Bei der Übernahme des Hamburger Verlages Gruner+Jahr durch die Kölner Mediengruppe RTL Deutschland, zeigt sich seit einigen Tagen ein Phänomen, das zuletzt bei der medienpolitischen Debatte um das Leistungsschutzrecht zu beobachten war: Die Deutungshoheit des veröffentlichten Diskurses liegt in den Händen weniger Verlage. Damals beim Leistungsschutzrecht wurde unter dem Deckmantel des Journalismus die Wahrheit mitunter kräftig verbogen und manchmal sogar unverblümt gelogen. Bewusste Lobbyarbeit in eigener Sache, gegen die eine Gegenöffentlichkeit im Netz lief Sturm.
Diesmal ist es kein Vorsatz und niemand wird im Netz Sturm dagegen laufen, aber erneut prägt die Verlagswelt ein Bild, weil es ihr so nahe geht. Zahlreiche Einordnungen waren seit dem Deal zu lesen, deren Tenor scheinbar einhellig ist: Ein Abgesang wurde angestimmt, oft sentimental, manchmal gar theatralisch. Es ist nicht die naheliegende Frage, ob diese Übernahme Sinn bringt, die irritiert. Es ist die Überhöhung dessen, was war. Was für eine tragische Entwicklung das doch für Gruner+Jahr, diesen so stolzen Verlag sei. Geschluckt von einem profanen TV-Konzern. Es wirkt, als trauert eine Branche um sich und verliert dabei ein wenig die Sachlichkeit aus den Augen.
Wie auch beim Fernsehsender fehlt schon lange eine klare inhaltliche Bestimmung und die Relevanz war auch mal größer. Beim Sender in Köln hat man diese Probleme inzwischen adressiert, verschweigt auch nicht, dass es grobe Fehler gab und will mit dieser Aufarbeitung jetzt anpacken. Beim „Stern“ fehlt ein vergleichbares Eingeständnis. Zuletzt probierte man den Weg des Aktivismus, was jedoch nicht die erhoffte Relevanz bescherte, dafür aber eine Diskussion darüber, ob das angemessen sei für ein journalistisches Medium aus einem Hause, das mit der Henri-Nannen-Schule über Jahrzehnte für angehende Journalistinnen und Journalisten definierte, was gutes Handwerk ist.
Gesammelte Gestrigkeit, die manchmal wirkte wie eine verspätete Trauerrede
Wird ein Verlag wie Gruner+Jahr verkauft, schreiben andere Verlage darüber. Kein TV-Sender berichtet aber über den Zukauf der Mediengruppe RTL Deutschland. Das veröffentlichte Narrativ zu diesem Deal ist damit dominiert von Verlagsjournalismus, der sich um Verlagsjournalismus sorgt - und das befeuert mit Einordnungen zu dem Deal, die einem die Sprache verschlagen angesichts der gesammelten Gestrigkeit, die manchmal wirkte wie eine verspätete Trauerrede.
Ein Panel mit Durchschnittsalter jenseits der 70 neigt wenig überraschend eher zur Skepsis gegenüber Veränderung. Je nach Auswahl steuert man das Ergebnis. Und wenn dann markige Zitate von befragten Betagten zur Headline werden, dann ist das auch nur der - zugegeben etwas anspruchsvolle - Vorläufer des heutigen Prinzips von „Vier Tweets ergeben eine Story“. Ist es wirklich ausgewogen, bei einer der spannendsten Übernahmen im deutschen Mediengeschäft allein die Ü70-Generation bewerten zu lassen? Für Anekdoten mag es reizvoll sein, für eine nüchterne Einschätzung wohl kaum.
Bei Meedia wiederum schrieb Ralf-Dieter Brunowsky unter der flotten Überschrift „Die Seele eines Verlagshauses wird endgültig zerstört“ einen Kommentar. Brunowsky war vor zwanzig Jahren Chefredakteur des G+J-Wirtschaftstitel „Capital“. Auch in seinen Beobachtungen stecken manche wahren Worte, doch sie beziehen sich auf einen Niedergang, der nicht erst durch den jetzigen Deal entsteht. Fallhöhe entsteht, weil das Gruner+Jahr aus Zeiten des gerade verstorbenen Gerd Schulte-Hillen als Referenz genommen wird.
