Sollte man aufpassen, was man sich wünscht? In den ersten Minuten der neuen ZDFneo-Show "Maithink X" erscheint die Idee, eine junge Wissenschaftsshow vor Publikum zu produzieren, als weniger kluger Gedanke. Dabei war das doch der erklärte Wunsch von Mai Thi Nguyen-Kim! Das Problem liegt nicht bei der Gastgeberin und ihrer Bühnenerfahrung. Ihre Anfänge als Science Slammerin zu Themen wie Rotwein & Nano-Spaghetti sind im Netz bestens dokumentiert und begründeten ihre Karriere als populäre Wissenschaftsvermittlerin, die auch die Interaktion mit dem Publikum bzw. das Reagieren auf Reaktionen liebt.
Doch die formatierte Fernsehwelt unterbricht den kleinteiligen Beginn der neuen Show immer wieder mit in Großaufnahme gezeigten, pflichtbewusstem Klatschen, so als wolle man optisch den maximal möglichen Unterschied zu ihren auf YouTube erfolgreichen, minimalistischen Videos demonstrieren. Gewohnt ist Mai Thi Nguyen-Kim den ehrlich verdienten Applaus als Reaktion auf ihre Performance. Von den erzwungenen Vorschusslorbeeren aus dem Lehrbuch für TV-Showproduktionen wirkt sie fast selbst ein bisschen peinlich berührt.
Hui, eine Explosion! Ja, so stellt sich das ZDF Wissenschaftsshow vor. Haha, was ein Gag - alle klatschen. Dann: Einspieler, Applaus. Noch ein Einspieler, wieder Applaus. Vielleicht ist es auch die Pandemie-bedingte Publikumspause die hier auf einmal besonders deutlich macht, wie albern das ritualisierte Beklatschen ist - insbesondere eben im Vergleich zum Science Slam, wo es Nguyen-Kim selbst am Besten weiß: Die Begeisterung des Publikums muss man sich verdienen. Nun: Talent sei Dank nahm "Maithink X" dann noch Fahrt auf, um das zu schaffen.
Dabei helfen in Einspielern auch Ranga Yogeshwar, Lutz van der Horst, Fabian Köster und - besonders gelungen - die ohnehin großartige Katjana Gerz mit einem Erklärstück zu randomisierten Studien. Sie alle geben "Maithink X" die nötige Bandbreite an Darbietungsformen, die aus der neuen ZDFneo-Show ein von Nguyen-Kims YouTube-Videos unterscheidbares, eigenes TV-Format werden lassen. Hier entwickelt sich auch erfolgreicher die lustige Seite der Sendung (Katjana Gerz und der Plural von Ananas).
Nach dem holprigen Einstieg findet aber auch die Gastgeberin der Show in ihr Element und redet sich zum Thema der ersten Sendung - Meinungsfreiheit - bald im positiven Sinne in Rage. Wissenschaft ist keine Demokratie! Beim Wert von Studien nimmt Mai Thi Nguyen-Kim so richtig Tempo auf ("Wait for it. Macht gleich Sinn") und entwickelt die bekannte Wucht der Argumentation, nutzt ihren Wortwitz und macht auch in der Interaktion mit dem zuvor schon rausgepickten Zuschauer Maurice in Reihe 1 Punkte - so, wie sie es von der Bühne kennt.
Am Ende der knapp halbstündigen Sendung ist der behäbige Anfang vergessen, weil Nguyen-Kim im Laufe der Sendung Nguyen-Kim sein durfte und ein temporeiches argumentatives Feuerwerk zündete. Zusammen mit einem tollen Ensemble - in von der btf erwartbar starken Einspielern - kann "Maithink X" in den kommenden Wochen noch Fahrt aufnehmen und sich eine neue Art Show zur Wissenschaft etablieren. Schön wäre, wenn der Bremsklotz des in Nahaufnahme gezeigten Beklatschens entfallen würde. Fast wähnte man sich schon bei "The Voice", wo Schnittbilder ins Publikum irgendwann mal zum Sport erhoben wurden. Manche Sendungen brauchen das, diese hier hat Nguyen-Kim.
Ein Umstand, der sich auch durch während der Sendung eingeblendete Quellen sowie einer umfangreichen Aufbereitung der Sendung inklusive Dokumentation im Netz ausdrückt. Was hier flott wirkt, ist eine seriös dokumentierte Herausarbeitung des Unterschieds von Fakten und Meinung und ein starkes Beispiel für modernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mit den Worten "Aufklärung schafft Freiheit. Aber das ist jetzt nur meine Meinung. Darüber können wir also gerne streiten. Aber über Schwerkraft bitte nicht" endete eine Premierensendung, die letztlich viel besser war als die ersten Minuten befürchten ließen.