Am 7. August machten die Briten ihren Umzug offiziell: Die nächste Staffel der Realityshow "I'm a celebrity - get me out of here" wird nicht wie sonst üblich in Australien produziert, sondern stattdessen in einer Burgruine in Großbritannien, teilte der Privatsender ITV mit. Damit wurden die Spekulationen über die nächste Staffel der RTL-Version "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" neu befeuert, denn neben der ohnehin schon komplexen Problematik, in Corona-Zeiten mit einer nicht gerade kleinen Crew und zahlreichen Prominenten am anderen Ende der Welt zu produzieren, fehlt mit der Entscheidung aus Großbritannien die sonst über Jahre genutzte Synergie mit der britischen Produktion. Beide Sendungen nutzen Down Under das gleiche Set: Im Spätherbst zunächst die Briten, im Januar dann die Deutschen. Das führte bei der kostspieligen Sendung zu willkommenem Einsparpotential auf beiden Seiten.
"Die Briten haben das Camp und das gesamte Areal inklusive der Produktionsstätten vor Ort von ITV Studios bauen lassen. Wenn das britische Dschungelcamp im Herbst gedreht wird, bleibt danach alles stehen, es bleiben auch Leute von ITV dort und wir ziehen ein. Dann ist es so, dass wir ja auch bei den Spielen oft auf das zurückgreifen, was die Briten einige Wochen vorher genutzt haben. Nur in dieser intensiven Synergie hat das Projekt bislang geklappt", erklärte RTL-Geschäftsführer Jörg Graf im Juni als die Australien-Absage der Briten noch nicht entschieden war. Nach der ITV-Entscheidung erklärte RTL noch am gleichen Tag, jetzt die Optionen zu prüfen. Diese Entscheidungsfindung dauert an, muss aber bis Ende September fallen. Wäre eine Produktion in Australien überhaupt realisierbar und will man es riskieren oder folgt man ITV nach Großbritannien?
Für RTL geht es hier um mehr als bloß eine von vielen Fernsehshows. "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus" ist beim jüngeren Publikum unverändert die erfolgreichste Sendung im deutschen Fernsehen, was sich bei einem werbefinanzierten Programm unmittelbar in wirtschaftliche Bedeutung übersetzen lässt. Noch dazu sind die enormen Quotenerfolge im Januar stets Rückenwind für Vermarkter Ad Alliance. Vom traditionell starken Januar zehrt RTL auch im Jahresverlauf und nach dem Werbeeinbruch in diesem Frühjahr/Sommer liegt alle Hoffnung auf ein stabileres Jahr 2021 eben kurz nach dem Jahreswechsel zu allererst auf dem von ITV Studios Germany realisierten Reality-Flaggschiff "Ich bin ein Star - holt mich hier raus". Klar: Gäbe es eine reelle Chance sicher und finanzierbar in Australien zu produzieren, würde es das Publikum sicher weniger irritieren als eine Burgruine im britischen Winter.
Pandemie und ITV-Entscheidung machen es schwer
Und doch spricht viel dafür, dass RTL im kommenden Januar auch in Großbritannien produzieren wird und es vielleicht sogar als Chance begreifen kann. Größtes Hindernis einer Mammut-Produktion am anderen Ende der Welt ist naheliegenderweise die Corona-Pandemie selbst. In Deutschland haben viele Firmen (inklusive der Mediengruppe RTL Deutschland) ihre Mitarbeitenden nicht einmal wieder vollständig zurück ins Büro geholt, da wollen RTL und ITV Studios Germany mit großer Crew tatsächlich ans andere Ende der Welt aufbrechen? Mit einer notwendigen Quarantäne bei der Einreise müssten alle Beteiligten inklusive der Prominenten auch noch weitaus früher anreisen als üblich - was bei gewohntem Sendetermin mitunter an den Weihnachtsferien kratzen könnte. Das würde die Prominenten-Jagd für das Format erschweren. Erleichternde Sonderregelungen mit den australischen Behörden zu verhandeln, ist schon der britischen Produktion nicht gelungen.
Und dann fehlt vor Ort die Vorarbeit der britischen Produktion. Also keine Chance für eine Produktion in Australien? Ein kleiner Hoffnungsschimmer war jedoch die Aussage des australischen Fernsehsenders Channel 10, im kommenden Jahr eine neue Staffel der eigenen Version von "I'm a celebrity - Get me out of here" zu zeigen. Bislang wurde die australische Version in Südafrika gedreht, was aufgrund von Corona-Reiserestriktionen unwahrscheinlich ist. Deshalb wird in Australien derzeit spekuliert, dass Channel 10 naheliegenderweise im heimischen Set produzieren könnte - eben dort, wo sonst auch ITV und RTL ihre Versionen des Formats drehen. Allerdings geht die australische Version bei Channel 10 traditionell ebenso im Januar über den Sender, würde sich also mit dem üblichen Termin der RTL-Version überschneiden. Die Australier ziehen aber offenbar in Erwägung, ihre Staffel komplett vorzuproduzieren.
