In ihrer Heimat Kanada ist die Serie vergangene Woche nach sechs Staffeln geendet. In Deutschland ist sie aber erst seit dieser Woche mit den ersten fünf Staffeln endlich auch legal im englischen Originalton bei TVNow verfügbar. Anlass für die Würdigung einer der vielleicht besten Serien, von denen noch kaum jemand gehört hat und die in diesen Zeiten mit ihrem Humor so wertvoll sein kann. Aber sagen wir, wie es ist: Am Anfang nervt Familie Rose gewaltig.
„Schitt’s Creek” ist keine Serie, die es ihren Zuschauern von der ersten Minute an leicht macht. Dafür ist die Prämisse zu flach und dafür ist ihre Ausführung zu anstrengend. Wer aber dranbleibt, wird sich nach dem Weg-Schauen der ersten Staffel plötzlich dabei ertappen, im Duktus der Figuren „Ewwww!” oder „Oh my God!” zu murmeln. Der Charme der Roses und ihrer kanadischen Hillbilly-Freunde entfaltet sich langsam. Doch nach und nach erliegt man den scharfen Zungen und noch größeren Herzen der Figuren. Die kleine Welt ihres Zwangsheimat-Dörfchens Schitt’s Creek ist über die gerade zu Ende gegangenen sechs Staffeln hinweg schrullig genug, dass sie sich nach einem ersten Einleben für die Zuschauer perfekt zur Flucht eignet.
Dabei ist auch für die Serienfamilie Rose ihr Start dort überhaupt nicht freiwillig, denn eigentlich lieben sie den Swarowski-Luxus schillernder TV-Berühmtheiten. Vater Johnny hat mit einer Videoverleih-Kette einst Millionen verdient, Mutter Moira hatte eine leidlich laufende Karriere als Soap-Schauspielerin und die beiden Mittzwanziger-Kinder David und Alexis könnten mit ihrer Vorliebe für Parties, Tratsch und Konsum als Reality-Show-Figuren aus dem Kardashian-Kosmos entsprungen sein.
„Schitts Creek“ schwelgt nicht im Reichtum der Roses, sondern beginnt, als für die Protagonisten schon fast alles vorbei ist. Ein Vermögensverwalter hat Johnny übers Ohr gehauen, der Mann von der Steuerbehörde nimmt ihnen ihren Besitz und lässt lediglich einen kleinen Ausweg: 1991 habe doch der Vater als Scherz für den Sohn ein Dörfchen im Niemandsland gekauft - dort dürften sie ins abgehalfterte „Rosebud“-Motel ziehen. Und so erleben die Zuschauer in den ersten Minuten der Auftaktfolge, wie diese überkandidelten Neureichen sich mit dem ersten Bewohner ihres neuen Zuhauses herumschlagen: Bürgermeister Roland Schitt, ein Redneck, der in ihrem Motelzimmer erst einmal ein Viertelstündchen das Klo blockiert.
Ausgangslage? Geht so. Ausführung? Fantastisch.
Keine Frage, allein der Serienname wirkt schon wie ein lahmer Gag und auch die „Fish-Out-of-The-Water”-Prämisse ist nicht wahnsinnig originell, obwohl sie laut Aussagen von Show-Macher Eugene Levy darauf basiert, dass Kim Basinger einst wirklich für 20 Millionen Dollar eine kleine Siedlung kaufte, die sie später für nur eine Million Dollar wieder absetzte. Und zunächst geht es auch konventionell weiter, denn natürlich merken die Roses nach und nach, dass ihr Glamourleben möglicherweise von unnötigem Exzess und Oberflächlichkeiten geprägt war.
