Es gibt gerade heutzutage nicht mehr allzu viel, bei dem Menschen einer Meinung sind. Bei der Phrase "Mama ist die Beste" trifft das aber in den meisten Fällen zu. Wenn Mama aber früh, zu früh, aus dem Leben gerissen wird, ist das für Familien ein gewaltiger emotionaler Einschlag – und zuletzt ein mehrfach erzählter Ausgangspunkt von Dramaserien. Emma Friedmann in "Friedmanns Vier" (RTL+) etwa wird durch einen Autounfall unvermittelt aus dem Leben gerissen, sie hinterlässt eine in der ersten, acht Folgen umfassenden, Debütstaffel struggelnde Familie rund um Vater Mischko und die Kinder Tilda, Maya und Carl*a. Elli May hat ebenfalls drei Kinder: Lennart, Lisa und Leon - und auch sie kann sie nicht aufwachsen sehen.



Dass sie am 13. Geburtstag von Lisa nur via Laptop zur Teenagerin spricht, hat gute Gründe, wie das Fernsehpublikum in der von Pyjama Pictures kommenden Dramaserie "Nachricht von Mama" recht bald erfährt. Was Lisa an ihrem Ehrentag zu sehen bekommt, ist einer von unzähligen Filmclips, einer schier liebevoller als der andere, den Elli in den letzten Wochen und Monaten ihres Lebens aufgenommen hat. Gezeichnet von einem längeren Kampf gegen den Krebs, einem Kampf, den die von Jessica Ginkel liebevoll gespielte Mutter nicht mehr länger bereit war zu führen. Einen ganzen Koffer voller USB-Sticks hat sie – fein säuberlich für sämtliche Lebenslagen sortiert – hinterlassen. Mama bleibt also (irgendwie) da. Aber ist es überhaupt gut, wenn Mama in anderer Form in das Familienleben involviert bleibt, obwohl sie nicht mehr da ist? Das ist eine der Fragen, die die Serie fein akzentuiert im Hintergrund aufwirft. Ohne Zweifel: Hinterlassen hat Elli zunächst einmal jede Menge Trauer. Bei ihren Kindern, bei ihrem Mann Tobias (Golo Euler) und bei ihrer eigenen Mutter Claudia.

Nein, "Nachricht für Mama" drückt nicht sinnlos auf die Tränendrüse, sondern erzählt ehrlich und aufrichtig, gefühlvoll und lebensnah eine Geschichte eines großen Verlusts. Eine Geschichte einer in Teilen dysfunktionalen Familie, denn irgendwie stimmt da was nicht zwischen Papa Tobias und dem Kleinsten, Leon, der jede Nacht abhauen möchte, weil das Leben für ihn gerade wohl zum Abhauen ist und weil er nicht so wirklich etwas richtig machen kann. Warum diese Spannung da ist zwischen Vater und Kind, das wird zunächst nicht ersichtlich – ahnen aber kann man, es könnte damit zusammenhängen, dass Elli bereits schwanger war, als sie von der Krebserkrankung erfuhr. "Versprich mir, niemand ist schuld, außer dieser verdammte Krebs. Alles andere macht unsere Familie kaputt", wird Elli irgendwann in ihren Laptop hinein erklären, da sie bereits ahnte, dass Tobias mit ihrer Entscheidung hadern wird, das Leben ihres ungeborenen Sohns über ihr eigenes Überleben zu stellen. "Versprich mir, niemand ist schuld", sind somit auch die Worte die – viele Wochen oder Monate später – aus dem Laptop heraus zu Tobias sprechen.

Nah und doch entfernt

In diesen Szenen stört etwas. Es stört, dass sich Elli und Tobias nah scheinen, obwohl sie doch so weit entfernt sind. Dieser Laptop, all das Technische, das ist nicht so, wie es sein sollte. Genau damit weiß Regisseur Felix Binder zu spielen und sein Kameramann Thomas Schinz Nähe und Entfernung zugleich einzufangen.

