Wäre das menschliche Gehirn ein bundesdeutscher Verwaltungsapparat mit Dienststellen, Ämtern und Fachbereichen, also Beamten, Referenten, Sekretärinnen – in der Abteilung für psychische Erkrankungen herrschte Hochbetrieb. Während sich deutsche Männer ihre Depressionen jahrzehntelang als Burnouts schöngeredet haben und Frauen halt schnell mal schwermütig waren, zählte die Deutsche Stiftung Depressionshilfe schon vor der Pandemie fast sechs Millionen Betroffene, Tendenz rapide steigend – mehrheitlich weibliche, zunehmend auch männliche. Männliche wie Mat.
Der amerikanische Berliner mit Dackelblick und Hipsterslang mag es sich nicht eingestehen, aber seit er aus seiner Boyband geflogen ist, stagniert die eigene Musikkarriere auf so niedrigem Niveau, dass ihm eine Stimme nachts Gemeinheiten ins Ohr wispert. "Du bist wertlos", zum Beispiel, "deine Songs sind nur leere Hüllen ohne Bedeutung", und mit der Frau im Bett neben ihm zusammengezogen zu sein, "war ein Riesenfehler". Was fast sechs Millionen Depressive eben um den Schlaf bringt. Mit einem Unterschied: die Stimme redet sich nicht in Mats Kopf, sie liegt direkt neben ihm. Leibhaftig.
Denn in der TNT-Serie "The Mopes" gibt es die Abteilung für psychische Erkrankungen wirklich. Besetzt mit einer Armee Fleisch gewordener Störungen von der Schizophrenie bis zur Zwangsneurose, soll sie dafür sorgen, dass sich 14 Millionen Deutsche – jeder zehnte davon Berliner – ihrer Störung bewusstwerden und behandeln lassen. Elfmal war die leichte Depression mit der Dienstnummer F32.1-2011/01 (Nora Tschirner) zuletzt erfolgreich, weshalb sie vor versammelter Belegschaft belobigt wird. Doch kurz bevor sie Mat (Roel Dirven) zur Leidenserkenntnis bringt, passiert etwas Unvorhergesehenes: er kann sie sehen.
"Diskrepanzia", nennt ihr Chef (Matthias Matschke) den Ausnahmefall seiner Behörde für Inneres, die Distanz zur Leitmaxime erhebt. Sollte der 12. Fall von F32.1-2011/01 nicht erfolgreich verlaufen, droht ihr demnach die Verbannung ins vierte Kellergeschoss. Ein Ort des Grauens, heißt es abteilungsintern. So startet ein sechsmal dreißigminütiger Kampf um Mats Selbstdiagnose durch Fremdüberzeugung, der mal tragisch, mal komisch ist und beim – hoffentlich zahllos zusehenden – Publikum ein ganzes Bündel interessanter Fragen aufwirft.
Wie ist das Filmemacherpaar Christian (Regie) und Ipek (Drehbuch) Zübert auf so ein wirres Zeug gekommen? Warum schafft es Hauptdarstellerin Nora Tschirner auch als psychische Krankheit so ungeziert komisch, die Grenzbereiche von Alltag und Wahnsinn auszuloten? Was haben Markus Dicklhuber und Sabine Keller geraucht, um derart bizarre Kulissen oder Kostüme kreieren? Vor allem aber: Sind wir wirklich schon so weit, uns über fiese Havarien der menschlichen Gemütslage lustig zu machen wie "The Mopes"?
Antwort eins könnte mit einem Videoabend zu tun haben, an dem die Züberts vermutlich Filmgrotesken von Wes Andersen bis Terry Gilliam binge gewatcht haben. Antwort zwei findet fraglos sich im Grenzbereich von Nora Tschirners Talent und Ausbildung. Antwort drei hat möglicherweise mit Drogen zu tun. Antwort vier dagegen ist schwieriger, aber irgendwie auch naheliegend; schließlich darf man seit den Hitler-Parodien von Ernst Lubitsch und Charlie Chaplin sogar über den Teufel lachen. Voraussetzung: das Gelächter wahrt ausreichenden Respekt gegenüber den Objekten. Und das gelingt der Serie ab heute auf TNT, Fox oder Sky wunderbar.
"The Mopes", frei übersetzt: "Die Trübsalbläser", sind nämlich distanziert und nahbar zugleich. Einerseits sorgt die schrille Ausstattung dafür, dass die Schauspielvariante der computeranimierten Pixar-Dramedy "Alles steht Kopf" zu absurd wirkt, um denkbar zu sein. Andererseits schimmert oft Wahrhaftigkeit durch die Paartherapie mit F32.1-2011/01 alias Monika, wie sie Mats kluge kleine Nichte zum besseren Verständnis nennt. Selbst billige Pointen wie die scheinbaren Selbstgespräche mit der Unsichtbaren im Beisein anderer, etwa Exfreundin Susa (Paula Kalenberg), kriegen da etwas Tröstliches.
Gerade Männern lehrt die Serie bei allem Spaß an Überzeichnung etwas Gesundheitsförderndes: stellt euch euren Ängsten, Schwächen, also Gefühlen! Geht zum Arzt, wenn ihr nicht reibungslos funktioniert! Und sucht stattdessen nicht ständig Schuldige für eigene Unpässlichkeiten! "Mangelnde Körperhygiene, Antriebslosigkeit, Libidoverlust, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Selbstzweifel, Gewichtsverlust, Abkapselung – Stufe 4 ist abgeschlossen", gibt Monika im 3. Teil Mats Grad der Verwahrlosung zu Protokoll, während er die WG seiner Schwester (Gina Henkel) zum Wahnsinn treibt. "Der Fortschritt verläuft zwar planmäßig", fügt sie hinzu. Aber Akzeptanz, Hilfe zu benötigen, sei "bei dem Fall noch nicht eingetreten".
Damit skizziert F32.1-2011/01 angenehm unverkrampft, wie psychische Verletzungen Männer wie Frauen aus dem Alltag raus in Stücke reißen. Dass Monika während ihrer Arbeit an Mats Erkrankungseinsicht eine Art Erkrankungsursacheneinsicht erlangt und in der geheimen Selbsthilfegruppe ihrer Abteilung landet, ist dabei zwar originell, aber nicht kennzeichnend für eine Tragikomödie, die bei aller guten Unterhaltung Bemerkenswertes leistet: Depressionen auf leichte Art zu erklären und damit ein wenig erträglicher zu machen.
"The Mopes" läuft ab dem 11. Mai immer dienstags um 20:15 Uhr bei TNT Comedy