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Viel wichtiger ist aber, dass nach einigen Folgen klar wird, wie die Serie diese Prämisse angehen will: Grundgut, ohne nach unten zu treten oder auf die Figuren herabzublicken. Smart und behutsam legen die Macher immer neue Schichten ihrer Charaktere frei und sorgen dafür, dass sich die Serie in den richtigen Momenten immer für Herz und Finesse statt für Drama und Krawall entscheidet. Ein frühes Zeichen ist ein Gespräch von Sohn David mit der Hotel-Angestellten Stevie, in dem im Vorbeigehen der Punkt gemacht wird, dass er eben nicht homo- sondern pansexuell sei. „I like the wine, not the label”, heißt es schlicht zu dieser im TV immer noch recht revolutionären Veranlagung, bevor die Serie einfach weiterschnurrt – als dramatischer Plotpoint muss sie nie herhalten.
Mit der Zeit bietet Schitt’s Creek viele solcher Momente, beispielsweise wenn es um die unerschütterliche Liebe zwischen Moira und Johnny in ihrer wirklich gleichberechtigten Beziehung geht. Beide gönnen einander Glück und Erfolg von Herzen, selbst wenn das bedeutet, dass man seine Frau nach Osteuropa zu dubiosen Dreharbeiten einer „Direct to Streaming”-Horrorfilm-Fortsetzung über mutierte Krähen begleiten muss.
Allerspätestens in Staffel vier ist es um jeden Zuschauer geschehen, wenn eine Gitarrenversion von „Simply the Best” zu einer der schönsten gesungenen Liebeserklärungen der Fernsehgeschichte wird. Wer während des Songs zwei Minuten lang die Gesichter dieser Fernsehfamilie verfolgt, wird sie ohnehin nie wieder aus dem Herzen werfen.
In Kanada ein Pitch zur rechten Zeit und in den USA ein Netflix-Hit dank Trump
Dieser lange Anlauf ist möglicherweise nicht nur der Grund dafür, dass sich „Schitts Creek“ perfekt als Binge-Programm und Flucht vor einem allzu trüben Alltag eignet, sondern sie führte dazu, dass es Jahre dauerte, bis es die kanadische Comedy schaffte, überhaupt wahrgenommen zu werden.
Nach erfolglosen Gesprächen mit einigen größeren US-Networks und Serien-Schlachtschiffen wie HBO und Showtime entschieden sich die Serienerfinder Eugene und Dan Levy (sowohl im richtigen Leben als auch in der Serie Vater und Sohn) doch dafür, ihr Glück in der kanadischen Heimat zu suchen. Ihnen kam zugute, dass sich der öffentlich-rechtliche Sender CBC sich im Comedy-Bereich neu aufstellen wollte, halbstündig, charaktergetrieben und etwas mehr in die Nische sollte es gehen. Das Renommee von Levy und von Serienmutter Catherine O’Hara hat die Senderverantwortlichen schließlich so sehr überzeugt, dass sie noch vor der ersten Folge eine zweite Staffel in Auftrag gaben. Mit Erfolg: Die Serie blieb über Jahre die erfolgreichste heimische Comedy im kanadischen Fernsehen.
(Foto: imago images / ZUMA Press)
In den USA hat es mit dem Erfolg ein wenig länger gedauert. Zunächst beim Mini-Kanal pop versendet, haben deren Verantwortliche immerhin früh auf eine breite Online-Strategie gesetzt. Über die Jahre haben Mundpropaganda und kluge TV-Auftritte für erste kleine Erfolge gesorgt, doch mit dem Netflix-Start 2017 kam schließlich der Durchbruch - die Roses wurden in den trumpgeplagten Vereinigten Staaten zum eskapistischen Popkultur-Phänomen, begleitet von Hunderten Memes und zielgruppenaffinen Social-Media-Auftritten bei Schwergewichten wie Buzzfeed und der Yahoo-Reihe Build. Staffel für Staffel steigerten sich die Einschaltquoten beim Haussender pop - eine absolute Seltenheit, die bis zum Ende anhielt, denn die Dienstag gezeigte letzte Folge hatte schließlich die besten Werte der Reihe überhaupt, und das, obwohl schon die sechste Staffel laut pop im Schnitt eine Verdopplung der Zuschauerzahlen mit sich gebracht hatte.
