Mit einem großen Serienaufschlag will die ARD neue Zielgruppen erschließen. Gleich sechs Dramedys unter der Feder von MDR, WDR und One erweitern das Angebot der Mediathek. Thematisch reicht das Serienkonglomerat von der mobilen Pflege in Thüringen über ein Kleinstdorf in Sachsen-Anhalt bis in den Waschsalon in der Großstadt. Einen tut sie dabei vor allem ihre kurze Episodendauer: Jede Serienfolge dauert nur rund zehn Minuten. Entstanden sind die Formate beim WDR in einer Serienchallenge, in der das Publikum nach einer Pilotfolge darüber entschied, ob eine volle Staffel folgen sollte. Beim MDR wurde widerum nach Ideen für Webserien gesucht, die das "ländliche Leben in Mitteldeutschland unter die Lupe nehmen", drei Vorschläge bekamen den Zuschlag.
All In
Produktion: Lukas Lankisch, Regie: Daniel Popat, Marco Hülser, Buch: Daniel Popat, Marco Hülser, Sender: One
© Degeto/Filmakademie Baden-Würtemberg/Markus Ott
Am besten kann man sich das Semesterprojekt der Studenten Daniel Popat, Lukas Lankisch und Marco Hülser als kontemporäre Interpretation der "Dick und Doof"-Formel vorstellen: Im Fokus steht die Dynamik zwischen zwei schrägen Underdogs, der eine autoritär und körperlich überlegen, der andere unsicher und zurückhaltend. Statt Stan & Ollie sind es im Falle von "All In" Uwe und Jamu, die beide in einer schwierigen Lebenssituation stecken: Der aus Indien stammende Jamu hat mit seiner abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis zu kämpfen, während der selbsternannte "Erfolgstyp" Uwe nach dem Rausschmiss durch seine Frau ein Bett für die Nacht braucht – und es bei Jamu findet. Was folgt, ist ein lautes, rasantes Abenteuer durch die Stadt, das nach einer impulsiven Heiratsentscheidung der ungleichen Freunde in einer wilden Flucht vor der Ausländerbehörde endet. Funktionieren tut das alles völlig ohne Drehbuch, professionelle Darsteller, Licht oder Szenenbild – ganz im Stile des Indie-Genres Mumblecore. Vor diesem Kontext kann man "All In" auch den Kritikpunkt verzeihen, dass man all die Slapstick-Witze, die ohne Pause in blitzschnellem Schnitt aneinandergereiht werden, zuvor schon zig Male gesehen hat. Wirklich neu ist hier auch bei all der politischen Unkorrektheit, die an den Tag gelegt wird, nichts. Durch das rasante Tempo kommt aber zumindest keine Langeweile auf. Die hemmungslose Reise der zwei endet schneller als man gucken kann…
Die Pflegionärin
Produktion: Cross Media Medienproduktion (Johanna Teichmann), Regie: Judith Bonesky, Buch: Judith Bonesky, Sender: MDR
© MDR/Chris Riebe/Cross Media
Pflegerin Caro (Benita Sarah Bailey) düst in "Die Pflegionärin" als mobile Pflegerin durch thüringische Dörfer, die Gedanken immer zwischen ihrem vollen Dienstplan und dem siebenjährigen Luca, um den sie sich als alleinerziehende Mutter kümmert. Im Zentrum jeder Folge steht eine von mehreren pflegebedürftigen Personen, die alle mit ihren eigenen skurrilen Persönlichkeiten daherkommen. Ab und an drückt Caro zwischen Patientenbesuchen dann überlastungsbedingt das Gaspedal ihres Kleinwagens durch und muss irgendwie mit den Anbändel-Versuchen des Streifenpolizisten Ronny zurechtkommen. Das ist nett – um "den Finger in die Wunde" der Missstände in der Pflege zu legen, wie der Sender beteuert, aber doch zu seicht. Selbst inszenatorisch sorgt "Die Pflegionärin" immer wieder für Fragezeichen, wenn Caro beispielsweise die vierte Wand durchbricht und mit belehrendem Blick in die Kamera einen One-Liner in den Raum wirft. Der scheint nur dazu da zu sein, um möglichst plakativ das Verständnis dafür sicherzustellen, wie hart ein Pflegejob doch sei, wenn nur ein "trockener Tag" einer an Blasenschwäche leidenden Patientin ein Garant dafür ist, die abendlichen Freizeitpläne einhalten zu können. Das ist zwar Realität, über die hausbackene und eindimensionale Verdeutlichung des Slogans "Pflege ist nichts für Feiglinge!", mit dem der MDR die Streaming-Serie bewirbt, gelangt "Die Pflegionärin" auch damit jedoch nicht hinaus.
