Wie einfallslos Kritik oft sein kann. Mit einem damals gefeierten Kinofilm sei der Skandal um die Hitler-Tagebücher doch schon bestens verfilmt worden, damals vor 30 Jahren! Und jetzt will RTL es besser können? Ist das nicht der Sender von Bohlen, Bachelor und verspeisten Känguru-Hoden? Da ist der Verriss schon geschrieben - insbesondere von einer Generation, die „Schtonk!“ kennt und sich fast schon angegriffen fühlt, dass sich jemand noch einmal des Themas angenommen hat.
War Helmut Dietls Werk für Bavaria Film einst die prominent besetzte Satire für jene Generation, die den Skandal um die vermeintlichen Hitler-Tagebücher 1983 selbst miterlebt hat, so ist das von UFA Fiction produzierte „Faking Hitler“ 29 Jahre nach dem Film eine Drama-Serie für die nächste Generation. Beide Werke verfolgen damit andere Ziele bzw. angesichts der Bedeutung des Themas kann man schon von Aufgaben sprechen. Die neue Miniserie setzt nicht nur aufgrund von mehr Zeit auch auf mehr Tiefe als derbe Gags, die den Kultfilm mit George als Journalist und Ochsenknecht als Fälscher - nebenbei bemerkt - nicht gerade vorteilhaft altern ließen.
Waren es beim Kinofilm 1992 noch verfremdete Namen und Medien, arbeitet „Faking Hitler“ den Skandal realer auf. Hier stimmen die Namen und das vorgeführte Medium ist kein fiktiver Titel, sondern der „Stern“. Dass der größte Blockbuster zum Relaunch des Bertelsmann-Streamingservice RTL+ ausgerechnet die Aufarbeitung des peinlichsten Reinfalls vom Bertelsmann-Titel „Stern“ ist, gibt dem Projekt schon eine gewisse Grundkomik.
Doch zum neuen Realismus kommt auch eine breitere Erzählung mit zusätzlichen Charakteren aus der Feder von Showrunner Tommy Wosch. Sie kommen dem realen Skandal nicht in die Quere, ergänzen mit kreativer Freiheit die Geschichte um den Aspekt von Skepsis und Aufrichtigkeit. Sinje Irslinger spielt die Nachwuchsjournalistin Elisabeth Stölzl und Daniel Donskoy, ohne zu viel zu verraten, ebenso eine Rolle, die die vermeintliche Sensation hinterfragen.
Bleibtreu, Kujau und die Badewanne werden eins
Das ist erfunden, daran kann man sich stören. Es wirkt aber aus heutiger Sicht wie eine nötige Ergänzung, um nicht den Glauben an das Gute zu verlieren angesichts der haarsträubenden realen Ereignisse. Heraus kommt eine extrem unterhaltsame Geschichte über das Betrügen und betrogen werden. Über das sich betrügen lassen wollen, möchte man fast ergänzen, wenn man nochmal vor Augen geführt bekommt, wie berauscht von der Sensation man damals war beim „Stern“.
Die Geschichte, so wie sie Showrunner Tommy Wosch erzählt, ist dabei aber auch immer wieder für Lacher gut. Sie speisen sich nicht selten aus der Tatsache, dass wir als Publikum wissen, wie das ganze Spektakel ausgeht. Vielleicht nicht im Detail, aber grundsätzlich. Das haben wir den Protagonisten voraus, was die sechs Folgen zu einem diebischen Vergnügen machen. Gerade diese Bekanntheit des Themas ohne aber eine persönliche Erinnerung daran zu haben, macht die Miniserie für die Generation U50 wertvoll.
Wosch holt für sein Drama um die Hitler-Tagebücher weiter aus und beginnt früher. Die Ambitionen des letztlich tragischen Journalisten Gerd Heidemann werden gewohnt stark von Lars Eidinger verkörpert. Die große Überraschung von „Faking Hitler“ ist aber zweifelsohne Moritz Bleibtreu, der Konrad Kujau spielt und das mit einer umwerfenden Spielfreude und Intensität. Moritz Bleibtreu, der in manch anderen Rollen leider Moritz Bleibtreu blieb, geht hier vollends auf in seiner Rolle. Bleibtreu, Kujau und die Badewanne werden eins.
Sein Spiel, der reale Skandal und die aufbereitete Geschichte machen „Faking Hitler“ zu dem sehenswerten Blockbuster, den RTL+ für seinen Relaunch brauchte. Die neue Miniserie für eine Generation, die 1983 nicht bewusst erlebt hat, steht dabei nicht in Konkurrenz zu „Schtonk!“, egal wie naheliegend dieser Vergleich auch scheint. Sie liefert der Generation U50 erstmal das Drama, das man kennen muss, bevor „Schtonk!“ funktionieren kann.
"Faking Hitler", ab sofort bei RTL+