Erfolgsrezept: Ein Familienensemble, ergänzt um perfekt aufeinander eingespielte Stars
Der wichtigste Grund, dass man dranbleibt, ist die strahlende Chemie zwischen dem Kern-Personal der Serie: eine Familienangelegenheit, ergänzt um eine jahrzehntelang bewährte Partnerin und eine strahlende Newcomerin. Da ist Dan Levy, der in der Serie den flamboyanten Sohn David spielt und der von Staffel zwei an als Showrunner auch hinter der Kamera das Ruder übernommen hat. Seinen Vater kennen in Deutschland viele als leicht trottelige Nebenrolle mit buschigen Augenbrauen in Teenager-Komödien wie „American Pie“. Schwester/Tochter Sarah Levy spielt Café-Besitzerin Twyla, die kurz vor Toreschluss in Staffel 6 noch eine hübsche Wendung ins Drehbuch geschrieben bekommt. Bleibt noch Annie Murphy, eine Newcomerin in ihrer ersten großen Rolle, die den drei Levys in ihrer ersten großen Rolle als Tochter/Schwester Alexis Rose sofort ebenbürtig ist.
Dieser Familien-Aufstellung wird noch der vielleicht größte Name der Show zur Seite gestellt: Catherine O’Hara ist in Kanada seit Jahrzehnten ein gefeierter Komödienstar und international vielleicht am bekanntesten für ihre Rolle als überforderte Mutter („Kevin!“) in den „Kevin allein zu Haus“-Filmen. Ihre Moira bekommt von den Schreibern einen eigenen überkandidelten Slang, aus dem O’Hara schlichtes Comedy-Gold spinnt. Bei ihrer Moira sitzt die Betonung jeder Silbe so gut wie die unzähligen Perücken mit eigenen Namen, die sie aus der Konkursmasse der Familie retten konnte und es ist keine Seltenheit, wenn man als Zuschauer ihre Zeilen manchmal nachspricht, nur um diesen Singsang nachzuspüren. Die Besetzung ist überhaupt nicht zufällig, denn O’Hara und Levy senior sind in Kanada seit Jahrzehnten ein eingespieltes und geliebtes Leinwand-Ehepaar. Befreundet seit 1974 standen sie in sieben Filmen gemeinsam vor der Kamera, 2006 gaben sie sogar in „Ab durch die Hecke“ einem Stachelschwein-Ehepaar ihre Stimmen.
Der Hype ist real: Ausverkaufte Tour und Emmy-Nominierungen
Auch abseits der Zuschauerzahlen zeigt sich die treue Anhängerschaft dieses gelungenen Ensembles: Tausende Fans besorgten sich trotz Einstiegspreisen von 60 Dollar aufwärts Tickets für Screenings und Q&As der letzten Folgen, beinahe 50.000 „Schittheads“ bewerten in ihrer gemeinsamen Facebook-Gruppe die Perücken Moiras - und die Branche hatte bereits die fünfte Staffel mit immerhin vier Emmy-Nominierungen belohnt.
(Foto: imago images / ZUMA Press)
Am Dienstagabend haben sie alle mitten in den Corona-geplagten Quarantänezeiten in der 80. Folge der Serie ein letztes Mal ihre Wahlheimat Schitts Creek besucht. Nach einem rührenden Finale blickt Serienvater Johnny am Ende ein letztes Mal wehmütig auf jenes Ortsschild, das Jahre zuvor wie eine Strafe für ihn wirkte. Sah es anfangs so aus, als ob die weltgewandten Roses dort eingesperrt würden, so haben sie über die Jahre mehr und mehr gespürt, dass ihr oberflächliches Leben womöglich am wirklich Wichtigen vorbeiging. Wer hätte gedacht, dass sie in diesen Tagen so gut sitzen würde, die letzte Pointe dieses durch und durch liebenswürdigen Juwels?
"Schitt's Creek" gibt es in Deutschland bislang exklusiv im Premium-Paket von TVNow. Die in diesem Fall äußerst empfehlenswerte Original-Version ist Teil des seit dieser Woche neuen Premium+-Pakets für 7,99 Euro im Monat, monatlich kündbar.