Am Wirecard-Skandal haben sich schon mehrere TV-Projekte versucht. Etwa die hervorragende Dokumentation von Produzentin Gabriela Sperl und Team für Sky und die ARD, die auch für den Deutschen Fernsehpreis 2021 nominiert war, sowie der etwas voreilige Doku-Thriller „Der große Fake - die Wirecard-Story“ von UFA Fiction für RTL+ (damals noch TVnow), in dem Christoph Maria Herbst zwar als Wirecard-CEO Markus Braun glänzte, es aber dann doch nicht allein tragen konnte.
In der jetzt erschienenen neuen Netflix-Serie „King of Stonks“ ist es Matthias Brandt, der den Chef eines Online-Zahlungsdienstleisters spielt - und dabei so virtuos aufspielen kann, weil sich die Serie der Showrunner und btf-Geschäftsführer Matthias Murmann und Philipp Käßbohrer glücklicherweise von einer zu engen Assoziation mit dem Fall Wirecard trennt, was das UFA-Projekt für RTL+ bremste. Das schont nicht nur die Budgets für mögliche juristische Auseinandersetzungen - es hilft eben auch der Qualität dieser bitterbösen Serie.
Um was geht es also in den sechs Folgen? Erzählt wird der mit zahlreichen Tricks bewältigte Aufstieg und Fall eines natürlich völlig fiktiven Online-Zahlungsdienstleisters mit Sitz in Düsseldorf (was bei einer Kölner Produktionsfirma fast schon ein Politikum für sich ist). Es geht um schmutzige Vergangenheit, großspurige Ankündigungen und ein eigentlich schleppendes Geschäft. Flotte Sprüche in teuren Anzügen vermitteln ab und an "Suits"-Vibes - nur eben ohne Gewissen.
Zweitrangig wird, wie nah oder fern sich „King of Stonks“ an dem realen Finanzskandal von Wirecard aufhängt. Die von Käßbohrer geschriebene Geschichte befreit sich von den Fesseln des ohnehin merkwürdigen Genres eines Dokudramas, kann also völlig eskalieren und wird dabei über die sechs Folgen zu weit mehr als nur einer Aufarbeitung des Wirecard-Skandals, denn: "Zu jedem Betrüger gehört jemand, der betrogen werden will" heißt es in der Serie. Und das bringt die eigentliche Dimension auf den Punkt.
Wir bekommen eine Satire als Sittengemälde einer irrwitzigen Branche, nicht nur eines einzelnen Marktteilnehmers. „Seien wir mal ganz ehrlich: ohne zweifelhafte Firmengeschichte hat es in Deutschland noch keine Firma nach ganz oben geschafft“, heißt es in der Serie. Auch andere bekommen ihr Fett weg. Es ist eine mit dem breitestmöglichen Grinsen vorgetragene Kritik an der ominösen Deutschland GmbH - also nicht die der schwurbelnden Verschwörer, sondern jene Reihe an Unternehmen, die vor 20 Jahren als das solide Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft galt.
Den spektakulären Höhenflug eines Online-Zahlungsdienstleisters, egal ob jetzt real oder fiktional, haben erst andere möglich gemacht, die nicht kontrollierten oder sich blenden lassen wollten. Mechanismen haben versagt oder wurden sich für die eigene Sache zu Nutze gemacht. So fiebert man anfangs sogar noch mit, insbesondere beim von Thomas Schubert gespielten COO des in der Serie CableCash genannten Unternehmens. Unglaublich womit man so durchkommt, denkt man sich - und weiß nicht recht, ob man lachen soll.
„Scheiß auf das Produkt. Die Aktie ist unser Produkt. Die Anleger sollen kriegen was sie sich wünschen!“. In Person von Matthias Brandts Darstellung des CEO Magnus A. Cramer, der sonnengebräunt mit künstlichem Gebiss die manischsten Szenen hat, führt die unter der kreativen Lead-Regie von Jan Bonny entstandene Serie vor Augen, wie sich realer Wert und Wahrnehmung im modernen Finanzzirkus voneinander entfernen. Wie der Wahnsinn in Form von hemmungslosen Partys und exzentrischen Launen dargestellt wird, trägt dabei unverkennbar die Handschrift der btf.
Gut, klar, das Image der hemmungslosen Finanzwelt ohne jedes Maß gab es schon immer. Ist das also neu? Nein, aber der reale Fall Wirecard bestätigte: Die Realität kann sogar noch sehr viel schlimmer sein. Diese sechsteilige Miniserie ist deshalb eine dringend benötigte Genugtuung für das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden. Juristische Aufarbeitungen dauern oft, diese schallende Ohrfeige jetzt kommt schneller. Die Finanzbranche bekommt mit popkulturellen Mitteln der Serien-Unterhaltung den Spiegel vorgehalten - und wird ausgelacht von einem famosen Matthias Brandt.
Das haben die sich - und wir uns - verdient.
Die sechsteilige Staffel von "King of Stonks" ist jetzt bei Netflix abrufbar