Dabei ist die Wahrheit doch viel banaler: Die Übernahme von Gruner+Jahr zerstört zunächst einmal nichts; sie rettet möglicherweise den Rest dessen, was nach langem stetigen Abbau noch übrig geblieben ist. Gruner+Jahr hat sicher eine stolze Vergangenheit, aber nach vorne gerichtet ist das noch kein Qualitätsmerkmal. Ein Problem, das auch die SPD kennt. Sicher mag die veröffentlichte Nostalgie sich ein bisschen wie Balsam anfühlen, aber muss dennoch ebenso befremdlich wirken für die MItarbeiterinnen und MItarbeiter des Verlagshauses, die in den vergangenen Jahren - und noch einmal beschleunigt seit anderhalb Jahren - schließlich miterlebt haben, wie abgebaut wurde in gleich mehrfacher Hinsicht.
Verspätetete Trauerreden auf einen glorifizierten Verlag, den es so schon lange nicht mehr gab, bedienen die Selbstüberhöhung der Verlagswelt, die sich noch immer schwer damit tut, dass immer mehr Medienangebote an dem Monopol der Deutungshoheit rütteln. Noch nicht stark genug scheinbar, wie sich beim einseitigen Bild dieses Deals zeigen: Ein TV-Konzern integriert ein Verlagshaus - das gleicht einem Untergang. In Hamburg und Köln fielen nicht wenige vom Glauben ab ob der etwas gefühlsduseligen Einordnung der Übernahme. Was nützt es den Journalistinnen und Journalisten von heute, wenn die von gestern in ihren ehemaligen Glanzzeiten schwelgen. Dass aus der im Frühjahr angekündigten „ergebnisoffenen Prüfung“ eine Fusion werden würde, war den meisten bei Gruner+Jahr klar.
Das Thema des Deals ist wahrlich nicht die breitgetretene Nostalgie um eine Verlagsmarke, sondern die Frage, ob es Bertelsmann-Chef Thomas Rabe gelingt, mit dieser Zusammenführung etwas entstehen zu lassen, was größer ist als die Summe seiner Teile - wie so oft bei solchen Deals. Und wie immer bei solchen Deals steht die Frage im Raum: Wer wird das kombinierte Unternehmen führen? Es liegt an Rabe, darauf eine Antwort zu finden. Und die Spekulationen stehen längst im Raum.
Führungsfrage: Kann es nur den einen geben?
Angetrieben von einer Räuberpistole im „Manager Magazin“, die vor einigen Wochen basierend auf viel Hörensagen mit knackigen Formulierungen ein Bild der Missgunst zeichnete. Ein Machtkampf sei ausgebrochen: Nichts wirkt effektvoller als Gossip. Es gehe um den Zweikampf zwischen Bernd Reichart, CEO der Mediengruppe RTL Deutschland, und Stephan Schäfer, langjähriger Manager bei Gruner+Jahr und von Reichart als Geschäftsführer Inhalte+Marken auch in die Mediengruppe RTL Deutschland geholt. Entstanden ist in Köln-Deutz bei der Mediengruppe seit 2019 eine Führungs-WG - und das nicht nur gedanklich, sondern auch - ganz banal - architektonisch.
Ist es bemerkenswerte Führungsstärke, wenn man seinem Team den Vortritt lässt oder Führungsschwäche, wenn es an eigener Präsenz mangelt? Von einem tiefen Misstrauen zwischen Reichart und Schäfer war noch vor wenigen Monaten zumindest nichts zu spüren. Doch die absehbare Integration von Gruner+Jahr warf seit dem Frühjahr die naheliegende Frage nach der Führung auf und wurde dann angefeuert von den schmissigen Formulierungen im „Manager Magazin“. Und schon ist sie da, diese Ungewissheit: Gibt es diesen Machtkampf? Oder ist er herbei geschrieben? Und ab wann verselbstständigt sich ein Gerücht? Wer setzt es überhaupt mit welcher Intenion in die Welt bzw. ins „Manager Magazin“?
Man darf auch fragen: Braucht es bei dieser Frage eigentlich ein entweder oder? Sie würden sich in der Bertelsmann-Republik ideal ergänzen, Außenminister Reichart und Innenminister Schäfer - unter der Führung von Kanzler Rabe. Wie kein anderer in der Sendergruppe verkörpert Bernd Reichart - und das schon seit seinem Wechsel aus Spanien zu Vox - eine neue Generation von Fernsehmachern. Seine damaligen Programmerfolge bescherten ihm den Respekt. Wichtiger aber: Schon unter Anke Schäferkordt begann mit ihm eine neue Zugänglichkeit und Umgänglichkeit, die in der Branche hoch geschätzt wird. Hemdsärmelig ist vielleicht das meistgenutzte Attribut.
Muss aber die Erkenntnis, dass es ohne Schäfer daher nicht geht, zu dem von Journalisten gerne heraufbeschworenen Machtkampf führen? Kann es nur einen geben? Oder überlebt die vor zwei Jahren geschaffene WG in Köln etwa diese Pandemie und Übernahme?