Im November 2021 habe ich Thomas Gottschalk ganz besonders beobachtet. Ich hatte kurz zuvor erfahren, dass er blöd findet, dass ich im Fernsehrat sitze. Also habe ich mir die Neuauflage von „Wetten, dass…?“, die er moderiert hat, in voller Gänze angeschaut. Warum ich mir das antue? Als Fernsehrat guckt man ZDF, manchmal ZDFneo oder ZDFinfo, öfter mal arte, Phoenix, KiKa und 3sat – und am Ende spricht man mit den Chefinnen und Chefs der Sender darüber, was gut, mäßig und manchmal auch richtig schlecht war. Klingt nach einer spannenden Aufgabe, oder?
Tatsächlich kann die Mitgliedschaft im Fernsehrat ziemlich viel Ärger und Frust auslösen: Hier sitzen 60 Menschen, breit gefächert aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die teilweise gerne Politiker:in spielen. Das ist nicht ihre Aufgabe und funktioniert meistens nicht sonderlich gut. Insgesamt ist im Fernsehrat alles irgendwie politisch – wer spricht mit wem, welcher Posten wird welcher Gruppe zugeordnet, welche Themen werden auf die Tagesordnung gesetzt, welche nicht? Um beispielsweise den Vorsitz eines Ausschusses zu übernehmen, muss man in jedem Fall schon vier Jahre dabei sein, besser sogar acht oder mehr. Sonst wird man nicht gewählt. Das heißt leider auch, dass die Macht im Fernsehrat sehr zentriert ist, bei den großen Organisationen wie Kirchen, Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden.
Ist das ZDF interessiert? Na ja.
Wenn man es geschafft hat, sich in diesem Geflecht zurechtzufinden, dann geht die richtige Arbeit los. Meiner Erfahrung nach ist auch das nicht immer einfach: Die Kritik am Programm sollte an den richtigen Stellen platziert werden, nie zu harsch formuliert, damit sie auf offene Ohren stößt, aber direkt genug, damit Veränderungsbedarf klar wird. Der Intendant und seine Geschäftsführung bekommen die Probleme aller Interessensgruppen ab und müssen balancieren – welche Kritik ist tatsächlich allgemeingültig, welche ist so subjektiv, dass sie keine wirkliche Relevanz hat?
Mir ist in zwei Jahren leider nur einmal begegnet, dass Programmverantwortliche auf mich zukommen und fragen, wie ein Beitrag für junge Menschen bei mir angekommen ist. Die Redaktionen könnten auf Fernsehräte zugehen, ihre Meinung abfragen und so eigenständiges Feedback sammeln, um sich zu verbessern. Stattdessen besteht zurzeit eine Art Bringschuld: Als Mitglied sollte man möglichst jedes Programm gesehen haben, zu allem eine Meinung haben – und am Ende nervt man eher damit, dass man Kritik übt oder Feedback gibt. Eine unproduktive Mischung, die wahrscheinlich auch nicht im Interesse des Senders liegt. Die Gremien brauchen im Sender einen Imagewandel: Sie müssten nicht das böse Kontrollorgan sein, mit dem man im Idealfall nicht in Kontakt kommen will, sondern eine Möglichkeit, die Erfahrungen der vielfältigen Gruppen einzubinden und aus ihnen zu schöpfen. Ich glaube, das könnte man verändern, es bräuchte nur eine gehörige Portion Mut und Offenheit.
Die Zeit wird knapp
Wer den Lerchenberg kennt, der weiß allerdings auch: Veränderung ist nicht die liebste Beschäftigung des ZDF. Vor allem nicht, wenn es um das junge Publikum geht. Intendant Norbert Himmler hat die große Aufgabe, den größten deutschen Fernsehsender in den nächsten Jahren zukunftsfest zu machen. Das bedeutet unter anderem, dass dem linearen Programm eine deutlich geringere Bedeutung zukommen wird – die Mediatheken, aber auch Drittplattformen wie Instagram, Twitter und Facebook spielen in der Zukunft von Fernsehsendern im Allgemeinen eine erheblich größere Rolle.
Dabei muss gerade das ZDF einen vernünftigen Umgang mit seinem jungen Publikum finden. Der Altersdurchschnitt im Hauptprogramm liegt über 60 Jahren – jüngere Zuschauer:innen findet man bei Fernsehgarten und Rosamunde Pilcher selten, man könnte fast denken, dass der Sender das auch ganz in Ordnung findet. Umso wichtiger ist es, dass jetzt die nötigen Schritte gegangen werden, um Programm für junges Publikum zu gestalten. Der Mechanismus, junge Menschen müssten einfach nur alt werden, um Nutzer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu werden: Glaube, der immer weiter von Statistiken widerlegt wird. Stattdessen müssen schon jetzt Programme gestaltet werden, die gegen die Privatsender, aber auch gegen Streamingdienste und soziale Netzwerke ankommen. Die Entwicklung von „funk“ war hier ein richtiger Start, jetzt müssen schnell erhebliche, finanzielle Umschichtungen folgen.
