Herzlich willkommen zur zweiten Staffel von „Kevin Kühnert und die SPD“. Spätestens wenn auch hier Lars Klingbeil (SPD) auftaucht und wir z.B. mit Johannes Vogel (FDP) wieder einen Jungpolitiker samt Pressesprecher von Termin zu Termin rennen sehen, wie sie nebenbei Kommunikation koordinieren und immer das Smartphone in der Hand haben, dann fühlt sich dieser Backstage-Blick auf das politische Berlin an wie die hervorragende Doku-Serie von Katharina Schiele und Lucas Stratmann, die in ihrer Erzählung mit der Bundestagswahl 2021 endete.

„Die Gewählten“ vom SWR fängt genau damit an, war also schon in Vorbereitung als „Kevin Kühnert und die SPD“ noch nicht erschienen war. Die Inspiration liegt aber auf der Hand. Die ersten vier Folgen sind jetzt veröffentlicht, zunächst in der Mediathek, jetzt auch im SWR Fernsehen. Weitere Folgen sollen kommen. Aber lohnt es sich? Wer einen Blick hinter die Kulissen werfen will, bekommt den auch bei dem neuen SWR-Projekt. Einige Momente, Reaktionen und Emotionen die hier eingefangen werden, helfen ebenso wie das Langzeit-Projekt mit Kevin Kühnert beim Verständnis des Berliner Politapparats. 

Doch bedauerlicherweise bekommt man bei „Die Gewählten“ auch noch zwei Presenter: Die beiden Podcaster Miriam Davoudvandi ("Danke, gut") und Jan Kawelke ("Machiavelli“), die nicht nur mit den begleiteten Politikerinnen und Politikern sprechen, sondern sich auch untereinander austauschen. Was vermutlich die Zugänglichkeit erleichtern soll, wirkt furchtbar aufgesetzt. Viel zu wenig passiert als dass ein Austausch über die Gespräche unter den beiden Presentern ergiebig wären, wenigstens Sinn ergeben würde. 

Ärgerlich ist auch die Inkonsistenz bei der Schlaumeierei. Immer wieder fallen aus dem Off Kommentare wie „Wenn Georg Günther gewusst hätte, was an diesem Abend noch auf uns zu kommt“, „Armin Laschet wird kurz danach als Parteivorsitzender zurücktreten“ oder „Zwei Monate später ist Friedrich Merz von der CDU-Basis zum Parteichef gewählt worden“. Die beiden Presenter und die Zuschauerinnen und Zuschauer sind also beim Schauen von „Die Gewählten“ so viel schlauer als die porträrtierten Politikerinnen und Politiker. Wir wissen bzw. sollen dank der Sendung wissen, was passieren wird.

Leider macht das Format damit einen großen Fehler und schafft - anders als „Kevin Kühnert und die SPD“ - nicht das Gefühl, ein wertvolles Zeitdokument zu verfolgen. Wo man beim NDR-Projekt den Abstieg und Aufstieg der SPD frei von Verweisen auf das was passieren wird mitfühlen konnte, baut „Die Gewählten“ vom SWR leider durch seinen Stil schon Distanz auf: Die gezeigten Politikerinnen und Politiker und ihre Aussagen zum jeweiligen Moment wirken mitunter lächerlich gemacht durch die Schlaumeierei aus dem Off, weil sich die Presenter über das Zeitdokument erheben.

Regelrecht fuchsig werden kann man dann, wenn diese Schlaumeierei nicht einmal konsequent durchgehalten wird. Während ständig Anspielungen auf das gemacht werden, was noch passieren wird, fällt dann aber wiederum zu Bildmaterial am Abend der Bundestagswahl aus dem Off der Kommentar zu Olaf Scholz „Er wird jetzt also vielleicht der neue Bundeskanzler“. Also was denn nun? Es würde einem im Grundsatz interessanten Doku-Projekt helfen, wenn man sich vor dem Dreh oder aber bei der Postproduktion Gedanken gemacht hätte, welche Haltung man bei der Erzählung einnehmen will. 

Die Stärke von „Kevin Kühnert und die SPD“ lag in der Konsistenz der Erzählung - und dem allen Beteiligten so völlig ungewissen Ausgang, der aus Sicht des Storytelling mit dem Sieg der SPD bei der Bundestagswahl 2021 natürlich nicht besser hätte enden können. Eine Heldenreise, die anfangs so überhaupt nicht absehbar war und sich auch verkneifen konnte, den Lauf der Dinge vorweg zu nehmen. Ohne Presenter überließ „Kevin Kühnert und die SPD“ die Deutung der aktuellen Situation der SPD allein den Zuschauerinnen und Zuschauern. Beim SWR fragt man sich, ob es eher um die Gewählten oder die Schlaumeier gehen soll.

"Die Gewählten" läuft seit dem 27. Januar in der ARD-Mediathek und bekommt im SWR-Fernsehen den hervorragenden Sendeplatz in der Nacht zu Freitag um 0.45 Uhr. Am 7. Februar läuft im Ersten ein 60-minütiger Zusammenschnitt. Vier weitere Folgen sollen im Frühling folgen.