Vor ziemlich genau 80 Jahren kamen einige hochrangige Nazis in einer Villa am Berliner Wannsee zusammen, um zu planen, was ohnehin schon im Gang war: den Holocaust. Schon damals waren Menschen jüdischen Glaubens nicht sicher in Deutschland, die Nazis planten auf der Konferenz schließlich die gesamte Organisation der Operation. Das reichte von der Koordination verschiedener Behörden bis hin zu der Frage, wie eine so große Anzahl an Menschen in ganz Europa überhaupt getötet werden kann. Zwei Verfilmungen der Wannseekonferenz hat es im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte gegeben, mit dem ZDF-Film kommt nun die dritte hinzu.
In dem Film "Die Wannseekonferenz", den das ZDF am 24. Januar zur besten Sendezeit ausstrahlt, wird anhand des von Adolf Eichmann angefertigten "Besprechungsprotokolls" nachgezeichnet, was die Nazis an jenem Tag besprochen und beschlossen haben. Das Protokoll gilt als eines der Schlüsseldokumente des Holocausts - und ist ein Stück Zeitgeschichte in Sachen Menschenverachtung. Das wird auch im Film ständig deutlich.
Der von Constantin Television produzierte und von Regisseur Matti Geschonneck umgesetzte Film ist in seiner Machart so bedrückend, dass es teilweise schwer fällt, dranzubleiben. Auch mit Kenntnis der Gräueltaten der Nazis ist es erschreckend und schockierend zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit damals führende Politiker den systematischen Mord an Millionen von Menschen geplant haben. Der Film zeichnet besonders die bürokratische Sprache der Nazis nach, die nie von Mord oder Tötung sprechen. Es geht in der Runde um die "Sonderbehandlung" der Juden oder auch um das "wegarbeiten". Es ist von "Endlösungsräumen" und der "Evakuierung" der jüdischen Bevölkerung die Rede.
Es geht auch ohne klassischen Antagonisten
Auf die Zuschauerinnen und Zuschauer wirkt der Film mit der Zeit mehr und mehr beklemmend. Da faseln die Nazis etwa davon, dass Juden einen neuen Weltkrieg entfachen könnten - während dieser, von ihnen selbst begonnen, schon längst tobt. Sie rangeln um Kompetenzen und streiten darum, wo die Juden zuerst ermordet werden und wem die Vermögensgegenstände der Toten gehören. Und sie besprechen in aller Ruhe, was in bestimmten Situationen geschehen soll. Was passiert also mit Menschen jüdischen Glaubens, die im ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft haben? Was passiert mit jüdischen Menschen, die eine andere Nationalität besitzen? Und sind "Viertel- und Halbjuden" richtige Juden, die auch "weggearbeitet" werden müssen?
"Die Wannseekonferenz" folgt der ganzen Zeit über keiner klassischen dramaturgischen Handlung. Es wird viel geredet, was es manchmal schwer macht, dem Film zu folgen. Das macht ihn aber auch so stark, weil es ein Alleinstellungsmerkmal ist und weil nichts ablenkt von den Gräueltaten der Nazis. Wilhelm Stuckart (gespielt von Godehard Giese), Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, hat immer wieder eine andere Meinung als seine Kollegen am Tisch, er ist aber nicht der klassische Antagonist. Auch Stuckart ist ein Nazi, dem es vor allem um die Kompetenz seines Chefs, dem Innenminister, geht. Diese Kompetenzen sieht er nämlich bedroht. Irgendwann schlägt er vor, "Mischlingsjuden" nicht zu ermorden, sondern zu sterilisieren. Das sei weniger aufwändig als die Deportation und unter dem Gesichtspunkt der Rassenhygiene auch vertretbar. Am Ende bleibt die Feststellung: Alle Beteiligten der Wannseekonferenz waren Mörder ohne jegliche Empathie und Moral.
"Das ganze Spekulative und die Girlanden wollten wir auf die Essenz des Stoffes runterkochen."
