Am Ende war Linda Zervakis sichtlich erleichtert. "Ich habe ein bisschen geschlottert", sagte die Moderatorin kurz vor dem Abspann. "Zwei Stunden live ist doch viel, viel länger als die Viertelstunde bisher." Da will man der früheren "Tagesschau"-Sprecherin nicht widersprechen. Aber hat sich ihr Wechsel zum Privatsender ProSieben wirklich gelohnt? Eine echte Antwort darauf wird man wohl erst in einigen Monaten geben können, doch das Fazit nach der Premiere des Live-Magazins, das ihren Namen und den ihres Co-Gastgebers Matthias Opdenhövel trägt, fällt durchaus positiv aus.
Dabei hatte die Sendung zunächst etwas holprig begonnen, denn obwohl echte Menschen und keine Pappaufsteller im Publikum saßen, kam der Auftritts-Applaus für Zervakis und Opdenhövel vom Band. Ein kurioser Start, der wohl auch der Tatsache geschuldet ist, dass nur wenige Zuschauerinnen und Zuschauer im doch arg übersichtlichen Unterföhringer Studio Platz nahmen.
Umso runder gestaltete sich dagegen der erste Einspielfilm. Porträtiert wurde die afghanische Popsängerin Aryana Sayeed, die nach der Machtübernahme durch die Taliban das Land binnen weniger Tage verließ. Die Bilder zeigten den denkbar größten Kontrast: Wo eben noch eine moderne Frau auf der Bühne stand und mit vielen Tabus brach, findet sie sich plötzlich auf dem Rollfeld Kabuls wieder, umgeben von weinenden Kindern, die nicht verstehen, was in ihrer Heimat vor sich geht.
An diesem Montagabend sitzt sie nun live bei Linda Zervakis und Mattthias Opdenhövel im Studio. "Ich habe immer versucht, stark zu sein und den anderen Frauen Hoffnung zu geben", erzählt sie eindrucksvoll von der Zeit, in der sie in ihrer Heimat Karriere machte. Zusammen mit der Autorin Düzen Tekkal, die neben ihr auf dem Studio-Sofa über die Situation in Afghanistan spricht, gibt Sayeed intensive und vor allem persönliche Einblicke in eine Welt, die sich für Millionen Menschen fast über Nacht verändert hat.
Es ist ein journalistisch spannender Start, der später in der Sendung durch einen Bericht über die Opfer der Flutkatastrophe noch einmal untermauert wird. Im Studio nehmen sich Zervakis und Opdenhövel zudem viel Zeit, um einem Paar Gehör zu schenken, das durch das Unwetter vor zwei Monaten fast alles verloren hat. "Wir sind immer noch in unserer leer stehenden Wohnung", erzählt die Frau, deren Kleid aus der Kleiderspende kommt, wie sie ausführt. Sicher, der Aufbau von "Zervakis & Opdenhövel. Live." erinnert in diesem Moment sehr an "Stern TV", doch eine solche Sendung zur besten Sendezeit im Privatfernsehen auszustrahlen, erfordert dann doch noch einmal ein zusätzliches Maß an Mut.
Beträchtliche Längen in der Sendungsmitte
Zwischenzeitlich scheint den Verantwortlichen der neuen Sendung, hinter der die Produktionsfirma Redseven Entertainment steht, dieser Mut leider jedoch ein wenig verlassen zu haben. Plötzlich steht da der etwas aus der Mode geratene Popsänger James Blunt und muss sich, aus irgendwelchen Gründen, erst einem Bier-Tasting mit Linda Zervakis und schließlich einem Bierkrug-Halte-Wettbewerb mit Matthias Opdenhövel stellen - noch dazu noch nicht mal vor den Augen des Studio-Publikums, sondern versteckt auf einer Art Nebenbühnchen in der offensichtlich etwas zu klein geratenen Kulisse. Der Erkenntnisgewinn ist in diesen Minuten ähnlich gering wie der Unterhaltungswert.
"James, wir sollten einfach mal Bier zusammen trinken", findet Zervakis nach der einigermaßen sinnfreien Aktion, auf die etwas unvermittelt ein Blick auf die Social-Media-Themen der letzten Tage folgt. Wenig glorreich fallen auch die Fragen des Publikums aus, das eigens dazu aufgerufen wurde, sich per App zu beteiligen. Welche Musik er privat höre, will ein User von Blunt wissen, ein anderer, warum die Engländer den Schaum auf dem Bier weglassen. Besonders skurril wird die Fragestunde auch deshalb, weil Linda Zervakis reichlich Probleme damit hat, die Fanpost vom Monitor abzulesen und dafür zeitweise auf dem Boden kniet. Kaum auszudenken, wäre der "Tagesschau"-Teleprompter einst ähnlich schlecht auf die Sehstärke der Sprecherin angepasst gewesen.
Eingebunden wird das Publikum kurz darauf ein weiteres Mal. Während ein Beitrag zeigt, wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki und SPD-Minister Hubertus Heil in einem Taxi durch Berlin kutschiert werden, um sich den Fragen wechselnder Fahrgäste zu stellen, blendet ProSieben ein wenig spannendes Voting ein. "Wissen Sie bereits, wem Sie bei der Wahl Ihre Stimme geben?", will der Sender wissen - und auch wenn sich am Ergebnis fast gar nichts ändert, ist die Abstimmung minutenlang am unteren Bildrand zu sehen. Wäre es nicht viel spannender gewesen zu ermitteln, ob sich das Publikum von den Aussagen der beiden Politiker im Laufe des Beitrags überzeugen lässt?
Tatsächlich hätte man ein solches Ergebnis in diesem Fall gerne erfahren, schließlich fielen die meisten Antworten von Kubicki und Heil nicht allzu tiefschürfend aus. Während Kubicki die Gelegenheit nutzte, um Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer in deren Abwesenheit die "Hinrichtung" der Bundeswehr vorzuwerfen, verstieg sich Heil in den etwas sinnfreien Satz, man müsse "Arbeitslosigkeit verhindern, bevor sie entsteht". Matthias Opdenhövel lobt hinterher bloß die "schöne Taxifahrt" und meint: "Ich finde, das können wir wieder machen." Ja, möchte man ihm zurufen - aber vielleicht ein wenig besser.
Trotz beträchtlicher Längen in der Sendungsmitte hat "Zervakis & Opdenhövel. Live." die Feuertaufe bestanden. Diese Programmfarbe besitzt viel Potenzial und steht ProSieben gut zu Gesicht - und das Moderations-Duo harmoniert auf Anhieb deutlich besser als Maybrit Illner und Oliver Köhr am Abend zuvor beim TV-Triell. Ein solches wird Linda Zervakis übrigens bereits am kommenden Sonntag moderieren, dann allerdings nicht an der Seite von Matthias Opdenhövel. Schade eigentlich, wäre das doch sicher eine gute Werbung für das neue Magazin gewesen, dem ein möglichst großes Publikum zu wünschen wäre.
"Zervakis & Opdenhövel. Live.", montags um 20:15 Uhr, ProSieben