"TV-Produzenten in Deutschland - Zurück in die Zukunft"?
Der Titel war ein spontaner Einfall. Aber ich denke, er umschreibt treffend, was viele TV-Produzenten sich wünschen: das Paradoxum, möglichst schnell zurück ...und zugleich möglichst schnell in die Zukunft zu kommen.
Möglichst schnell zurück – auf das Produktionsvolumen vor Corona. Und möglichst schnell in die Zukunft – in der ein Impfstoff gefunden ist, in der die TV-Studios wieder mit Publikum gefüllt sind und in der Realityshows wieder in der Südsee statt in Griechenland gedreht werden
Aber noch sind wir in der Gegenwart. Und es fällt schwer, den üblichen Rat "Genieße die Gegenwart" zu befolgen. Denn nicht nur die Zukunft ist ungewiss, auch die Gegenwart fühlt sich mittlerweile schon sehr lang und sehr unsicher an.
Was bedeutet das für uns TV-Produzenten?
Viele von uns Unterhaltungs-Produzenten haben im Lockdown schnell den Schalter umgelegt und getan, was sie am besten können: kreativ sein und kopfüber rein in die unübersichtliche Lage. Wir haben uns von allen Sendern Briefings abgeholt und dann unsere Schubladen, Server und den weltweiten Markt bis in den letzten Winkel durchwühlt, um möglichst schnell Formate zu finden, die man sofort, ohne Publikum und ohne Ansteckungsgefahr herstellen kann.
Heraus kamen dabei die erfreuliche Erkenntnis, dass eine "heute-show" auch ohne Publikum funktioniert – aber auch Rohrkrepierer wie die verstörende "Jauch-Gottschalk-Pocher"-Skype-Show.
Was wir vor lauter Tatendrang kurz vergessen hatten: Der Überlebensauftrag unserer deutschen Sender heißt doch nicht, die Zuschauer möglichst lückenlos, rund um die Uhr mit bestmöglichem Programm zu beliefern. Im Falle der Privatsender heißt es: Wir müssen darauf achten, dass wir trotz einbrechender Werbebudgets für Familie Mohn, Silvio Berlusconi, Friede Springer oder ihre Erben Geld verdienen. Und bei den öffentlich-rechtlichen Sendern wiederum ist die Devise: Wir müssen darauf achten, dass wir trotz unklarer, finanzieller Zukunftsaussichten die Vorgaben und Erwartungen der Politik erfüllen, dem erhöhten Berichtsbedarf angemessen nachkommen, ohne in Fettnäpfe zu treten, bestehende Verträge rund um Olympia, Fußball, Song-Contest usw. verschieben und erfüllen, dabei aber keine allzu großen Löcher in die für die Zukunft noch nicht gesicherten Budgets reißen.
Weder die einen noch die anderen Sender haben also hemmungslos ihre Kassen zu unseren Gunsten geleert. Aber immerhin: Unsere Konzept-Schubladen sind nun leer. Die der Sender quillen dagegen über.
Und wo stehen wir jetzt?
Nun, wie Milliarden von anderen Menschen in aller Welt stehen auch wir illustren TV-Produzenten immer noch ...vor einer ungewissen Zukunft! Wir produzieren wieder mit Publikum – aber nur mit kleinem, und wer weiß wie lange noch? Wir drehen wieder mit Supertalenten, Realitystars oder richtigen Stars – halten dabei aber mit bangem Blick das Fieberthermometer und die Checkliste mit Covid-Symptomen im Blick. Wir verschlingen täglich und wöchentlich die Covid-Updates aller Art so gierig wie einst die neuen Folgen von "Breaking Bad" oder "Game of Thrones" und wir hoffen dabei, dass der nächste Ausfallfonds noch vor dem Impfstoff kommt.
Nachdem wir also nun bewiesen haben, dass wir unter Pandemiebedingungen produzieren können, können wir uns den wirklich wichtigen Fragen widmen:
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Wohin geht die Reise?
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Wo liegen die Chancen der Zukunft?
Durch die Pandemie ist es noch schwieriger geworden, zu erkennen, wie sich der TV-Markt in Deutschland entwickeln wird. Klar ist: Wir erleben eine Fokussierung auf die Primetime, auf internationale Top-Marken, auf Return-of-Invest-Versprechen und auf Repertoire-Fähigkeit – heißt letztlich: seitens der Sender wenig Lust auf Experimente.
Klar ist auch: Es wird einige von uns hart erwischen. Es wird Pleiten geben. PCI, das Netzwerk der Kultur- und Kreativbranche, fürchtet für sich, dass die Corona-Krise sich in drei Wellen auswirken wird. In der ersten sind wir drin: Es gibt Entlassungen und Auftragskündigungen für Zehntausende. In der zweiten Welle werden sich gekürzte Marketingbudgets niederschlagen. Diese wiederum führt zur dritten Welle – mit der Folge, dass zu wenig investiert und konsolidiert werden konnte, die Reserven ausgehen und Stoffe fehlen. So könnte es für die Produzentenlandschaft auch laufen.
