Ferdinand Wegscheider ist nicht irgendein Medienmanager in Österreich. Der ServusTV-Chef gilt als Pionier des Privatfernsehens in dem Land, in dem der öffentlich-rechtliche ORF noch so lange eine Monopolstellung hatte. Wegscheider war es, der in den 90er Jahren lange für legales Privatfernsehen kämpfte und dabei zeitweise sogar in einen Hungerstreik trat. Erst 2001, und damit als letztes Land in Europa, wurde das private Fernsehen in Österreich schließlich erlaubt. Das war auch der Verdienst von Ferdinand Wegscheider, der mit Salzburg-TV den ersten Privatsender gründete.
Aus diesem Salzburg-TV wurde 2009 ServusTV, Red Bull hatte den Kanal damals übernommen. Aufgrund unterschiedlicher Auffassungen trennte man sich von Wegscheider, holte ihn 2014 aber zurück. Zunächst als Ressortleiter für Information und Aktuelles, zwei Jahre später wurde er gar zum Senderchef ernannt. Und seither nimmt das Unheil seinen Lauf: Wegscheider wusste schon zu Zeiten von Salzburg-TV, dass er sich von der übermächtigen ORF-Konkurrenz abheben muss, um überhaupt eine relevante Anzahl an Menschen zu erreichen. Das macht er mit einiger Lautstärke auch bei ServusTV, die Kritik ist in den vergangenen Jahren aber immer härter geworden.
Schon die Politik zur Flüchtlingskrise von 2015 hat Wegscheider scharf kritisiert. Das hatte auch Auswirkungen im Programm: So gab der Sender einem bekannten Rechtsextremen eine Bühne, um in einer Talkshow über radikale muslimische Jugendliche zu sprechen. Bei "Talk im Hangar-7", so der Name der Diskussionssendung bei Servus TV, werden gerne Menschen eingeladen, die in Talkshows anderer Sender meist aus Gründen nicht eingeladen werden. Der Sender argumentiert, damit alle Seiten hören zu wollen. Oft ist das ein klassischer Fall einer falschen Ausgewogenheit, vor allem weil auch oft sehr radikale Stimmen zu Wort kommen.
ServusTV ist in Österreich stark gewachsen
ServusTV war in der Zeit, in der die Flüchtlingskrise ein großes Thema in allen Medien - sowohl in Deutschland als auch Österreich - war, noch vergleichsweise klein und unbedeutend. In den vergangenen Jahren hat der Sender seine Reichweite allerdings ausgebaut und ist heute der größte Privatsender in Österreich. Geschafft hat man das unter anderem mit teuer erkauften Sportrechten, aber nicht nur. Auch die Unterhaltungsschiene am Vorabend sowie die Nachrichten und die Heimat-Sendungen ziehen ein großes Publikum an. Wegscheider hat hier starke Aufbauarbeit geleistet, wenngleich er mit Red Bull immer einen finanziell starken Konzern in seinem Rücken weiß.
In den vergangenen zwei Jahren aber hat sich Wegscheider selbst, und mit ihm auch der ganze Sender, merklich radikalisiert. Eine Entwicklung, die ziemlich genau mit der Corona-Pandemie begann. Getrieben von dem Ansporn, sich auch hier vom scheinbar übermächtigen ORF abzuheben, schlug der Sender von Beginn der Pandemie an eine andere Richtung ein. So gab man dem umstrittenen Infektionsepidemiologen Sucharit Bhakdi eine große Bühne, die dieser auch nutzte - und die Menschen verunsicherte mit Aussagen, die schon damals völlig abwegig waren. DWDL.de dokumentierte das fragwürdige Vorgehen, das vom Senderchef ausging, damals.
Erst als sich Bhakdi dann antisemitisch äußerte, beendete ServusTV die Zusammenarbeit. Inzwischen braucht es aber keinen mehr wie Bhakdi, um zu zeigen, wie abstrus die Welt bei ServusTV geworden ist - das übernimmt Senderchef Ferdinand Wegscheider persönlich. In seinem wöchentlichen Kommentar-Format "Der Wegscheider" spricht er nun schon seit einigen Jahren über aktuelle Geschehnisse im Land. Und hier zeigt sich, wie abgedreht der Senderchef mittlerweile ist.
