Ziemlich genau eine Minute lang frisst sich zu Beginn des Pilotfilms der RTL-Reihe "Einsatz in den Alpen" eine spektakuläre Gerölllawine Richtung Tal, frisst dabei nicht nur einen Polizeihelikopter auf, sondern verschlingt fast auch den Ermittler Tom (Jochen Matschke) und Pilotin Nina (Agnes Decker).

An (Natur-)Spektakel fehlt es "Einsatz in den Alpen" also keinesfalls und das dürfte auch an den Menschen hinter der Kamera liegen. Regisseur Ralph Polinski bringt reichlich Action-Erfahrung mit, arbeitete früher nicht nur für "Alarm für Cobra 11", sondern auch andere Kracher wie "Lasko" oder "Wilde Engel". Autor Timo Berndt bringt derweil reichlich Erfahrung in Sachen (öffentlich-rechtlicher) 90-Minüter mit, erdenkt sich Fälle und Figuren zahlreicher Reihen, etwa "Die Toten vom Bodensee", "Friesland", "Marie Brand" oder auch die mitunter ebenfalls mal tatkräftiger hinlangende "Sarah Kohr". Christian Paschmann blickt bei seiner Kameraarbeit auf die Erfahrung der Produktion von über 80 "Cobra 11"-Folgen, arbeitete zudem schon für das ebenfalls actionlastige "IK1".

 

Sie lassen in der ndF-Produktion einen Armbrustkiller auf die Bergbevölkerung los, mit dem einer der Helden dieses Films, Tom, noch eine Rechnung offen hat. Eines der Opfer des Killers war seine Freundin, was schnell auch seinen unglaublichen Ehrgeiz erklärt, den Täter dingfest zu machen. Und mit dem Abgang der Lawine, die zumindest augenscheinlich auch den Killer unter sich begräbt, ist nicht nur das spektakuläre Opening beendet, sondern auf den ersten Blick auch der Fall gelöst. Doch Autor Timo Berndt wäre nicht ein derart begehrter Schreiber, wenn er für die verbleibenden rund 80 Sendeminuten nicht noch jede Menge Überraschungen im Gepäck hätte und sich im Laufe des Falls die stets vor hübschem Berg- und Talpanorama stehenden Figuren nicht noch mehrmals wundern würden.

Ähnlich wie bei "Balko Teneriffa" ist auch bei diesem Crime-Piloten die Natur eine der Nebendarstellerinnen. Waren es in der Vorwoche Sonne, Strand und Meer, sind es diesmal Unmengen von Gestein, atemberaubende Gipfelbilder und wunderbare Blicke in die Täler am Alpenrand. "Die Bergretter" lassen grüßen. In dieser Umgebung sind also die neuen, ungewöhnlichen und zum Teil in ihrer Charakterstruktur kaum greifbaren Ermittelnden angesiedelt. Da wäre einerseits Einzelgänger Tom, der eigentlich gerade undercover in der Drogenszene ermittelt und im Verlauf des Films Probleme bekommt, weil er bei seinem anfänglichen Einsatz in höheren Lagen unter Drogeneinfluss stand. Peter Fieseler spielt Toms Bruder Sebastian Falk – und natürlich handelt es sich dabei gemäß Reihenbeschreibung "um ein ungleiches Brüder-Paar". Er ist SOKO-Leiter, was nicht zuletzt an seinem überlegten und gewissenhaften Handeln liegt.

Einsatz in den Alpen - Der Armbrust-Mörder © RTL / Stefanie Leo Bösewichte auf hügeligem Gelände: Nicht stolpern, heißt es bei und für "Einsatz in den Alpen".

Sebastians Ex-Frau mischt ebenfalls mit: Alissa Jung, die sich zuletzt in großen TV-Produktionen rar machte, ist als Staatsanwältin zu sehen. Und dann wäre da noch ein ganz besonderer Kollege namens Polle, an dessen Figurenentwicklung sämtliche Schreibende vermutlich massig Spaß gehabt haben dürften. Polle ist nämlich der komischste Kauz der neuen Reihe, weil er autistische Züge zu haben scheint, stets im Doppelpack mit einem Esel auftaucht und mitunter Selbstgespräche führt. Als ehemaliger Gebirgsjäger ist er am Gewehr aber unschlagbar. Aus der Klischeekiste ist die Geschichte um Pilotin Nina, die als Frau einen schweren Stand in der von Männern dominierten Einheit hat – besonders jetzt, nachdem ihr Heli nur noch Schutt und Asche und zudem unter Tonnen von Gestein begraben ist.

"Einsatz in den Alpen" verzichtet, anders als "Balko Teneriffa", fast gänzlich auf das Untermischen humoriger Töne. Das lässt etwas Leichtigkeit verloren gehen, die auch das teils digitale Hintergrund-Bergpanorama nicht auffangen kann. Mit dem ehemaligen Tennisspieler Jochen Matschke (immerhin mal Rang 897 in der Weltrangliste!), der vor allem in der 2020 erstausgestrahlten Komödie "Zum Glück gibt's Schreiner" positiv auffiel, aber auch "In aller Freundschaft"-Fans dank seines Mitwirkens in einer wiederkehrenden Rolle noch in Erinnerung sein dürfte, haben ndF und RTL eine der Hauptrollen mit einem in diesem Genre als Ermittler noch weniger bekannten Gesicht besetzt. Zusammen mit Peter Fieseler ("Großstadtrevier", "Die Heiland") gibt er ein gleichermaßen ungewöhnliches wie faszinierendes Duo.

"Medicopter", "Motorrad-Cops" und Co.

"Einsatz in den Alpen" hebt sich – nicht zuletzt wegen des hohen Actionanteils – klar von anderen, öffentlich-rechtlichen Krimireihen ab. Der Pilot ist mehr "Medicopter 117", "Cobra 11" oder "Motorrad-Cops" als eine Anlehnung an die sehr erfolgreichen 90-Minüter von ARD und ZDF. Das mag bei der Komposition stimmig wirken und doch scheint der Weg, den diese Reihe vor sich hat, nicht zuletzt auf Grundlage jüngster Erfahrungen in Sachen Publikumsresonanz ähnlich steinig wie die Vielzahl der gewählten Drehorte.

 

Gut möglich, dass die Quotenkurve ähnlich rasch und schnell in die Tiefe rauscht wie jene Gerölllawine, es könnte sich förmlich ein Wettrennen um den schnelleren Absturz entwickeln. "Einsatz in den Alpen" ist ein gut besetzter, (optisch) stark inszenierter 90-Minüter, dem Leichtigkeit fehlt. Möglicherweise sind die vorkommenden Charaktere zu ungewöhnlich für das Publikum eines Senders, der in der vergangenen Dekade kaum auf neue Krimis, geschweige denn auf Krimireihen gesetzt hat.

"Einsatz in den Alpen": Schon jetzt auf Abruf bei RTL+, am Donnerstag um 20:15 Uhr linear bei RTL.

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