Familie, das kann man beklagen oder erdulden, ist einfach da und schwer zu tauschen: der abwesende Vater und die fürsorgliche Mutter genauso wenig wie der neunmalkluge Bruder und die zickige Schwester, je nach Alter ergänzt um Oma und Opa in Rufnähe oder Reisedistanz. So sieht zumindest die deutsche Durchschnittsfernsehregelsippe aus, in der Sorgen und Nöte auf leichte Art durch die Verwandtschaft flippern, bis sie sich ins Finale verflüchtigen (Film) oder verschachteln (Serie). Blöd nur, wenn die Sorgen und Nöte das Grundsätzlichste betreffen, unser aller Überleben nämlich: den Klimawandel. Dann ist Schluss mit lustig.
Ist es das?
Nicht, wenn Ralf Husmann mal darüber nachgedacht hat. Seit der Drehbuchautor aus Dortmund mit "Stromberg" den Prototyp des toxischen Bürohengstes erschaffen hat, bohrt er uns reihenweise Realsatiren ins bürgerliche Gemüt, bei denen das Lachen – so sagt man – im Halse stecken bleibt. Elektrofachverkäufer bleiben da ebenso wenig ungeschoren wie Gleichstellungsbeauftragte, Polizeipsychologen oder Scheidungseltern. Es ist also nur konsequent, eine Umweltschützerin mit Asperger-Syndrom im Kopf und Wut im Bauch aufs Korn zu nehmen: Greta Thunberg. Wobei sie in Ralf Husmanns Serienwelt Mirella Schulze heißt.
Unter diesem Namen hetzt TVNow ab dem 8. April acht Folgen lang das germanische Gegenstück der schwedischen Klimaschützerin auf die Nerven aller – allen voran ihrer eigenen Familie, bestehend aus Mama Pia (Jördis Triebel) und Papa Mike (Moritz Führmann), Tochter Maya (Ella Lee) und Sohn Mats (Maximilian Ehrenreich). In drei Jahren Fridays for Future hat sie dem konsumfreudigen Quartett von Fleischkonsum über Plastikmüll bis Flugreisen bereits vieles ausgetrieben, was das Leben scheinbar angenehm macht. Mit freudloser Hartnäckigkeit beharkt das Nesthäkchen der Schulzes allerdings nicht nur ihre Liebsten, sondern die ganze Kleinstadt im Nirgendwo der bundesdeutschen Mittelstandsgesellschaft. Selbst vor der großen Wirtschaftspolitik macht ihr Nachhaltigkeitsrigorismus nicht Halt.
Widersprüche der Konsumgesellschaft liegen offen
Gleich zu Beginn landen wir daher in Mirellas Klima-AG, als sie gerade die feierliche Pflanzung des letzten von 10.000 Bäumen vorbereitet, mit denen sich das örtliche Chemieunternehmen Winterfeld grünwaschen will – besser: versucht, es zu tun. Denn kaum, dass der Bürgermeister ein paar warme Worte marketingbewusster Heuchelei gesprochen hat, kapern die jungen Aktivisten vor versammelter Presse das Podium und beschuldigen den größten Arbeitgeber vor Ort, die Umwelt zu töten. Was Erwachsenen schon deshalb nicht passt, weil die meisten davon für Winterfeld arbeiten, Mirellas Mutter inklusive.
Altruismus kollidiert mit Egoismus kollidiert mit Idealismus kollidiert mit Opportunismus: unter der Regie von Jonas Grosh und Sinan Akkus geht es 20 knackige Minuten pro Episode um diese Sollbruchstellen des Gemeinsinns im Sog turbokapitalistischer Globalisierung. Und es ist Ralf Husmanns Fertigkeit, fast eine Kunst, die Widersprüche unserer aufgeklärt destruktiven Konsumgesellschaft schonungslos offenzulegen. Pointe für Pointe entlarvt er Hybris und Verlogenheit als Selbstbetrug. Und niemand verkörpert ihn präziser als Winterfeld-CEO Joosten (Harald Schrott), der die renitenten Kids mit "Naturschnullern ruhigstellt", wie Mirella Schulze (Tilda Jenkins) erkennt.
Dass er dabei auch Kalauer absondert wie jenen, "jetzt wollen wir aber mal die Kirche im Sack lassen, äh Katze im Dorf"– geschenkt. Um bittere Wahrheiten glaubhaft zu machen, zeigte schon Roberto Benignis KZ-Komödie "Das Leben ist schön", müssen Witze manchmal voll auf die Zwölf hauen. Trotz seiner Liebe zur Punchline unterwandert auch Ralf Husmann die aktuell akuteste Menschheitskatastrophe demnach, ohne die Akteure darin bloßzustellen. Selbst Männer, denen er ansonsten mit größtmöglicher Hingabe in die Herrlichkeit tritt, sind hier Gefangene zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer Zivilisation im Abwehrgefecht gegen sich selber.
Eine Serie als Klimarettungskampagne
Und wie sie ihre Haft spielen, das ist nicht immer lustig, aber meistens sehr stichhaltig. Vor allem in Mirellas Familie. Mutter Assistentin der Winterfeld-Geschäftsleitung und schwer fertiggerichtsüchtig, Vater Lkw-Fahrer und aufrichtig veganismusbereit. Beide im Schwitzkasten von Empathie und Broterwerb, beide auf unterschiedliche Art Opfer von Profilneurosen, die alle, wirklich alle Protagonisten dieser globalen Sitcom spazieren führen.
Der umweltbewegte Musiklehrer Herr Marquardt zum Beispiel, dem Rainer Reiners eine hinreißend bockige Achtundsechzigerselbstgerechtigkeit verpasst. Oder Pia Schulze, die Mikes Satz, "wir haben ihr immer gesagt, sie soll sich nicht verbiegen" mit der bitteren Wahrheit zertrümmert: "Wir haben ihr auch gesagt, der Weihnachtsmann bringt die Geschenke, das hast du aber schön gemalt, wir haben euch alle gleich lieb", um hinzuzufügen: "Eltern belügen ihre Kinder."
Mit dieser Dialogregie schafft es Ralf Husmann aufs Neue, bürgerliche Betriebsblindheit gegenüber der wahren Welt vorm Gartentor gleichermaßen zu kritisieren und zu akzeptieren. Wenn er nebenbei noch Schülermobbing und Pubertätsprobleme, gläserne Decken und eiserne Hierarchien thematisiert, wird "Mirella Schulze rettet die Welt" zur umfassenderen Klimarettungskampagne als alle wirtschaftspolitischen PR-Kampagnen. Und eine deutsche Familienstudie wie aus dem Bilderbuch der Spaßgesellschaft.
"Mirella Schulze rettet die Welt" steht bei TVNow zum Abruf bereit, Vox zeigt am Mittwoch, den 4. August alle acht Folgen am Stück.