Schweigsamkeit ist nicht unbedingt eine Kernkompetenz des Fernsehens von heute. Dauernd wird auf Teufel komm raus gequasselt. Allein öffentlich-rechtlich redet derzeit ein rundes Dutzend Talkrunden auf einander ein. Auch den Privaten täte mehr Verschlossenheit gut. Wie befreiend wirkt es da, dem Helden einer neuen alten Fernsehserie dabei zuzuhören, nichts zu sagen, kein Wort, nie. Ein stummer Mann mit Melone? Während es in der Generation X nostalgisch klingelt, fragen sich Nummer Y bis Z gewiss, wer das denn bitte sein soll. Die Antwort lautet wie vor 50 Jahren: Pan Tau.
So heißt der Titelheld einer ARD-Serie, die 1970 den Boom tschechischer Fernsehimporte nach sich zog. Ihre Story ist so simpel wie komplex: Pan Tau kann nicht sprechen, aber zaubern. Damit bringt er pro Staffel zwei Kinder zur Verzückung, vor allem aber ihre Eltern auf die Palme. 34 Folgen war das in aller Seelenruhe so hinreißend tiefgründig, dass es fast ein bisschen erstaunt, wie lange sich das Erste Zeit gelassen hat, um die Geschichte zu modernisieren. Jetzt ist es soweit: 32 Jahre nach dem Ende des Originals startet das Remake und versüßt ab sofort sieben Sonntage lang den Morgen.
Wie 1978 ist die Titelfigur ein eleganter Herr mysteriöser Herkunft, der sich mit einer Handbewegung am Hut auf Puppengröße verkleinern kann und auch sonst viele Zaubertricks draufhat außer dem, sich Worte beizubringen. Nach mehreren Medienrevolutionen ist die Hexerei aber auch das einzige, was Ursprung und Abklatsch eint. Während der australische Darsteller Matt Andrews als Maskottchen der englischen Westpark-School mit deutscher CGI-Technik globale Teenie-Probleme von Liebeskummer bis Leistungsdruck löst, schrumpfte sein tschechisches Vorbild Otto Šimánek mit manueller Stop-Motion auf Wichtelgröße und half Grundschülern aus Patschen, die stets mit erwachsener Sittenstrenge zu tun hatten.
Ohne Hierarchie und Herrschaft infrage zu stellen, war Pan Tau also ein züchtiges Manifest der sozialdemokratischen Reformjahre. Vor allem aber war es ein zünftiges Kinderfest bürgerlicher Freizeitgestaltung, das die Dreh- und Sehgewohnheiten auf Jahre hinaus prägte. Vom (seinerzeit als "Rotfunk" verleumdeten) WDR in den Prager Barrandov-Studios produziert, versorgten Ota Hofmann (Buch) und Jindřich Polák (Regie) deutsche Kinderzimmer ja 20 Jahre lang mit niveauvoller Zerstreuung, bevor sie im Durcheinander des dualen Systems explodierte. Lieferten Zeichenformate von "Familie Feuerstein" bis "Captain Future" ulkigen Eskapismus, waren "Luzie, der Schrecken der Straße und "Die Tintenfische aus dem Zweiten Stock" Selbstbefreiungsfantasien gewöhnlicher Gören, die trotz Hilfe magischer Freunde ganz unaufgeregt gegen Autoritäten aufbegehrt haben. Beides sollte sich bald ändern.
Als RTL 1995 Deutschlands ersten Kinderkanal schuf, war es mit Pan Taus Gelassenheit am Bildschirm nämlich vorbei. Realfilmserien wie "Computer-Kids" und "Familie Munster", mehr aber noch die teilanimierten "Power Rangers" oder "Ninja Turtles" hatten zwar zuvor schon Bild- und Tonfrequenz beim Muttersender Richtung Anschlag gepitcht. Die Nachwuchssparte mit dem Zusatz "Super" allerdings füllte sein Programm bald mit Fiktionen, deren Blitzlichtgewitter vielfach noch schriller, lauter, hektischer war als alle brachialen Werbespots, mit denen die Zielgruppe schon im Krippenalter auf Konsum gedrillt wurde.
Zwei Jahre später versuchte der öffentlich-rechtliche KiKa das Tempo zwar ein wenig zu drosseln. Doch seit der Jahrhundertwende reagieren auch hier rasante Schnittwechsel, ständige Splitscreens, sexistische Synchronisationen zu Lasten der Chance, beim Zusehen locker zu bleiben. Als das ZDF vor acht Jahren die ereignislos betörende Zeichentrickbiene Maja zur aseptischen 3D-Animation veröden ließ, setzte sich die zeitgenössische Mischung aus äußerlicher Unruhestiftung bei inhaltlicher Verseifung endgültig durch. Etwa beim pfiffigen Wickie, dessen gemächliches Erzähltempo der Siebziger 2014 vervielfach wurde, der ruppige Realismus trinkfreudiger Wikinger auf Beutezug dagegen geviertelt.
Erziehungswissenschaftler werden daher nicht müde, die dramaturgisch seichte Effekthascherei am Flatscreen bei allem Verständnis für Fortschritt und Verhaltenswandel zu missbilligen. Weil sie im Sperrfeuer visuell-akustischer Reize stehen, verlieren aus Sicht des Soziologen Hartmut Rosa bereits Vorschulkinder die Chance, "sich selbst zu ertragen". Und mit dem Siegeszug des Smartphones samt schnelllebiger Video-Apps wie Snapchat oder TikTok wird ihre Fähigkeit dazu kaum wachsen.
Genau deswegen läuft die berechtige Kritik am TV-Programm aber auch langsam ins Leere. Laut einer Bitcom-Studie von 2019 hängen 54 Prozent der Sechsjährigen bereits regelmäßig am Smartphone, während Streamingdienste die Aufmerksamkeit 3- bis 13-Jähriger abziehen. Auch deshalb hat sich ihr linearer TV-Konsum seit 2010 auf zuletzt 58 Minuten halbiert. Parallel dazu verschärfte der weltgrößte Unterhaltungskonzern das Rennen um die Publikumsgunst weiter. Pünktlich zum Shutdown, ging Disney+ Ende März auch hierzulande online und bündelt das Dilemma nachhaltigen Kinderentertainments seither auf einer Plattform.
Das kostenpflichtige Angebot ist ein einziger Werbespot für die Blockbuster des Weltmarktführers, in dem Mädchen süß sind, Jungen stark und saftige Happyends genauso garantiert wie satte Merchandisingerlöse. Am neuen Pan Tau mag es also viel zu kritisieren geben: Verharmlosung von Cyber-Mobbing, bruchstückhafte Dramaturgie, stereotype Synchronisation, all sowas. Darüber hinaus aber hat Showrunner Gabriele M. Walther mithilfe von Gaststars wie Armin Rohde und Katharina Wackernagel etwas kreiert, das im Dauerbeschuss der Spezialeffekte Feuerpausen duldet, Gespür für Diversität zeigt und auch im Entstehungsprozess vom Mainstream abweicht: während deutsches Fernsehen oft im Niedriglohnland Tschechien entsteht, wurde das Remake eines ČSSR-Klassikers in Deutschland gedreht.
Das Erste zeigt die Neuauflage von "Pan Tau" ab dem 4. Oktober sonntags ab 10:10 Uhr in Doppelfolgen. Alle Folgen stehen auch bereits in der Mediathek bereit.