Es gibt nicht mehr viele Fernsehshows, für die es das Publikum zu Tausenden in Kauf nimmt, sich bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt in eine lange Schlange zu reihen, um sie live in einer Messehalle zu sehen. Auf "Wetten, dass..?" trifft das noch immer zu – erst recht, wenn es Thomas Gottschalk, inzwischen 71, ganze zehn Jahre nach seinem Abschied noch einmal wissen will. Und so betrat der Altmeister an diesem Samstagabend in Nürnberg tatsächlich jene Showbühne, die wie keine zweite zu ihm passt, und moderierte über weit mehr als drei Stunden so, wie nur er es kann.
"Ich genieße den Abend und lasse mir Zeit", kündigte Gottschalk gleich zu Beginn an und machte keinen Hehl daraus, dass er an seinem Stil nichts mehr zu ändern gedenkt. Ob er denn gendern werde, sei es im Vorfeld gefragt worden. "Natürlich, habe ich gesagt: Wetten der, wetten die, wetten das." Zudem sei es nicht die Frage, ob er einen Shitstorm bekomme, sondern wann. Doch das alles scheint ihm nicht zu stören: "Ab einem gewissen Alter", machte Gottschalk klar, "sollte einem Vieles egal sein. Und ich muss Ihnen sagen: Ich habe dieses Alter erreicht."
Damit stand zu diesem frühen Zeitpunkt fest, was man bereits erahnen konnte; nämlich, dass am ersten "Wetten, dass..?"-Abend seit sieben Jahren keine TV-Revolution zu erwarten sein würde. Doch das war offensichtlich auch gar nicht erwünscht. Mit minutenlangem Applaus und spontanen "Oh, wie ist das schön"-Gesängen hatte das Nürnberger Publikum den Showmaster begrüßt und damit signalisiert, dass es Gottschalk, aller Abgesänge zum Trotz, noch immer in exakt diesem Format sehen will, auch wenn Sender und Moderator im Vorfeld unisono erklärten, dass es sich um ein einmaliges Revival zum 40. Jubiläum des TV-Klassikers handelt.
Dabei war das ZDF gut beraten, die Neuauflage nicht mit zusätzlicher Nostalgie in Form von Rückblicken auf vergangene Highlights aufzuladen, sondern eine ziemlich klassische Sendung auf die Beine zu stellen. Und so bot der Sender am Samstag über weite Strecken hinweg das typische "Wetten, dass..?"-Gefühl, im besten wie im schlechtesten Sinne. Denn natürlich hatte die Show ihre Längen und Fremdschäm-Momente, über die man sich schon früher auslassen konnte. Dass Gottschalk beispielsweise glatt der Name von Schauspielerin Svenja Jung entfiel, die zusammen mit Heino Ferch gekommen war, um für einen neuen ZDF-Mehrteiler zu trommeln, fällt ganz sicher in diese Kategorie.
Doch den Abend konnte selbst ein solcher Lapsus freilich nicht trüben. Dafür war Thomas Gottschalk schlicht viel zu gut aufgelegt. Er brauchte ein paar Minuten, um Fahrt aufzunehmen, doch dann war der Entertainer, mit passabler Unterstützung von Michelle Hunziker, über weite Strecken hinweg wieder in seinem Element – ganz so, als sei er nie weggewesen. Als der spätere Wettkönig – ein Mann, der mit Dartspfeilen die gesuchten Länder auf einer Karte treffen wollte – etwas zu aufmüpfig werden drohte, stänkerte Gottschalk: "Ich mach hier die Witze!" Und mit Blick auf den vollen Saal trotz Pandemie scherzte er, dass alle im Saal geimpft, getestet oder genesen seien, und er selbst "sogar geduscht".
Was war sonst? Helene Fischer sang zusammen mit der männlichen Hälfte von ABBA den Evergreen "SOS", Udo Lindenberg wirbelte noch nach 23 Uhr wie ein Rumpelstilzchen über die Bühne und Show-Erfinder Frank Elstner durfte zu Ehren des Jubiläums noch einmal eine Wette moderieren. Dass sie alle, so wie der Gastgeber, die 70 längst überschritten haben, störte nicht. Immerhin, mit Joko und Klaas war auf der Couch auch die nächste Entertainer-Generation vertreten. Dazwischen: Ein Hund, der den Müll trennt, eine Feuerwehr-Truppe, die einen Kollegen im Gokart alleine durch Wasserkraft fortbewegt, und zwei Mädels, die Musiktitel durch das Kratzen einer Klobürste erkennen.
Ach ja, eine Bagger-Wette gab es auch, selbstverständlich. Der ganz normale "Wetten, dass..?"-Wahnsinn eben - zeitgemäß und mit viel Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Doch warum soll der jetzt eigentlich einmalig gewesen sein? Seit irgendwann gegen Mitternacht der Abspann gesendet und die abschließende Eurovisions-Fanfare erklungen war, stellt sich die unweigerliche Frage, was denn dagegen spricht, dieses noch immer wohlig brennende Fernseh-Lagerfeuer künftig ein, zweimal im Jahr neu zu entfachen, schließlich ist "Wetten, dass..?" mit Thomas Gottschalk im wahrsten Sinne des Wortes gute, alte Samstagabendunterhaltung.