ laufen.
Die Mediathek spielt für „Glow Up“ eine enorme Rolle, wobei man dort nicht bingewatchen kann. Die Spannung des Wettbewerb soll den wöchentlichen Premieren am Donnerstagabend vorbehalten bleiben. Wie gut diese ankommen? Skeptisch stimmt die Tatsache, dass sich ZDFneo vom wilden Experimentierkanal von einst inzwischen zur erfolgreichen Abspielstation von ZDF-Wiederholungen mit gelegentlichen Innovationen am späten Abend entwickelt hat. Die teilnehmenden MakeUp Artists, Models und Gastgeber Riccardo Simonetti sind daher schon visuell eine farbenfrohe Überraschung - müssen aber auch gefunden werden. Denn MakeUp-Star kann man nur werden, wenn man gesehen wird.
"Glow Up" läuft donnerstags um 20.15 Uhr bei ZDFneo. Neue Folgen sind nach der TV-Ausstrahlung auch in der ZDF-Mediathek abrufbar.