Muspilli
Produktion: Granvista Media (Nahuel Lopez), Regie: Nahuel Lopez, Buch: Nahuel Lopez, Lars Lindigkeit, Oliver Kreidel, Sender: WDR
© WDR/Jan Riephoff
Verschwörungstheorien treffen auf eine bipolare Störung. So verrückt wie diese Mischung klingt, ist "Muspilli" auch. Ein Date zwischen dem paranoiden Ove und der manisch-depressiven Fina bildet in der zehn Minuten kurzen Pilotfolge den Beginn der Serie – und kommt da noch als spritzige Beobachtung der wirren Begegnungen innerhalb eines aktiven Dating-Lebens daher. Wenn Ove beispielsweise das Bücherregal in Finas Wohnung untersucht, um mögliche Gemeinsamkeiten im literarischen Geschmack (oder in Sachen Verschwörungstheorien) zu finden; oder wenn Fina rätselt, wie ernst Oves Witz über Schnitzel aus Menschenfleisch gemeint ist, dann ist das erstaunlich amüsant. Die wirren Köpfe der beiden geben dem so oft behandelten First-Date-Szenario einen frischen Kick… bis das Date dann plötzlich aus dem Ruder gerät und sich die Serie in den folgenden Episoden zu einer völlig abstrusen Reise durch die Vergangenheit und Zukunft der beiden entwickelt. Die entwickelt leider nie den treibenden Sog des vergleichbar geschnittenen Netflix-Originals "How to Sell Drugs Online (Fast)", sondern wirkt überraschend schnell einfach nur albern. "Muspilli" macht nämlich den Fehler, nicht dabei zu bleiben, Alltagssituationen humoristisch mit der Gedankenwelt psychisch Erkrankter in Verbindung zu bringen, sondern erzählt immer absurdere Szenarien, die schnell ihren Reiz verlieren.
Ollewitz
Produktion: Cine Impuls Leipzig (Anke Kossira), Regie: Mareike Engelhardt, Buch: Tobias Rohe, Sender: MDR
© MDR/Cine Impuls/Anika Dollmeyer
Mutter und Tochter kehren aus der Großstadt in ihre eigentliche Heimat zurück: ein sachsen-anhaltinisches Dorf namens [Ollewitz mitten im Nirgendwo, von ehemaligen Bewohnern liebevoll "Höllewitz" genannt. Ganz im Mittelpunkt des Dorfes steht – natürlich – der lokale Fußballverein FC Vorwärts Ollewitz unter der Leitung des schrulligen Cheftrainers Dirk Würfel (Stephan Grossmann), für den der Klassenerhalt in der Kreisliga mit einem persönlichen Weltmeister-Titel gleichkommt. Das Aufs Korn Nehmen der gängigen Dorfklischees, das sich durch die gesamte Serie zieht, verlässt sich aber nahezu durchgehend darauf, wie amüsant die "zurückgebliebenen Hinterwäldler" in ihrer "Einfältigkeit" doch seien. Wenn die frühere Spitze des Vereins wie selbstverständlich zwei Meter neben dem Fußballplatz beigesetzt wird und schief von den jugendlichen Spielern besungen wird, bringt das immerhin noch ein wenig zum Schmunzeln. Was dann aber folgt, ist ein stumpfes Belustigen über Bildungslücken in der Landbevölkerung, in denen die Einfälle kaum über öde Witze darüber hinausgehen, ob jemand Luftspiegelungen als "Fata Morgana" oder "Fata Organa" bezeichnet… Vermutlich hätte die Produktion von Cine Impuls Leipzig zum Anfang der 2000er noch ein Publikum gefunden, heute sollte man sich lieber anderswo umschauen.