Junge Leute? Überbewertet!
Im Fernsehrat sehen das - völlig überraschend - nicht alle so. Das Gremium selbst ist im Durchschnitt 57 Jahre alt, unter 35 gibt es nach meinem Weggang niemanden mehr. Stattdessen sind von 60 Mitgliedern mittlerweile 10 Personen 70 Jahre oder älter. Dem ZDF geht damit eine Perspektive verloren, die es gerade jetzt dringend bräuchte: Das Feedback und die Rückmeldung junger Menschen, die im Gremium für die nächsten sechs Jahre nicht mehr verpflichtend vertreten sind. Daran ist nicht der Sender schuld – die Politik müsste den ZDF-Staatsvertrag ändern und (mindestens!) einen dauerhaften Platz für junge Menschen schaffen. Statistisch würde das Sinn ergeben; während zum Beispiel die katholische Kirche mit 22 Millionen Mitgliedern zwei feste Plätze im Fernsehrat hat, werden junge Menschen (knapp 18 Millionen) in einem Viertelplatz zwischen Familie, Senioren und Frauen gequetscht.
Die Politik schreibt sich Freifahrtsscheine
Die Länder, verantwortlich für den ZDF-Staatsvertrag, sind gerade aber eh mit anderen Dingen beschäftigt: Sie definieren den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender neu, beauftragen Sender wie ZDFneo flexibler, schieben aber vor allem Gremien wie dem ZDF-Fernsehrat erheblich mehr Verantwortung zu. In Zukunft sollen Fernsehräte beispielsweise entscheiden, ob es einen Sender noch im Fernsehen zu sehen gibt – Entscheidungen mit großer Tragweite für die jeweilige Station, aber auch für die betroffenen Mitarbeitenden. Dass die Politik mit 20 von 60 Sitzen immer noch einen großen Einfluss auf ebendiese Gremien hat, bleibt unerwähnt. Und auch die Ressourcen für Fernsehräte werden nicht verändert; „normale“ Mitglieder haben weiterhin keine Zuarbeit, im Zweifel auch keine Vorerfahrungen im Medienbereich. Für sie ist es schwierig, sich in ihrer Freizeit durch Programmschemata und Haushaltsentwürfe zu arbeiten, ohne objektive und inhaltliche Unterstützung zu bekommen.
Dass eine übergriffige Politik für öffentlich-rechtliche Sender zum Problem werden kann, das kann man spätestens in Großbritannien gut beobachten: Die Redaktionen knicken unter dem Druck der (noch-)Regierung Johnson ein, die Sender reformieren sich regelrecht unter Zwang und den Maßgaben der Politiker:innen, über die sie eigentlich kritisch berichten müssen. Davon sind wir in Deutschland zwar noch weit entfernt – aber die Wirkmacht, die die Politik auf die Gremien und damit auch auf die Sender hat, muss in Zukunft dringend kritisch beobachtet werden.
Klarer Fall: Gott(schalk)-Komplex
Bald ist das alles nicht mehr meine Aufgabe – und ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Zusammenarbeit mit vielen Kolleg:innen aus dem Fernsehrat, aber auch mit dem Sender wird mir fehlen. Der Einfluss, den Fernsehräte auf das Programm nehmen können, ist wichtig: Wir sollen die demokratische Kontrolle eines Rundfunks sein, der uns allen gehört. Unsere Kritik soll dabei helfen, dass die Sender uns, also den Beitragszahlenden, gerecht werden. Dabei haben wir viel Unterstützung, vor allem dem Gremienbüro und seinen fleißigen Mitarbeiter:innen gilt mein größter Dank. Ohne sie würde es im Fernsehrat wahrscheinlich nicht annähernd so produktiv laufen. Gleichzeitig bin ich besorgt über die Zukunft des Gremiums und des Senders. Vieles muss sich ändern, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk in 20 oder 30 Jahren überhaupt noch existiert. Für mich besteht kein Zweifel: Nur, wenn junge Menschen in diesen Prozess eingebunden werden, kann das funktionieren.
Die Staatskanzleien sehen dafür leider nicht alle Bedarf – in meinen Gesprächen habe ich öfter gehört, dass auch ältere Menschen neugierig seien und sich in die jungen Zielgruppen hineinversetzen könnten. Das deckt sich zwar leider nicht mit meinen praktischen Erfahrungen im Ausschuss, aber der gute Wille soll ja zählen. Dass selbst mein altes Kindheitsidol Thomas Gottschalk, mittlerweile von herbst- zu winterblond fortgeschritten, den Wert junger Menschen in den Gremien abstreitet, hat mich ein wenig enttäuscht. Aber seine Karriere ist wohl auch nicht mehr von ihnen abhängig.