Ein Sendergesicht zu sein, hat oft Risiken und Nebenwirkungen, die kein Arzt oder Apotheker heilt. Kurz nicht aufgepasst, schon geistert man in Endlosschleife durchs Programm desselben Kanals und sorgt von Pilawa über Jauch bis Kerner für Übersättigung. ProSieben hat da indes ein probates Gegenmittel: nicht eins, nicht zwei, nicht drei, sondern ein rundes Dutzend Sendergesichter wie Steven Gätjen, Annemarie Carpendale, Teddy Teclebrhan oder dem Zentralgestirn Joko & Klaas, das allerdings von einem Stern umkreist wird, der den zwei Platzhirschen langsam die Show stiehlt: Jeannine Michaelsen.
Samstag noch mit beiden beim „Duell um die Welt“ unterwegs, hat sie nun wieder mal ihr eigenes Rampenlicht: „Die Show mit dem Sortieren“, kurz DSMDS, noch kürzer: oje. Seit gestern zur - auch im Streamingzeitalter ja immer noch irgendwie - besten Sendezeit um 20.15 Uhr bittet die ausgebildete Tänzerin aus Köln mit Bildungsprogrammerfahrung bei Arte nun mittwochs zum Quiz, und ehrlich: das kann die ARD besser, das kann auch ProSieben besser, vor allem aber kann es Jeannine Michaelsen besser, die selbst als Musical-Sängerin in Hamburg einst nur unwesentlich unterforderter gewesen sein dürfte.
Mit gewohnt wallender Robe begrüßt sie schließlich vier Primetime-Promis: das Casting-Gewächs Sarah Lombardi, den Comedian Özcan Cosar, die Dragqueen Olivia Jones und einen Schauspieler namens Jan van Weyde. Auf Zweierteams verteilt, sollen sie Schätzfragen wie jene beantworten, ob Faultiere schneller fliehen als Blut in Adern fließt, Bierkisten mehr wiegen als Bodybuilder, Kotzgeräusche schlimmer klingen als Kindergeschrei oder mit wem 1000 Zuschauer lieber für 24 Stunden tauschen möchten – Supermodels, britische Prinzen, Popstars, US-Präsidenten.
Das ist vom Versuchsaufbau her schlicht, noch dazu leidet die Show schwer am pandemischen Publikumsverbot, das die Zuschauersimulation des Geräuschemachers Mike am Bühnenrand nur oberflächlich kompensiert. Auch ohne social distancing jedoch ist die Show mit dem sperrigen Titel ein Schritt, nein – ein Marathon zurück ins Privatfernsehpräkambrium, als das Licht noch aus Glühstrahlern kam und Werner Schulze-Erdel uns erklärte, man habe 100 Menschen befragt.
Fast 30 Jahre nach dem ersten „Familien-Duell“ bei RTL fragt man sich nun, ob ProSieben nichts Originelleres eingefallen ist oder Originalität bei einem Sender wie diesem halt vom vollen Studio lebt. An Jeannine Michaelsen jedenfalls lag es nicht, dass die acht Reklamepausen interessanter waren als acht kaugummizähen Rätselrunden. Mit der Erfahrung aus acht Jahren unterhaltungspädagogischer Mediation ihrer entfesselten Kindsköpfe Joko und Klaas, füllte sie die Ödnis zumindest gelegentlich mal mit ihrer Schlagfertigkeit. „Betrunken laufe ich rückwärts schneller“, kommentierte sie etwas das Tempo des unterlegenen Faultiers im Blutsvergleich und sorgte so für mehr Heiterkeit als ihre vier Gäste in mehr als zwei Stunden.
Kein Wunder: Rateshows mit prominenter Beteiligung erfordern das Talent zum amüsanten Lautdenken, wie es ein Bernd Hoëcker beherrscht, sein kongenialer Expartner Wigald Boning, ja selbst der notorische Elton. Ab und zu ein Pimmelwitz der berufsschlüpfrigen Olivia Jones oder Sarah Lombardis Faseln zu allem allerdings machen es selbst einer Rampensau wie Jeannine Michaelsen schwer, gehobenen Frohsinn zu verbreiten. Wenn eloquente Entertainer wie Bülent Ceylan, Ruth Moschner, Axel Stein, Ariane Alter oder Pierre M. Krause in den kommenden drei Folgen gedanklich Sachen sortieren, besteht also die berechtigte Hoffnung, dass sie ihr Biotop zurückerobert.
Die Begabung der 39-jährigen Frau allein unter Männern, fast ein Alleinstellungsmerkmal, besteht schließlich im Pointen-Pingpong befreundeter Kontrahenten, wofür sie zwingend Teamplayer braucht, keine Selbstdarsteller. Die aber waren gestern in der Mehrheit, Verhältnis 4:1 sogar, keine Chance fürs redegewandte Unterhaltungstalent, das ihr Metier vor zwölf Jahren nicht umsonst mit einem Onlinemagazin übers Fernsehen betrat: „Ehrensenf“ hieß es, geleitet von Katrin Bauerfeind. Noch so ein Unterhaltungstalent, das erst die bissige Interaktion auf Augenhöhe zur vollen Entfaltung treibt. Wie Jeannine Michaelsen eben.
Gestern allerdings musste sich die Moderatorin mit dem Hang zum Marlene-Dietrich-Style ein bisschen selbst verzwergen. Passend zum Gästequartett wurden im Finale noch fix die Like-Zahlen berühmter Instagram-Posts verglichen, bevor „Die Show mit dem Sortieren“ durch ein laues Lüftchen klassischer Quizfragen Richtung Konfettiregen ebbte. Ließe man 1000 ProSieben-Zuschauer entscheiden, ob sie Jeannine Michaelsen im Schlagfertigkeitsduell mit Joko & Klaas wollen oder dem Geräuschmacher Mike und vier weiteren B-Promis, bliebe ihr ein weiterer Auftritt dieser Art womöglich erspart.
Aber gut – Sendergesichter haben’s halt auch nicht immer einfach.