Saubere Sache
Produktion: Coin Film (Christine Kiauk, Herbert Schwerin), Regie: André Erkau, Buch: Michael Gantenber, Sender: WDR
© WDR/Coin GmbH/Tom Trambow
Wer mal regelmäßig einen Waschsalon besuchen musste, weiß, wie sich über den zahllosen XXL-Trommeln ein eigener kleiner Mikrokosmos aufbaut. In dieser Welt, in der fehlende Wechselgeldautomaten und ständig defekte Maschinen die größten Sorgen ihrer Bewohner sind, setzt die Coin Film-Serie "Saubere Sache" an. Paula und Juri begegnen sich Woche für Woche im Waschsalon und wandeln die Automaten während ihrer Wascharbeit in eine temporäre Wohnlandschaft für Zwei um. Im Schnelldurchlauf werden die gängigen Bummeleien durchgespielt, mit denen die Stunde Wartezeit zu überbrücken ist: Das Rätseln über den Inhalt eines Paketes der verloren wirkenden Frau, die sich jede Woche mit dem Anstarren leerer Wäschetrommeln begnügt. Oder das Alltagsphilosophieren über Fragen wie, "Was ist eigentlich der perfekte Moment?". Es sind Momente, die zumindest regelmäßige Besucher einer Münzwäscherei häufig wiedererkennen dürften. Doch auch für andere dürfte "Saubere Sache" etwas sein: Denn die Dialoge zwischen Paula und Juri, die sich durch jede der acht kurzen Folgen ziehen, sind präzise, authentisch und vor allem kurzweilig geschrieben.
Straight Outta Crostwitz
Produktion: Katapult Filmproduktion (Alexander Kiening, Ingo Georgi), Regie: Daniel Lwowski, Andreas Nowak, Buch: Joe von Hünerbein, Sender: MDR
© MDR/Diane Betties
Die Sorbin Hanka (Jasna Fritzi Bauer) will statt ihres Daseins als Lausitzer Volksmusikerin Karriere auf der Straße als Gangster-Rappin machen. Als Hanka kurzerhand von Zuhause ausbricht, um ihrer Rap-Leidenschaft nachzugehen, verkleidet sie sich auf Anraten ihres Bruders (Steven Preisner) als Mann, um sich bei einem Rap-Battle einen Namen zu machen. So kurz lässt sich die Idee und Handlung von "Straight Outta Crostwitz" zusammenfassen – eine Culture-Clash-Komödie in kondensierter Form. Dass das recht gut funktioniert, liegt vor allem daran, wie eng sich die Macher von Katapult Filmproduktion an den gängigen Genre-Katalog gehalten hat: Sorbische Kultur und Hauptstadt-Mentalität treffen scheinbar unvereinbar aufeinander, was vor allem an Hankas übermäßig störrischem Vater (hervorragend gespielt von Volker Zack) liegt, und werden mitsamt ihrer Sitten und Gebräuche mittels Situationskomik gegenübergestellt. Bei all dem kommt die sorbische Kultur zugunsten der in der Realität häufig toxisch-männlichen Hiphop-Welt ganz schön schlecht weg – Hankas Desillusionierung steht zumindest nach den ersten Folgen also noch aus. Fest steht, dass allein die Sichtbarkeit der sorbischen Community aus "Straight Outta Crostwitz" etwas Besonderes macht: Wie oft bekommt man diese Kultur im deutschen Fernsehen (oder Mediathek) schon zu sehen? Auch dank der Liebe zum Detail ist "Straight Outta Crostwitz" einen Blick wert. Äußern tut sich das unter anderem in inszenatorischen Spielereien, wie das verwendete enge 4:3-Format als filmisches Symbol für das enge Korsett das Hankas Vater seiner Tochter auferlegt…