Die radikale Welt des Ferdinand W.
Zwei Ausgaben von "Der Wegscheider" stechen besonders heraus. Ende November kündigte der Senderchef in dem Format an, Fragen zu stellen - und das "stellvertretend für tausende Bürger". Was dann kam, war das 1:1 der Verschwörungserzählungen auf Telegram. Wie könne es sein, dass es mehr positiv Getestete gebe und auch mehr kranke Menschen im Krankenhaus, wo doch zum damaligen Zeitpunkt 70 Prozent der Bevölkerung geimpft seien? Könnte es vielleicht ein "bewusster Plan" der Regierung sein, dass diese nichts tue gegen den Fachkräftemangel in der Pflege? Wegscheider: "Wer hat die Macht, weltweit Regierungen, Ärzte und Medien zu dirigieren und anzuweisen, gemäß seinen Planspielen Lockdowns und Zwangsimpfungen zu verfügen?"
Mitte September sprach Wegscheider in seinem Kommentar außerdem zum Jahrestag des 11. September 2001. Er spielte mit der Erzählung, dass die Terroristen in den USA technisch gar nicht in der Lage gewesen wären, die Flugzeuge so zu steuern, wie sie es letztendlich taten (DWDL.de berichtete). Kritikern wirft der Senderchef vor, seinen Kommentar bewusst falsch zu interpretieren.
Es geht auch um Bill Gates
Es ist spannend zu sehen, wie sich die Argumentationslinie von Wegscheider geändert hat. 2017 erklärte er noch, ein Kommentar sei nie objektiv und müsse das auch nicht sein. Damit hat er freilich recht, aber auch in einem Kommentar müssen die Fakten stimmen. Inzwischen verweist der Senderchef gerne auf eine vermeintliche Satire, die seinem Wochenkommentar zugrunde liege. Damit sei alles erlaubt? Gut möglich, dass sich Wegscheider damit vor allem rechtlich absichern will. Wer sich die Sendung ansieht, kann selbst beurteilen, wie viel Satire Teil von "Der Wegscheider" ist. Alles in Allem ist es nicht unwahrscheinlich, dass Wegscheider keinen großen Plan verfolgt - sondern die Absurditäten, die er regelmäßig verbreitet, tatsächlich glaubt. Als er den "Salzburger Nachrichten" im Mai 2020 ein Interview gab, erklärte er, dass die Migrationspolitik oder Bill Gates Themen seien, die ihm "unter den Nägeln brennen".
Ganz genau: Bill Gates, der feuchte Traum einer jeden Verschwörungserzählung.
Er habe zum Microsoft-Gründer "einfach recherchiert", gab Wegscheider in dem Interview zu Protokoll. "Und da stolpert man halt zwangsweise über seine finanziellen Verstrickungen oder missglückte Impfaktionen. [...] Bill Gates hat auch selbst zu Protokoll gegeben, dass die globale Impfpflicht sein Ziel ist. Und Aussagen, dass die Weltbevölkerung reduziert werden sollte, stammen auch von ihm." Die Entwicklung der Weltbevölkerung sei eines der "wichtigsten Themen", so Wegscheider. Darüber müsse man eine seriöse Debatte führen. "Aber Menschen, die gezeigt haben, wie sie etwa bei Impfaktionen ihre Interessen brutal durchdrücken, dürfen meiner Ansicht nach gar nicht in die Nähe solcher Pläne kommen. Auch da stört mich wieder der Reflex: Jeder, der Bill Gates nicht super findet, ist ein Verschwörungstheoretiker. Da läuten bei mir die Alarmglocken."
Beschwerde bei Medienbehörde
Die Journalistenorganisation Presseclub Concordia hat vor einigen Wochen bei der Medienbehörde KommAustria Beschwerde gegen ServusTV und Ferdinand Wegscheider eingereicht. Der Presseclub verweist unter anderem darauf, dass der Wochenkommentar des Senderchefs nicht den journalistischen Grundsätzen entspreche. Die Organisation spricht von "falschen oder irreführenden Äußerungen, sowie einseitigen und unsachlichen Ausführungen". Die Rede ist auch von "systematischen Mängeln des Gesamtprogramms".
