Wenn ZDFneo eine fiktionale Serie mal wieder auf einem unmöglichen Sendeplatz ausstrahlt, hört man aus Mainz in aller Regel eine Begründung: Das ist ja für die Mediathek produziert. Und damit bestimmte Formate in die Mediathek wandern können, müssen sie vorher im TV ausgestrahlt werden. Im Fall der neuen Sitcom "The Drag and Us" ist die Lage etwas anders, weil es eine eigenproduzierte Serie ist. Gut möglich aber, dass man sich bei ZDFneo für einen Sendeplatz rund um Mitternacht entschieden hat, damit möglichst wenige Menschen zu sehen bekommen, welchen seriengewordenen Unfall man da produzieren ließ.
In der von Caligari Film hergestellten Sitcom geht es um Christian (Ralph Kinkel), besser bekannt als Drag-Queen Cathérine. Er zieht überraschend in das Kinderzimmer von Nikki (Frederic Balonier), der den Raum vermietet hat, um Geld für einen Urlaub zu haben. Mutter Franziska (Paula Paul) arrangiert sich schnell mit dem ungewohnten Gast. Und dann ist da auch noch Franziskas jüngerer Sohn Freddy (Marwin Haas), der als Influencer den mitunter turbulenten Alltag der Familie dokumentiert.
"Alltäglichen Themen wie Sexualität, weibliche, männliche und diverse Identität sowie herrschenden Rollenbilder wird sich hier aus einer queeren Perspektive mit viel Wahrheit und noch mehr Humor angenommen", verspricht das ZDF in einer Beschreibung zur Serie. Außerdem wolle man Rollenbilder über den Haufen werfen. Um es kurz zu machen: Nichts davon ist wahr oder klappt. Das liegt daran, dass die Figur der Cathérine von den Macherinnen und Machern gnadenlos überzeichnet ist. Die Drag Queen gibt es überwiegend nur als eben solche zu sehen - und dann tanzt und singt sie durch die Gegend oder gibt sich theatralisch. Eine gewisse Tiefe in der Figur sucht man vergebens.
Mitunter kann man sich vor dem TV-Gerät fühlen wie in einem schlechten Hinterhof-Theater - und das ganze im Look von "Hausmeister Krause". Umgesetzt ist "The Drag and Us" nämlich nicht in einem filmischen Look heutiger Comedy-Serien, sondern eben so, wie damals auch die Kult-Serie von Sat.1 gemacht wurde. Nur leider passt das so gar nicht mehr in die heutige Zeit. Und dass ständige Lacher aus der Konserve heute ebenfalls zu nichts mehr taugen, ist offenbar auch nicht bis zu Caligari Film durchgedrungen. Apropos "Hausmeister Krause": Neben Produzentin Gabriele M. Walther war auch Tom Gerhardt an der Umsetzung von "The Drag and Us" beteiligt. Beide waren damals, neben anderen, führende Köpfe bei "Hausmeister Krause".
Viel schlimmer als die teils grotesk schlechte Umsetzung inklusive Billig-Set ist aber die Tatsache, dass die Botschaft, die man offensichtlich mit der Serie rüberbringen wollte, überhaupt nicht ankommt - im Gegenteil. Teenager Nikki überzieht Cathérine anfangs vor allem mit Häme und Beleidigungen - doch aufgelöst wird das für die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht. Sie sollen über die Sprüche unterhalb der Gürtellinie lachen. Nikki lernt einfach irgendwann mit der Drag-Queen zu leben, die er anfangs noch als Transe bezeichnete. An anderer Stelle wird der 15-jährige Nikki von einem deutlich älteren Herren derbe angeflirtet. Auch das soll wohl schwarzer Humor sein, der aber ebenso wenig wie der Rest zündet. Andere Figuren funktionierten ebenso nicht: Etwa die eines Ehepaars, wo der Mann die Frau zu unterdrücken scheint, sodass sie während eines Gesprächs immer von ihrem Gatten unterbrochen wird, sobald sie was sagen will. Auch hier gibt es keine zweite Ebene, in der die Frau am längeren Hebel setzt.
Gabriele M. Walther hat vor dem Start der Sitcom erklärt, eine Begegnung mit der Drag Queen Catherrine Leclery habe sie zur Serie inspiriert. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, sich noch ein bisschen intensiver mit der Materie zu beschäftigen. In der ProSieben-Show "Queen of Drags", an der auch Catherrine Leclery teilnahm, konnte man ziemlich gut sehen, dass Drag Queens eben nicht die dauerglucksenden Figuren sind, die den ganzen Tag über "I will Survive" singen und in ihren Outfits stecken. Und auch die Tatsache, wie sich die Macherinnen und Macher das Leben eines Influencers vorstellen, ist mitunter so überzeichnet, dass man sich fragt, ob die Verantwortlichen überhaupt einen Blick in diese Welt geworfen haben, oder ob diese Figur einfach am Autorentisch entstanden ist.
Letztendlich wird "The Drag and Us" niemandem gerecht. Nicht den Schauspielerinnen und Schauspielern, nicht den Menschen, die zufällig in die Serie hineinstolpern, und schon gar nicht der Drag-Community. Dabei steckt in der Überlegung, die der Serie zugrunde liegt, eine schöne Geschichte. Was passiert eigentlich, wenn die Welt der Drag Queens auf eine Familie trifft, die damit bislang nichts zu tun hatte? Wie können Schranken im Kopf durchbrochen werden? Das aber vermag "The Drag and Us" nicht zu leisten, weil dagegen selbst die nervige Check24-Familie wie Comedy-Gold wirkt. Und so ist es nur richtig, die Sitcom irgendwann um Mitternacht zu verstecken.
Alle Folgen von "The Drag and Us" stehen sofort in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit. Wöchentlich am späten Dienstagabend sind die Folgen auch bei ZDFneo zu sehen.