Vermutlich gehört der Autor dieses Textes zu dem kleinen Teil der Gesellschaft, der an Weihnachten noch nie mehr als ein paar Minuten der legendären "Sissi"-Filme gesehen hat. Aber vielleicht ist das nicht die schlechteste Voraussetzung, um der Neuauflage, an die sich RTL und Story House Pictures gewagt haben, möglichst unvoreingenommen zu begegnen. Denn natürlich wird es Fans der Kult-Kaiserin geben, die nach Ansicht der ersten Serien-Minuten empört abwinken werden, weil es für sie nur eine Sissi gibt, und zwar Romy Schneider.
Doch gerade weil die Fußstapfen so groß sind, waren die Verantwortlichen gut beraten, die neue Elisabeth, genannt Sisi – ja, sie schreibt sich in der Serie mit nur einem S – mit einem völlig neuen Gesicht zu besetzen. Von Dominique Devenport jedenfalls dürften die wenigsten bislang etwas gehört haben. Davon zeugt schon der sehr kurze Wikipedia-Eintrag der schweizerisch-amerikanischen Schauspielerin, dessen letzter Filmgraphie-Eintrag vor der aufsehenerregenden "Sisi"-Hauptrolle aus dem Jahr 2013 datiert. Weil es ihr erster großer Dreh war, sei sie "anfangs von vielem überfordert" gewesen, gab Devenport jüngst zu Protokoll. Anmerken ließ sie es sich ganz offensichtlich nicht.
Bekannter und erfahrener ist da schon der neue Kaiser Franz Joseph I. von Österreich, der von Jannik Schümann verkörpert wird. Zusammen mit Devenport bildet er ein sehr stimmiges und vor allem vielschichtiges Paar, das man gerne auf dem gemeinsamen Weg begleitet. Und der ist nicht zuletzt steinig, wie schon die erste Folge belegt. Denn eigentlich ist es Elisabeths Schwester Néné, mit der sich Franz Joseph in Bad Ischl verloben soll. Dass es dazu nicht kommen wird, ist freilich schnell klar, was dem Unterhaltungswert jedoch keinerlei Abbruch tut.
Regisseur Sven Bohse hat die Serie modern inszeniert – mit opulenten Bildern, die auch einer wunderbaren Ausstattung zu verdanken sind, sowie sehenswerten Kameraflügen und packenden Momenten, zu denen etwa ein abenteuerlicher Reitausflug zählt, nach dem Sisis Herz schon in der ersten Folge vollends für den Kaiser schlägt. Und auch wenn die Geschichte eigentlich bekannt ist, haben sich Elena Hell, Robert Krause und Showrunner Andreas Gutzeit in ihren Büchern die Freiheit genommen, neue Facetten hinzuzufügen.
So wechseln sich romantische Bergszenen mit temporeichen Sequenzen ab und zwischen der mit Zweifeln und Missgunst gepaarten Liebesgeschichte gibt es Raum für düstere gesellschaftliche Zwischentöne, die den Eindruck einer Zeit vermitteln, in der eben bei Weitem nicht alles Gold ist, was im Hofstaat glänzt. Auf diese Weise wirkt "Sisi" in vielen Momenten weit weniger kitschig als man das erwarten würde – was mitunter eher an "Downton Abbey" erinnert als an die Trilogie der 1950er-Jahre.
Dazwischen überzeugen nicht nur Dominique Devenport und Jannik Schümann, sondern auch Désirée Nosbusch in der Rolle der Erzherzogin, der Mutter von Franz, sowie Julia Stemberger, die als Herzogin Ludovika in Bayern mitwirkt. Die große Ungewisse bleibt das Publikum – verbunden mit der Frage, ob sich die wahren Sisi-Fans auf das neue Ensemble einlassen werden. In jedem Fall bietet die Neuauflage all jenen beste Popcorn-Unterhaltung, die Gefallen finden an herzschmerzenden Historienserien. Für sie hält RTL schon vor dem Serienstart eine gute Nachricht bereit: Eine zweite "Sisi"-Staffel ist bereits beschlossen.
"Sisi", ab Sonntag bei RTL+ sowie am 28., 29. und 30. Dezember um 20:15 Uhr bei RTL