Eine Entscheidung der KommAustria ist in jedem Fall spannend, Kritiker des Senders sollten sich aber wohl nicht zu viel erwarten. "Systematische Mängel" festzustellen, ist gar nicht so einfach. Und natürlich ist es einem jeden Privatsender unbenommen, auch den größten Schwachsinn über den Äther zu jagen, die Fakten müssen halt stimmen. Das ist im Wochenkommentar des Senderchefs oft nicht gegeben. Im Restprogramm aber kann man wohl darüber streiten. Die Nachrichten von ServusTV heben sich ganz deutlich von denen anderer Sender, etwa des ORF, ab. Hier macht der Sender es aber etwas subtiler als im Holzhammer-Kommentar des Chefs. Da werden bestimmte Dinge oft einfach nicht genügend eingeordnet, sodass unbedarfte Menschen vor den TV-Geräten im Sinne des Senderchefs beeinflusst werden. Die professionelle Aufmachung und Machart der Sendung unterstreicht die Bedeutung des Gesendeten.
Kein Kontext und False Balance
Und auch in Dokus und Reportagen verbreitet ServusTV fragwürdige Ansichten. Erst in der vergangenen Woche zeigte man die Reportage "Im Stich gelassen – die Covid-Impfopfer". Auch hier das bewährte Muster: Unter dramatischer Musik erzählen einige Menschen von vermeintlichen Impfschäden. Oft sind die Erkenntnisse vage und die Protagonistinnen und Protagonisten können nicht einmal selbst sagen, ob bestimmte Nebenwirkungen durch die Impfung ausgelöst wurden. Es gibt auch keinerlei Einordnung, dass ein überwiegend großer Anteil der Corona-Impfungen ohne Probleme verläuft. Ein vermeintlicher Experte bringt in dem Film Corona-Impfungen in Verbindungen mit einer erhöhten Todesrate.
Sollten sich die Beobachtungen des Experten bewahrheiten, würden ähnlich viele Menschen an der Impfung sterben wie an Corona, heißt es in dem Film. Recherchiert man ein wenig, findet man schnell heraus: Der "Experte" wirft Studierenden eine "Cancel Culture" gegen ihn vor, außerdem ist er Mitglied im Verein Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie. 1. Vorsitzender des Vereins ist Sucharit Bhakdi. Im Herbst 2021 hat ServusTV zudem eine Doku über Corona-Kinderimpfungen gezeigt. Auch dort gab es fast nur kritische Stimmen. Die wohl bekanntesten stammten von Til Schweiger und Nina Proll ("Vorstadtweiber").
Die fragwürdigen ServusTV-Sendungen machen in der Gesamtheit nur einen kleinen Teil des Programms aus. Doch sie werfen inzwischen ein so schlechtes Licht auf den Sender, dass es konkrete Konsequenzen hat. Nach DWDL.de-Informationen gibt es Werbekunden, die dem Sender aufgrund der Ausrichtung abgesprungen sind. Sie wollen nicht mit der Marke ServusTV in Verbindung gebracht werden. Zu sehen bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer das natürlich nicht. Stornierte oder nicht gebuchte Werbeplätze werden schließlich anders gefüllt.
Werbekunden und andere Partner springen ab
In einem speziell gelagerten Fall wird nun aber sehr deutlich, wie sehr vor allem der Senderchef Ferdinand Wegscheider dem Kanal schadet. Nach DWDL.de-Informationen ist nämlich auch der Modehersteller Cinque von einer Kooperation mit ServusTV abgerückt. Cinque hatte Ferdinand Wegscheider bislang in seinem Wochenkommentar ausgestattet, das Logo des Unternehmens wurde am Ende einer jeden Sendung im Abspann eingeblendet. Bis Ende November 2021 war das so. Jetzt ist die Kooperation zwischen Mode-Unternehmen und TV-Sender beendet, wie Cinque gegenüber DWDL.de bestätigt.