Produzent Friederich Oetker
Offenbar war Geschonneck der Überzeugung, die richtige Tonlage nicht zu treffen, sollte Musik zum Einsatz kommen. Produzent Oliver Berben hat dem Wunsch des Regisseurs aber sofort entsprochen. Doch auch er sagt, dass man lange mit dem Stoff gerungen habe. Die Frage, in welcher Form man den Film umsetze, habe die Macherinnen und Macher in den vergangenen vier Jahren am meisten beschäftigt, so Berben. "Insbesondere haben wir überlegt, was aus Sprache entstehen kann. Was passiert, wenn das gesprochene Wort zu Aktionen wird", so sagt Oliver Berben, der in diesem Punkt auch einen Bogen in die heutige Welt schlagen will.
Schwerer Stoff, der einen Sog entwickelt
Drehbuchautor Magnus Vattrodt sagt über seine Vorgehensweise, er habe den Film durch eine Dramaturgie nicht künstlich aufladen wollen. Er habe so trocken und nüchtern wie möglich versucht, die Geschichte zu erzählen. Die Handlung der Konferenz stehe im Mittelpunkt, deshalb gibt es auch keine Nebenhandlungen mit etwaigen Liebschaften oder anderen möglichen Storylines. Vattrodt räumt ein, dass man durch die ungewohnte Sprache der Protagonisten anfangs vielleicht schwer in den Film kommt. "Der Film entwickelt aber einen starken Sog", sagt er, was durchaus zutrifft. Wer einmal drin ist, wird kaum seine Augen und Ohren lassen können von den unglaublichen Vorgängen, die sich in der Villa abspielen. "Das ganze Spekulative und die Girlanden wollten wir auf die Essenz des Stoffes runterkochen", sagt auch Produzent Friederich Oetker, der das ZDF dafür lobt, den schwierigen Film (Oetker: "In gewisser Weise auch eine Zumutung") um 20:15 Uhr auszustrahlen. Auf Seiten des Senders waren federführend Hauptredaktionsleiter Frank Zervos und Redakteurin Stefanie von Heydwolff verantwortlich für die Umsetzung.
Auf die Kritik, er lege den Nazis Worte und Sätze in die Münder, die diese nie gesagt haben, reagiert Vattrodt ebenfalls beim Pressegespräch im Vorfeld der Ausstrahlung. Die Dialoge seien fiktional, weil das Protokoll der Konferenz nicht 1:1 das gesprochene Wort der Teilnehmer wiedergebe. Bedient hat sich Vattrodt, übrigens zusammen mit Co-Autor Paul Mommertz (der auch Autor des Wannseekonferenz-Films von 1984 ist), an den Biografien der Nazis und an dem, was historisch bekannt ist über Reinhard Heydrich, Adolf Eichmann & Co. Einige Sätze, die im Film fallen, sind außerdem von anderen Personen so oder in ähnlicher Weise gefallen.
Keine historisch genaue Betrachtung
Eine Umsetzung als Dokudrama stand für die Macherinnen und Macher übrigens nie im Raum. "Wir wollten nie eine historisch genaue Betrachtung machen", sagt Oliver Berben. Es sei darum gegangen, eine emotionale Form zu finden, damit sich auch neue Generationen mit dem Stoff auseinandersetzen. Friederich Oetker sagt, bei jungen Generationen gebe es oft einen Widerwillen zum Genre Dokudrama. Daher habe man den Film barrierefrei herstellen wollen. Der Kultusminister-Konferenz will Constantin anbieten, den Film in Schulen zu zeigen. Das wäre sicherlich eine gute Sache und würde wohl in vielen Schulklassen für Gesprächsstoff sorgen. Denn auch wenn man kein Dokudrama gemacht hat, das bei jungen Menschen womöglich nicht gut angekommen wäre: Im ZDF werden wohl auch nur wenige Menschen unter 18 Jahren den Film sehen.
Mit dem Film muten das ZDF und Constantin den Zuschauerinnen und Zuschauern einiges zu - und auch deshalb ist der Streifen ein Muss. "Die Wannseekonferenz" bricht mit etablierten Film-Mechanismen und macht den perfiden Plan der Nazis und ihre Geisteshaltung nur allzu deutlich. Wie hier der Massenmord an Millionen Menschen besprochen wird, als sei es ein ganz normales Großprojekt des Verwaltungsapparats, bei dem es nur um Einzelheiten und Kompetenzen geht, ist schlicht atemberaubend.
Das ZDF zeigt "Die Wannseekonferenz" am 24. Januar um 20:15 Uhr. Weitere Formate des Programmschwerpunkts entnehmen Sie bitte dem Infokasten oben.