Ob aber die Zusammenarbeit mit der australischen Produktion wirklich vergleichbare Synergien wie bei der Partnerschaft mit den Briten ergeben würde und aufgrund der Corona-Pandemie - ganz abgesehen von der langen Reise und Einreiseproblematik vor Ort - überhaupt wie gewohnt gearbeitet werden könnte, ist unklar. Es spricht nicht viel für Australien, aber trotzdem halten sich bei RTL und ITV Studios Germany noch Hoffnungsschimmer. Verständlich: Die australische Sonne im Januar ist verlockender als der britischen Winter. Und natürlich tat gerade die maximale Entfernung vom Sender dem Format und seinen Gags oft sehr gut, weil das Team vor Ort sich gerne ein bisschen mehr erlaubte als erwartet. Aber für den Januar 2021 ist es, nach allem was sich jetzt zu einem Zeitpunkt der nötigen Entscheidung absehen lässt, schwer vorstellbar, "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" in gewohnter Form in Australien zu produzieren.
Jede Komplikation, Einsparung oder Änderung bei einer Produktion in Australien würde "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" in die Defensive bringen. Und wenn die Branche eins aus dem Coronatainment der ersten Wochen dieser Pandemie gelernt hat, dann, dass das Publikum in der Unterhaltung Eskapismus sucht und eher weniger daran erinnert werden will, dass gerade aufgrund einer Pandemie alles etwas anders ist. Eine Sparversion des bekannten Dschungelcamps ist keine vielversprechende Perspektive. Ein einmaliger Umzug von "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" in eine britischen Burgruine wäre hingegen die Flucht nach vorne: Wenn schon Veränderung, dann nicht aufgrund von Einschränkungen sondern mit der Chance und Lust, die Neugier des Publikums neu zu wecken.
Hindernis wird zur Herausforderung und Gelegenheit
Aus einem Corona-bedingten Hindernis wird eine Herausforderung, die man neu denken und gestalten kann. Aus kreativer Sicht ohnehin reizvoller als die gleichen Konzepte auf Wiedervorlage - und die Neugier der TV-Nation dürfte dem Format sicher sein, wenn "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" einmalig aus einer Burgruine in Großbritannien kommt. Von der Aufmachung über den Ablauf und die Moderation bis zu Schnittbildern: Über die Jahre ist schließlich sehr viel Routine eingekehrt bei "Ich bin ein Star - holt mich hier raus", was nicht grundsätzlich schlecht sein muss, wie auch die bislang in einer eigenen Liga spielenden Einschaltquoten dokumentieren. Aber der Wettbewerb der Reality-Formate im deutschen Fernsehen ist weitaus intensiver geworden: "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus" muss endlich wieder überraschen und bekommt hier eine Gelegenheit geradezu aufgedrängt.
Und in Großbritannien gibt es wenig zu verlieren: Sollte das einmalige Abenteuer beim Publikum über die Neugier hinaus doch nicht gut ankommen, kann das gewohnte Dschungelcamp - vorausgesetzt die Corona-Pandemie ist gebändigt - 2022 in bekannter Form sein großes Comeback in Australien feiern. So ist gleich zweifach maximale Aufmerksamkeit garantiert. Und im schlimmsten Fall gilt: Lieber mit Kreativität und Spielfreude ehrenwert scheitern als mit einer Schmalspur-Version des Altbekannten, bei der es "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" sehr viel schwerer hätte, sich 2022 noch einmal zu erholen.
Einfach wäre ein temporärer Wechsel nach Großbritannien aber natürlich nicht, insbesondere produktionstechnisch: In Australien lässt sich dank Zeitverschiebung praktischerweise der zurückliegende Tag erzählen. Die australische Nacht dient der Postproduktion für die Ausstrahlung am Morgen bzw. deutschen Abend. Dreht man in Großbritannien, bliebe dem Team sogar noch eine Stunde weniger als gerade der Konkurrenz bei "Promi Big Brother" und dort werden schon notgedrungen die Geschehnisse des Vortages erzählt, was in Kombination mit Live-Szenen eine Herausforderung ist. Eine, die die britischen Kolleginnen und Kollegen allerdings angenommen haben. Verlockend ist aus wirtschaftlicher Sicht natürlich die Möglichkeit, mit "Ich bin ein Star - holt mich hie raus" dann in die Primetime gehen zu können.
Bei ITV in Großbritannien hofft man übrigens sehr darauf, dass RTL der eigenen Entscheidung folgt. Denn auch wenn in Deutschland die Betrachtung dominiert, dass sich RTL den Dschungel ja nur dank der Zusammenarbeit mit ITV leisten könne, gilt das umgekehrt eben auch, erzählen britische Branchenjournalisten. Für Großbritannien spricht wirtschaftliche Vernunft, eine Reduzierung der Risiken durch die Corona-Pandemie und die Chance, wieder große Neugier zu wecken. Für Australien hingegen spricht die Gewohnheit. Klingt nach einer einfachen Entscheidung, aber eben nicht wenn es um die erfolgreichste Fernsehsendung im deutschen Privatfernsehen geht. Bei ITV Studios Germany und RTL gibt es nach DWDL.de-Informationen Befürworter für beide Optionen. Bleibt im Sinne der Sendung nur zu hoffen, dass egal wie die Entscheidung am Ende ausfällt, sich alle hinter ihr versammeln können.