Als Grund führt das Unternehmen die "fragwürdigen Aussagen, die Herr Ferdinand Wegscheider getroffen hat" an. Wenn Joanna Jarosz-Bahr, Vermarktungschefin bei ServusTV, in einem Interview mit dem österreichischen Fachdienst "Horizont" von Brand Safety spricht, die man den Kundinnen und Kunden biete, ist das auch ein Stück weit Autosuggestion. Wenn sie es lange genug wiederholt, glaubt sie selbst irgendwann daran - und mit ihr vielleicht auch genügend Werbekunden. Die Realität sieht längst anders aus.
Auf der anderen Seite hat der radikale Kurs des Senderchefs auch Auswirkungen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ServusTV, die sich seit einiger Zeit unangenehme Fragen anhören müssen, auch im privaten Umfeld. Das führt auch dazu, dass sich der Sender zunehmend schwer tut, geeignetes Personal zu finden. Wer es sich leisten kann, geht derzeit eher nicht zu ServusTV. "Der Standard" berichtete im Dezember von Kündigungen aus "moralischen Gründen". Viele im Unternehmen haben eine ganz andere Haltung als der Chef, aufbegehren will aber niemand.
"Wer hat die Macht, weltweit Regierungen, Ärzte und Medien zu dirigieren und anzuweisen, gemäß seinen Planspielen Lockdowns und Zwangsimpfungen zu verfügen?"
ServusTV-Chef Ferdinand Wegscheider stellt in seinem Wochenkommentar viele Frage - so wie dieser hier.
Zu präsent sind vielleicht noch die Erinnerungen an 2016, als Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz den ganzen Sender einstampfen wollte, weil einige Mitarbeitende die Gründung eines Betriebsrats planten. Zuletzt hat "Links.Rechts.Mitte"-Moderator Christoph Kotanko den Sender verlassen. Der Sender sei in Gefahr, die Unausgewogenheit, die er den sogenannten "Mainstream-Medien" vorwirft, selbst zu praktizieren, erklärte der Moderator. Politikanalyst und Medienberater Peter Plaikner schrieb in einer Analyse, Kotanko sei zu nobel, um den Grund seiner Entscheidung beim Namen zu nennen. "Es ist Ferdinand Wegscheider", so Plaikner. Kotanko hat Plaikner später zu der "pointierten" Einordnung gratuliert.
ServusTV ist in diesem Zustand nicht "brand safe"
Ferdinand Wegscheider profitiert aber auch oft genug von den Dummheiten anderer. Immer dann, wenn er von irgendjemandem als "Nazi" bezeichnet wird, kann er sich in eine Opferrolle begeben, und völlig zurecht darauf verweisen, dass das den Nationalsozialismus verharmlost. Auch die Tatsache, dass ein bekannter deutscher Investigativjournalist das Gerücht in die Welt gesetzt hat, der ehemalige "Bild"-Chef Julian Reichelt würde zu ServusTV wechseln, ist Wasser auf die Mühlen des Senderchefs, der sich über "Fake News" lustig macht. Und sicherlich nicht hilfreich war dann auch, dass zahlreiche, vermeintliche Qualitätsmedien die Meldung mit einem Fragezeichen brachten, ohne auch nur 5 Minuten in eine Recherche zu investieren.
Das ändert aber natürlich nichts daran, dass ServusTV unter Ferdinand Wegscheider ganz weit weg ist von der Bezeichnung "brand safe". Wegscheider bedient sich ganz bewusst rechter Rhetorik und grenzt sich nicht ab von Verschwörungstheoretikern und ihren Ansichten. Im Gegenteil: Der ServusTV-Chef nutzt regelmäßig entsprechende Aussagen und Argumentationen. Wenn er, wie in letzter Zeit geschehen, dafür kritisiert wird, suhlt er sich in Selbstmitleid und äußert die Befürchtung, mundtot gemacht werden zu sollen.
Ferdinand Wegscheider nimmt die Spaltung der Gesellschaft damit ganz bewusst in Kauf. In der Rolle des Revoluzzers hat er sich längst verloren. Damit zerstört er nicht nur seine eigene Karriere als Privatfernsehpionier, sondern auch den gesamten Sender, der eigentlich noch so viel mehr ist als Ferdinand Wegscheider.