Päpste sind Pop. Wer nach der Wahl von Franziskus Abertausende Smartphones in den Händen verzückter Schäfchen auf dem Petersplatz leuchten sah, bekam bereits 2013 eine Ahnung davon, welchen Hype selbst ein Anachronismus wie der römische Bischof im digitalen Zeitalter erzeugen kann – zumal der nahbare Springinsfeld von 83 Jahren die Massen seither nicht nur mehr bewegt als Benedikt XVI., sondern bisweilen auf Hollywoodniveau. Ein Spielleiter, ein Entertainer, ein Erlöser? Gewiss! Aber sorry: ein Sexgott?
Für diese Art mystischer Verstiegenheit muss man den Vatikan kurz in die Serienkulisse von Sky verlassen. Gleich zu Beginn von "The New Pope" wird "The Young Pope" aus der 1. Staffel nach einer missglückten Herztransplantation so begehrenswert aufs Krankenbett gelegt, dass sich die Nonne beim Waschen des nackten Komapatienten kurz mal selbst befriedigen muss. Wie der Sixpackträger Jude Law da als sexy Pontifex zwischen Robbie Williams und Che Guevara drapiert wird, treibt die Ikonisierung des Pontifikats also auf ein ganz neues Niveau. Und das will schon was heißen.
Denn wann immer Päpste bislang auf dem Film- und Fernsehstuhl Petri Platz nahmen, waren es verblüffend weltliche Gotteskrieger mit großer Macht und noch viel größerer Libido. Erst vor neun Jahren haben John Doman im ZDF und kurz darauf Jeremy Irons auf Showtime de Alphamännlichkeit des spätmittelalterlichen Borgia-Papstes Alexander VI. zu fast brunftiger Virilität getrieben. Auch sonst gilt bei Kirchenfürsten am Bildschirm: je mächtiger, desto ruchloser und umgekehrt. Dramaturgisch dienten sie allerdings wie so oft im Historiendrama eher als Platzhalter unserer Spezies, die Moral bei erster Gelegenheit dem Ego opfern und dafür wenigstens intern dauernd die Sau rauslassen.
Die fiktionalen Stellvertreter Christi von heute dagegen sind zwar ähnlich fehlbar wie ihre Vorgänger von anno dazumal, weshalb sie ähnlich saufen, fluchen, streiten, huren. Doch wenn die maskuline Pracht des "Young Pope" wie hier jedes Keuschheitsgelübde gefährdet, müssen prüde Katholiken schon froh sein, dass die Ordensfrau zum Masturbieren nicht auch noch das rotleuchtende Designerkruzifix im Hintergrund zweckentfremdet. Wie in den ersten zehn Teilen, geht es Paolo Sorrentino bei aller Liebe zum Detail nämlich nicht um Wahrhaftigkeit, geschweige denn Pietät. Sein künstlerisches Ziel ist es, die Macht der Bilder popkulturell so aufzublasen, bis die Macht der Macht dahinter bröselt wie mürbe Messoblaten.
Und dafür gibt es keinen besseren Darsteller als John Malkovich. Zwei Episoden nur, nachdem der frisch gewählte Nachfolger des siechen Amtsinhabers dank seines allzu forschen Reformeifers eines rätselhaften Todes stirbt, macht der italienische Regisseur den amerikanischen Schauspieler zum britischen Johannes Paul III., dessen polnischer Namensvetter einst die Moderne mit der Tradition zu einen versuchte. Wie sich sein Nachfolger mit dandyhaftem Snobismus nun ebenso intriganter Platzhirsche im Vatikan wie glühender Fans von Pius XIII. alias Jude Law alias Sexgott in Badehose erwehren muss, ist allerdings viel mehr als eine Ziffer entfernt vom Pontifikat das Polen 15 Jahre zuvor.
Von der Musik über die Marotten bis zur Maske bleibt alles am "New Pope" Pop. Die schrille Ausstattung könnte vom Edeltrash-Künstler Damien Hirst stammen, die Kostüme aus Jean-Paul Gaultiers Schneiderei. Und wenn Äbtissinnen beim Geldzählen Havannas qualmen, Kardinäle nach Feierabend Egoshooter ballern und Gläubige eher Ultras im Hoodie als devote Schäfchen sind, blinzelt der Wahnsinn Wes Andersons durch die quietschbunte Inszenierung. Obwohl Personal und Schauplatz nahezu identisch sind, erinnert "The New Pope" demnach weniger ans halbdokumentarische Meisterwerk "Die zwei Päpste", in dem Netflix unlängst Franziskus und Benedikt mit Jonathan Pryce und Anthony Hopkins porträtieren ließ, als an "The Rightous Gemstones", die Mitte Januar ebenfalls auf Sky das verlogene Milliardengeschäft evangelikaler Prediger persifliert haben.
Hier wie da geht es nämlich nur um eins: Marketing zum Machterhalt – auch wenn die Kurie dafür ständig eigene Regeln bricht, während Family Gemstone weder das eine noch das andere, sondern nur Profite kennt. Über Leichen, das ist die gemeinsame Basis, gehen sie dennoch alle. Oder zumindest über die selbstverordnete Barmherzigkeit, symbolisiert etwa durch eine Ordensschwester, der die Kurie ganze 200 Euro für die Fahrt zur sterbenden Mutter verweigert. Neben der Vatikan-Sprecherin Sofia (Céline de France) ist deren deutsche Darstellerin Nora von Waldstätten übrigens eine von nur drei Frauen in tragender Rolle, was einerseits rückständig klingt, andererseits aber einer Institution entspringt, die sich gerade wieder gegen den weiblichen Einfluss auf ihre Männerbastion entschieden hat.
Eine Männerbastion, die Paolo Sorrentino im realen Umfeld von Missbrauchs- und Finanzskandalen mit großer Freude durch den Kakao zieht, ohne dabei den Finger der Entrüstung zu heben. Auch deshalb bittet der neue Papst Skandalnudeln wie Sharon Stone oder Marilyn Manson zur Audienz, „weil ich ihre Freiheit schätze“. Das ist zwar wie so vieles hanebüchener Unsinn, aber eben auch unfassbar unterhaltsam – zumindest, wenn man beim Zusehen die gleichen Rauschmittel intus hat wie Sorrentino beim Drehen…
Sky zeigt "The New Pope" ab sofort immer donnerstags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen auf Sky Atlantic HD. Auf Sky Ticket, Sky Go und Sky Q ist ab 20. Februar bereits die komplette Staffel abrufbar.