Zudem haben wir zwar wieder deutlich vernommen, dass es auch den Sendern nun schlecht geht. Wir werden aber höchstwahrscheinlich auch dieses Mal eher vergeblich darauf warten, dass es heißt: Es geht uns wieder besser! Die Budgets können wieder steigen!
Und die großen Chancen? Die liegen für die meisten von uns eher nicht in der Fiction. Lasst uns ehrlich sein: Das können die Amerikaner nicht zuletzt aufgrund ihrer erprobten, weltweiten Auswertungsmöglichkeiten – dank besserer Budgets, besserer Strukturen vertikal und lateral – besser und effektiver.
Wichtig sind stattdessen: Exklusivität und Lokalität.
Exklusivität ist ein Lebensretter für uns mittelständische Produzenten. Ist doch klar: Wenn ich anbiete, was alle im Angebot haben, kann ich gegenüber meinen Konkurrenten nur noch über niedrige Preise punkten. Und welcher Produzent will das schon? Wir brauchen also etwas Exklusives, heißt: "Köpfe" oder "Formate".
Bei "Formaten" bin ich mittlerweile skeptisch. Die besten sind meist fest in der Hand der großen Konzerne – entweder dort entwickelt oder Pre-MIP aufgekauft. Die wenigen im freien Handel sind die günstigere B-Ware, die aber in der Regel auch den Sendern oft schon bekannt sind und bei Gefallen weggekauft – oder eben unerwünscht. Mein Eindruck: das Geld für Formatoptionen kann man sich meist eher sparen.
Bleiben "Köpfe" – das ist das Asset, mit dem wir als KMU-Produzenten gut arbeiten können. Comedians, Köche, Händler, Experten aller Art – und natürlich Ex-Gewinner diverser Reality-Formate. Nicht immer einfach, aber eventuell lohnend. Und übrigens: Wichtig sind nicht nur gute Köpfe vor der Kamera, sondern auch dahinter: Autoren, Producer, Regisseure sind mehr als je zuvor zentrale Personen, die für den Verkauf und späteren Erfolg unserer Produktionen wesentlich sind. Sie zu finden, zu erobern und zu halten ist eine der wichtigsten Grundtugenden unserer Zunft geworden.
Lokalität. Die bittere Wahrheit ist ja: Wir mittelständischen, deutschen Produzenten, werden – egal ob in Unterhaltung oder Film – nur in ganz, ganz seltenen Fällen einen globalen Hit landen. Die Sprache ist schuld, zum einen. Und offenbar können wir im internationalen Vergleich immer noch besser Autos bauen als Geschichten erzählen oder international unterhalten. Bekennen wir uns also zu unseren Stärken: Wir kommen von hier oder leben hier! Niemand kennt die deutschen Zuschauer, Akteure und Befindlichkeiten besser als wir.
Glaubwürdige Programme, mit denen das hiesige Publikum "relaten" kann, wird im Konkurrenzkampf der Importware ein Trumpf sein. Im Falle unseres eigenen Formats "Passt, wackelt und hat Luft" hat der WDR – wie zuvor schon die BBC in England –erkannt, dass er ZuschauerInnen außerhalb der Großstädte und aus nicht-akademischen Milieus nicht nur "nicht vergessen“ darf, sondern viel stärker in den Mittelpunkt des eigenen Programms rücken muss, um dauerhaft nennenswerten Erfolg zu haben. „Bares für Rares“ ist ein anderes, perfektes Beispiel für die enorme Erfolgschance von lokal generierten Formaten.
Wenn wir die oben gestellte Frage nach den „Chancen“ rein auf Formate beziehen, sind vor allem drei Stichworte entscheidend: Relevanz, Live und Big Entertainment Shows.
Für mich persönlich gibt es übrigens noch eine weitere, wichtige Frage, in diesen Zeiten – die auch für meine Branchenkollegen bedenkenswert erscheint:
Wo WILL ICH hin?
"Nachhaltigkeit" ist neben Klimaschutz derzeit in aller Munde. Wäre es nicht schön, wenn es gelänge, auch im eigenen Schaffen nachhaltig zu sein? Also sorgsam mit den Ressourcen – Personal, Zeit, Kreativität, Datenvolumen, Timeslots – umzugehen; Müll zu vermeiden und etwas für die Zukunft zu tun? (Mit "Müllvermeidung" meine ich nicht die "Kaffeebecher am Filmset", sondern den Müll in einigen Formatkatalogen.)
Es wäre doch schön, wenn wir nur noch Sendungen produzieren müssten, für die wir uns vor unseren Nachfahren niemals schämen müssten. Auch für uns gilt doch: Wir leben in der Gegenwart, aber wir haben eine Verpflichtung für die Zukunft! Die weltweit agierenden Medienunternehmen haben übrigens erkannt, dass sie ein Gesicht zeigen müssen, eine klare Haltung. Vielleicht ist das auch für einige von uns eine Gelegenheit, über ein gedanklich-strategisches "Reset" nachzudenken.