Eigentlich stört der Mord in diesem „Tatort“ nur. Nebensache. Schließlich geht es vor allem darum, Tick, Trick und Track auf der ARD-Traditionsbühne zu etablieren. Ein neues Trio tritt nämlich an in Bremen. Das soll den „Tatort" dort offenbar rausführen aus der allzu oft überernsten Lürsen/Stedefreund-Schluffigkeit. Raus in eine neue, jüngere Zeit, die wohl trotz heikler Hintergründe so etwas wie die Flockigkeit des Jetzt atmen soll.
Natürlich heißen die drei nicht Tick, Trick und Track, sondern Liv, Mads und Selb. Jasna Fritzi Bauer („Jerks“, „Rampensau“) spielt Liv, die Nachwuchskraft, das Küken, „die Minnie Maus“. Dar Salim („Borgen“, „Game Of Thrones“) gibt den Mads. Der ist gleichzeitig der Araber und der Däne vom Dienst, den sie gerne Wikinger nennen, von dem man nicht so recht weiß, warum er unbedingt heim nach Kopenhagen will. Luise Wolframs Figur Selb ist als einzige schon länger beim Bremer „Tatort“ eingeführt - als Kriminaltechnikerin vom BKA, skurril, überambitioniert, aber vor allem die Lakonie in Person.
Das passt zur zwischendrin mehrfach überstrapazierten Spruchkraft dieses Films. Schon zum Start dräut es pathetisch aus dem Off. „Dass es sich wendet, ein ganzes Leben um 180 Grad in einem einzigen Moment, das kommt vor. Gar nicht so selten“, heißt es da, und dann erklingt noch: „Alles wendet sich zum Guten oder in die Scheiße. Zu oft in die Scheiße. Viel zu oft.“ Spätestens da hört man den Startschuss, der diesen als Krimi getarnten Lebensweisheitsmarathon eröffnet.
Dass sie cool und jung und ein bisschen unkonventionell sein wollen in diesem bezeichnender Weise „Neugeboren“ betitelten Film, wird schon früh deutlich. Da hallt Tom Waits durch die Kantine, tanzt der Araber eng mit der Küchenhilfe, während drumherum die meisten dauerhaft überfordert wirken. Ist ja auch gerade viel los in Bremen. Aus einer Klinik ist ein Neugeborenes entführt worden, und dann gibt es da noch einen Jugendlichen, der offenbar aus großer Höhe seinem finalen, nun aufzuklärenden Zustand entgegengeflogen ist.
Bremen nur als sozialer Brennpunkt
Aber der Fall ist wurscht. Genauso wie die Stadt wurscht ist, in der das spielt. Man sieht Bremen nur als sozialen Brennpunkt, als Industriebrache, das Polizeipräsidium als brüchigen Zweckbau, an dem groß „Polizeipräsidium Bremen“ steht, so als könne da jemals jemand mit Zweifeln stehen, in welcher Gemeinde er sich gerade zu verorten hat. Da ist wenig, was zur Stadtwerbung taugt. Macht nichts. Im Vordergrund stehen eh Liv, Mads und Selb.
Christian Jeltsch hat viele Szenen ins Drehbuch geschrieben, in denen Liv, Mads und Selb einander erklären können, was sie machen, wo sie herkommen, was sie wollen. Barbara Kulcsar hat das vor allem mit Hilfe der leicht unruhigen und dadurch sehr präsenten Kamera von Filip Zumbrunn streckenweise durchaus packend in Szene gesetzt und zeigt, dass sie weiß, wie man den Zuschauer für Dinge interessiert, von denen er bis dahin dachte, dass sie ihm eigentlich egal sein könnten.
Aber neben der Electroklangsoße aus dem Off nerven immer wieder diese vielen Lebensweisheiten. Insbesondere Selb, die Kriminaltechnikerin, muss diese Weisheiten im Übermaß absondern. „Verbrechen ist dreckig. Aufklären noch mehr“, sagt sie einmal, und dann ist da noch der Dialog mit dem Vorgesetzten, dem sie, die nicht wirklich viel von Teamarbeit hält, vorhält, dass sie diesen Fall gerne allein geklärt hätte. „Ich denke, du bist am besten da, wo du gerade bist“, antwortet der Chef, woraufhin Selb prompt schroff kontert: „Weiß man nie, wenn man immer da bleibt, wo man ist.“ Da weiß gleich auch der Letzte, dass da noch was geht in Sachen Ehrgeiz.
Luise Wolfram spielt herrlich mit dem Kontrast, der sich aus Selbs mimischer Starre und ihrem blitzgescheiten Innenleben ergibt. Oft sprudelt aus ihr heraus, was heraus will, und manchmal wirkt das auch wie ein kräftiger Schuss Salz, der eine fade Suppe aufpeppt. „Der Tod ist ein linkshändiger Aushilfswixer“, sagt sie einmal. Und, Bäng, das sitzt.
Das lässt auch vergessen, dass es anderweitig gerne auch mal ins Pathos abdriftet. Schön lässt sich das demonstrieren am sozialkritischen Wulst, den eine Ex des Mordopfers als resignative Milieubeschreibung des Bremer Brennpunktlebens absondern muss: „Das Leben fängt Scheiße an, und es hört Scheiße auf. Dazwischen tut’s manchmal so, als gäb’s Kuchen.“ Poesiealbum, anyone?
Auch im Verhältnis von Mads und Liv knirscht es gelegentlich in der arg gewollten Konstruktion. So muss der Däne sich natürlich als der Amtssprache unzureichend mächtig erweisen. Er sagt „Der Tod ist hinterlustig“, was natürlich die Kollegin, die ach so schwer damit beschäftigt ist, ihren Platz im Trio zu erkämpfen, prompt zur leicht amüsierten Korrektur animiert. Hinterlistig müsse es doch heißen, meint sie. Ach ja?
Es fehlt an Leichtigkeit
In solchen Momenten vermisst man schmerzlich die Leichtigkeit, die durch den im Dezember schon veröffentlichten Mockumentary-Mehrteiler „How To Tatort“ wehte. Der triefte vor beißender Ironie und zeigte, wie unterhaltsam es sein kann, wenn sich drei neue TV-Kriminalisten selber auf die Schippe nehmen und nicht dauernd so staatstragend formulieren, wie sie es nun in der offiziellen Sonntagabend-Liturgie müssen.
Doch trotz dieser Überdosis an Spruchgut und einer komplett überflüssigen Verfolgungsjagd der Til-Schweiger-Klasse entwickelt dieser „Tatort“ phasenweise eine gewisse Anziehungskraft. Was in den Details hapert, verdickt sich in der Summe zur cremigen Mischung. Die kann man gefahrlos zu sich nehmen, auch wenn sie hie und da noch einen Hauch zu bitter schmeckt.
Aber der Mix reicht immerhin, um den ersten Auftritt von Liv, Mads und Selb als tauglichen Appetitanreger werten zu können. Noch geht da weniger gut als gelungen ist, aber als ersten Gruß aus der Bremer Küche stimmt das Resultat hoffnungsfroh. Tick, Trick und Track machen Lust auf mehr.
"Tatort: Neugeboren", Montag um 20:15 Uhr im Ersten