Das geht ja gut los. Ein Mann hängt mit durchgeschnittener Kehle an der Decke einer dunklen Wohnung im Plattenbau. Wenig später dann der nächste Mord. Diesmal wird ein alter Mann in einer noblen Seniorenresidenz umgebracht. Er brauche nichts mehr, ruft er noch - in der Annahme, es handle sich um einen Pfleger, der sich ihm von hinten nähert. Doch da ist es schon zu spät. Ein präziser Schnitt durch die Kehle sorgt dafür, dass die Ruhe, die bis dato hier, an diesem idyllischen Flecken an der Mecklenburgischen Seenplatte eines jähes Ende findet.
Es dauert nicht lange, bis die Kommissare Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller) und Frank Elling (Sascha Gersak) ahnen, dass hinter den Taten ein Serienmörder steht, auch wenn zunächst unklar ist, in welchem Zusammenhang die Opfer ausgewählt wurden. Dass sie selbst in arge Schwierigkeiten geraten werden, ist ihnen zu diesem Zeitpunkt freilich nicht bewusst. Doch je weiter die Handlung voranschreitet, desto größer werden die Hindernisse, die Mendt und Elling überwinden müssen.
Es dauert ein wenig, bis klar wird, in welche Richtung sich die Geschichte, die unter dem eher konventionellen Titel "Die Toten von Marnow" erzählt wird, entwickelt - und vor allem, wer gut und wer böse ist. Tatsächlich sind die Übergänge fließend: Elling, der gutmütige, aber überschuldete Familienvater, muss nicht nur damit klarkommen, dass seine Ehefrau eine Affäre mit dem Schweriner Oberbürgermeister-Kandidaten eingeht, sondern gerät in immer heiklere Situationen, als er sich dazu entschließt, Bestechungsgeld anzunehmen. Mendt wiederum, offensichtlich traumatisiert durch ein Ereignis aus der Vergangenheit, bandelt mit ihrem jungen Kollegen Sören Jasper (Anton Rubtsov) an und wird später auf brutale Weise sexuell missbraucht.
Immer wieder lassen sich die beiden zu moralisch äußerst fragwürdigen Handlungen hinreißen, die dem Publikum den Atem stocken lassen. Zu sehen, wie die Ermittler zunehmend die Kontrolle über den Fall, aber auch sich selbst verlieren, wirkt mitunter arg beklemmend. Zumal die Hintergründe des Falls, in dem es um die Alt-Stasi, Geheimdienste und die westdeutsche Pharmaindustrie geht, erst nach und nach sichtbar werden. Erzählt wird das alles in sechs Stunden, in denen der Krimi-erfahrene Regisseur Andreas Herzog mal brutal und schnell, mal behutsam und mit Liebe zum Detail die Puzzleteile, die sich Autor und Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt ("Gladbeck") erdacht hat, zusammensetzt.
Als krasser Gegensatz zu der mit Hochspannung gespickten Geschichte dienen die sommerlichen Impressionen, die Philipp Sichler mit der Kamera im Cinemascope eingefangen hat. Auf der einen Seite die Weite der Landschaft, auf der anderen Seite die Enge, in der die Protagonisten getrieben werden. Dazu kommt ein bis in die Nebenrollen hervorragend besetztes Ensemble, zu dem etwa Jörg Schüttauf zählt, der einen skrupellosen Ex-Stasi-Mitarbeiter spielt, oder Michael Mendl als undurchsichtiger Staatssekretär. Auch Komponist Martin Tingvall hat ganze Arbeit geleistet und der Miniserie mit feinen Tönen versehen.
"Üblicherweise müssen Drehbuchautoren einen 400-seitigen Roman in 90 Minuten pressen – dabei geht zwangsläufig immer viel verloren", sagt Holger Karsten Schmidt. Das ist hier anders. Ob als Vierteiler an drei Abenden, wie "Die Toten von Marnow" von diesem Samstag an im Ersten ausgestrahlt wird, oder als achtteilige Miniserie, wie sie schon seit einigen Tagen in der ARD-Mediathek zum Abruf bereitsteht - die Mischung aus Kriminalgeschichte, Thriller und vielschichtigem Drama, produziert von Beatrice Kramm und der Polyphon, weiß zu überzeugen. Und zwar in jeder einzelnen der 360 Minuten.
"Die Toten von Marnow" am Samstag, Mittwoch und Donnerstag um 20:15 Uhr im Ersten sowie schon jetzt in der ARD-Mediathek