Obwohl nicht mehr da, ist Elli in ihrer Familie noch omnipräsent. Als sie Tochter Lisa an ihrem 13. Geburtstag rät, "mal was ganz Verrücktes zu machen", rasiert sich diese schnurstracks sämtliche Haare ab – und läuft, ähnlich wie Figur Carl*a in "Friedmanns Vier, wenn auch dort aus gänzlich anderem Grund – fortan mit kurzgeraspelten Haarstoppeln durch die Serie. Und dann wäre da noch Lennart, der sich seit Monaten in seinem Zimmer eingesperrt hat und deshalb für die Familie (und zunächst auch das Publikum) nicht präsent ist, weil der Schmerz des Verlustes so allgegenwärtig ist.

"Nachricht für Mama" lässt an einigen Stellen eigene Deutungen der Szenen zu, die von Suki Maria Roesse, Sabine Leipert und Claudia Leins geschriebenen Bücher erklären nicht alles bis ins letzte Detail. So bleibt auch fraglich, warum Papa Tobias am Computer gerne mit dubiosen Erotik-Chaträumen liebäugelt und sich schließlich dort auch einwählt. Ist es seine eigene Art und Weise der Schmerzverarbeitung oder steckt mehr dahinter? Denn schon recht früh ist klar, dass Elli ein großes Geheimnis mit in den Tod nahm. Das Geheimnis einer leidenschaftlichen Affäre mit Till, gespielt von "Club der roten Bänder"-Star Tim Oliver Schulz. Ein Kunde ihrer Buchhandlung, der ihr - offenbar nichts wissend von der Krebserkrankung -  ohne Mitleid entgegentrat. Nur Katrin, Ellis beste Freundin, war in die Affäre eingeweiht und diese ist der Meinung, Tobias sollte davon nichts wissen. Katrin liefert mit ihrer Figur derweil einen der wenigen Geschichtenstränge, der von etlichen anderen Dramen abgenutzt scheint. Denn, auch wenn sie mit ihren Gefühlen hadert; natürlich will sie längst mehr als nur Freundschaft vom gebrochenen Familienvater – und natürlich ist Tobias viel zu beschäftigt mit Gott und der Welt, um das, was der TV-Zusehende nach sieben Sekunden merkt, selbst festzustellen.

Auch wenn "Friedmanns Vier" und "Nachricht von Mama" eine vergleichbare Familienkonstellation erzählen, auch wenn sich einige Szenen und Verhaltensmuster, ziemlich ähneln, so gehen beide Serien im Verlauf einen anderen Weg. "Friedmanns Vier" wird fröhlicher, leichter, lockerer und hintergründiger erzählt, was nicht zuletzt an der dortigen Vater-Figur Mischko liegt. "Nachricht für Mama" ist schwerer, dunkler, ebenso emotional und ergreifend – und letztlich sind beide Formate ähnlich sehenswert.

Für Sat.1, das zuletzt auf eigenproduzierte deutsche Serien weites gehend verzichtete und auch die Produktion von eigenen Filmen stark eingeschränkt hat, ist "Nachricht für Mama" freilich ein Wagnis. Müsste man prognostizieren, so wäre es vermutlich cleverer auf einen Flop zu setzen, darauf, dass "Nachricht für Mama" eine weitere Serie wird, die nicht zuletzt wegen ihres horizontalen Erzählbogens im linearen Fernsehen nicht in ausreichender Form angenommen wird. Selbst wenn's so sein sollte: Für die Branche hat "Nachricht für Mama" eine andere und sicher willkommene Botschaft: Es muss nicht immer nur Crime sein, gerade in Zeiten wie diesen sind emotionale Dramaserien im Familien- oder Freundesumfeld ebenfalls gefragt.

Sat.1 zeigt "Nachricht von Mama" ab Montag, 7. Februar 2022 um 20:15 Uhr in Doppelfolgen.