Wer an das Privatfernsehen der 90er Jahre denkt, dem kommen schnell Formate wie „Der Preis ist heiß“ oder „Geh aufs Ganze“ in den Sinn. Und weil Neuauflagen wie diese inzwischen erfolgreich die Welle der Neuauflagen reiten, liegt es nahe, dass nun auch noch die „100.000 Mark Show“ den Weg zurück auf den Bildschirm findet - jene Spielshow, die mit atemberaubendem Tempo ein Stück weit die Abendunterhaltung revolutionierte und sich dadurch bis heute den Ruf einer besonderen Sendung aus goldenen Fernsehjahren erhalten hat.
Dass es die Show zu Kultstatus brachte, lag auch an Ulla Kock am Brink, die - anders als ihre glücklosen Nachfolger Franklin und Inka Bause - bis heute untrennbar mit der Sendung verbunden wird und nun glücklicherweise beweist, auch nach vielen Jahren der Primetime-Abstinenz das Gespür für Timing nicht verloren zu haben. Da darf die Frage erlaubt sein, wieso man diese Frau so lange nicht mehr auf der großen TV-Bühne sehen durfte.
Im Comeback der „100.000 Mark Show“ liegt allerdings auch die Gefahr der Verklärung. War früher wirklich alles besser? Nun, wer sich einmal eine alte Folge auf YouTube angesehen hat, mag durchaus erstaunt darüber sein, wie blitzschnell diese Sendung in ihren besten Momenten daherkam. Da wurden die Kandidaten-Paare schweißgebadet von körperlich anstrengenden Spielen wie dem Hindernis-Parcours unmittelbar ins Studio gehievt, um Denksport-Aufgaben zu lösen. Zeitweise wurden die Umbauten sogar in Echtzeit bewältigt, um bloß nichts vom hohen Tempo einbzubüßen.
Durchatmen, so scheint es im Rückblick, war bei der „100.000 Mark Show“ nicht gestattet. Vor diesem Hintergrund ist es ärgerlich, dass sich unter die Neuauflage dann doch ein paar Unsitten der heutigen Fernsehwelt gemischt haben - abrupt hineingeschnittene Gewinnspielansagen zum Beispiel oder eine XXL-Sendelänge, die dazu führt, dass die neue „100.000 Mark Show“ fast doppelt so lang dauert wie vor 25 Jahren. So wirkt der anfängliche Parcours beinahe unendlich und selbst das abschließende Öffnen des Tresors dauert im Jahr 2022 so lange, dass man Marco Schreyl für den Konstrukteur halten könnte. Die legendäre Zeituhr mag zwar aktiviert sein, aber sie wurde ganz offensichtlich gehörig gestreckt.
Aber sei’s drum. Sehen lassen kann sich die Show über weite Strecken hinweg trotzdem, weil das Team erkennbar viel Liebe in die Umsetzung gesteckt hat, wenngleich bei der Premiere nicht jedes Spiel so gut funktioniert wie der XXL-Flipperautomat, mit dem es die Kandidaten-Paare zu tun bekommen. Dass sie anfangs Quizfragen über ihre Kontrahenten beantworten müssen, mag zwar helfen, dem Publikum die Kandidaten näher zu bringen, entpuppt sich letztlich aber als absolutes Glücksspiel und ist entsprechend verzichtbar. Und später in der Show zwei Paaren minutenlang dabei zuzusehen, wie sie Kopfkissen aus einem Käfig werfen, ist dann doch eher mäßig aufregend. Da wäre es sicher spannender gewesen, beide Teams parallel antreten zu lassen.
Die Spannung, die die „100.000 Mark Show“ in den 90ern ausmachte, mag nach fast 30 Jahren aber womöglich auch deshalb nicht mehr so ausgeprägt sein, weil sich die Sehgewohnheiten über die Dekaden hinweg verändert haben. Und doch ist es schön, dass auch dieser Klassiker zurück im Fernsehen ist, strahlt er doch die wohlige Wärme der 90er Jahre aus - auch, weil eben vieles wie damals wirkt, ohne altbacken zu sein. Die nur leicht angepasste Titelmusik hat weiter mächtig Wumms, der heiße Draht sorgt noch immer für Nervenkitzel und selbst die Zylinder mit den falschen Zahlencodes rappeln wie einst, wenn sie fallen.
Sogar auf das obligatorische Sektchen nach dem Finale muss niemand verzichten. Es sind liebevolle Details wie diese, die die „100.000 Mark Show“ im Jahr 2022 zu einer würdigen Neuauflage werden lassen. Auch das farbenfrohe Bühnenbild erinnert unweigerlich an das Original - wenn auch verbunden mit der Frage: War das früher nicht alles irgendwie größer? Stimmt. Auch wenn die anfängliche Kamerafahrt durch die ansehnliche Kulisse anderes suggerieren mag - tatsächlich wirkt es, als sei die „100.000 Mark Show“-Bühne aus Versehen etwas zu heiß gewaschen worden, was letztlich daran liegt, dass das Kölner MMC-Studio schlicht nicht mithalten kann mit der Weitläufigkeit, die die einstige Lokalität in den Niederlanden ausstrahlte.
Das ist freilich verschmerzbar, weil die Zeitreise funktioniert. Dabei wird dem Publikum bei keinem der Format-Comebacks der jüngeren Zeit die vermeintlich gute, alte Zeit so sehr vor Augen geführt wie hier. Denn anders als bei der vor einigen Jahren gefloppten Neuauflage mit Bauernflüsterin Inka Bause, spielen die Kandidaten-Paare nicht um Euro, sondern - RTL wird‘s mit Blick auf den Wechselkurs freuen - tatsächlich um D-Mark, was die gesamte Sendung über bemerkenswerterweise nicht weiter thematisiert wird. Immerhin: Die Autos, um die die Ausgeschiedenen spielen, hat RTL nicht vom Schrottplatz gerettet. Getreu dem Motto: Ja zur Elektromobilität, Nein zur neuen Währung.
Doch diese Ambivalenz fügt sich gut ein in die Show, die ständig versucht, einen Mittelweg zu finden zwischen Nostalgie und dem Hier und Jetzt. So wie auch bei der Auswahl der Kandidaten-Paare, zu denen das erste Frauen-Team ebenso gehört wie der spätere Sieger-Kandidat Markus, der - mit anderer Partnerin - schon in den 90ern auf den sechsstelligen Hauptgewinn hoffte, damals aber leer ausging. Überhaupt weiß das Casting zu überzeugen. „Wir brauchen keine Promis, wir haben die besten Kandidaten der Welt“, sagt Ulla Kock am Brink irgendwann. Und sie hat recht. Es tut der Show gut, dass da eben keine Realitystars um die goldene Ananas spielen, sondern vier Paare, denen die Teilnahme an der Sendung erkennbar etwas bedeutet.
Mit Innovation hat all das freilich nicht viel zu tun. Aber das ist auch gar nicht schlimm, schließlich ist eine gut gemachte „100.000 Mark Show“ mit Ulla Kock am Brink um Lichtjahre sehenswerter als eine uninspirierte „Wetten, dass..?“-Kopie mit Guido Cantz.