Das mit dem Timing ist immer so eine Sache. Als Donald Trump vor drei Jahren zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, konnte die fünfte Staffel von "House of Cards" dank der aktuellen Politik zusätzliche Aufmerksamkeit erlangen. Ein zweischneidiges Schwert, musste sich das Team der mittlerweile eingestellten Netflix-Serie indirekt bei einer Person bedanken, die unter anderem damit Schlagzeilen machte, die Genitalien des anderen Geschlechts unerlaubt angefasst zu haben. Nun, bei "Arctic Circle" verhält es sich genauso drastisch, wenn auch auf einer gänzlich anderen Ebene. Passend zu den Wochen, in denen das Coronavirus in China und nun auch das Yaravirus in Brasilien für Schlagzeilen sorgen, deckt die finnisch-deutsche Produktion das fiktive Jemen-Virus auf - mit der großen Gefahr, die Welt ins Chaos zu stürzen.
"Viren mutieren ständig", lehrt Dr. Lorenz (Maximilian Brückner, "Hindafing") seiner Schulklasse, nachdem er mit großer Leidenschaft erklärt hat, dass die größte Gefahr im 1. Weltkrieg nicht von Gewehren ausgegangen ist, sondern vom Influenza-A-Virus. "Es tötete 100 Millionen Menschen." Mit Corona im Hinterkopf, dürfte das Publikum bei einem Satz wie diesem noch etwas genauer hinhören als sich das die Macher der neuen Serie einst dachten, als sie "Arctic Circle" in den kältesten Winkeln Finnlands produzierten. "Der unsichtbare Tod", wie der Beititel der fünfteiligen Serie lautet, ist das "Nach einer wahren Geschichte"-Stilmittel, das die an diesem Wochenende im ZDF startende Krimijagd zu einer recht ungewöhnlichen mutieren lässt.
In bester nordischer Manier fährt Polizistin Nina Kautsalo (Iina Kuustonen, "Nurses") mit einem Kollegen zu einer einsamen Hütte nahe des Polarkreises und entdeckt eine tote Frau, die schnell als ehemalige Prostituierte identifiziert wird. Nicht nur ihr Tod wirft Fragen auf, sondern auch das, was sich in ihrem Körper befindet: Ein noch nie gesehenes Virus, das innerhalb von sechs Monaten die gesamte Welt infizieren und dahinraffen könnte. Keine schöne Aussicht. Und während in China über Nacht ein gesamtes Krankenhaus zusammengeklöppelt wird, kommt in "Arctic Circle" zunächst Virologe Dr. Lorenz zum Einsatz, der den Fall unter Ausschluss der Öffentlichkeit bekämpfbar machen soll, während seine neue Kollegin Kautsalo den Verbrecher hinter dem Erreger jagt.
Die von Hannu Salonen ("Tatort") inszenierte Verfolgung nach Täter und Impfmittel lädt jedoch nicht nur dank der aktuellen Nachrichtenlage zum Serienabend ein. Auch das gesamte Setting von "Arctic Circle" mutet mit seinem Schnee-Overload so faszinierend und wohlig an, dass es plötzlich vollkommen egal ist, dass es dieses Jahr in 99 Prozent des Landes nicht geschneit hat und das Winter-Feeling abseits von kaltem Frontwind nie zum Vorschein kam. "Arctic Circle" ist ein wahr gewordener Krimi-Traum für jeden Fan des Genres, der sich nach einem langen Tag einfach nur in seine warme Couchdecke einkuscheln und Kakao trinken möchte.
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Salonen, der durch seine weitreichende Thriller-Vita sowieso schon weiß, wie der Schneehase läuft, hat glücklicherweise den Drehbuchautoren Joona Tena an die Seite gestellt bekommen. Der Mann hat zwar auch schon Werke wie "FC Venus" begleitet, beweist im vorliegenden Fall allerdings, dass er auch mit mehreren roten Fäden gleichzeitig jonglieren kann. Gerade durch die zwei Storylines, die durch die toten Prostituierte und das freigesetzte Virus ausgelöst werden, unterscheidet sich "Arctic Circle" bereits von konventionellen Krimis. Auch die lokale und gleichermaßen weltweite Bedrohung bekommt das Duo schön transportiert. Etwas mehr Tempo könnte die Erzählung zwar vertragen, so aber muss sich der Zuschauer immerhin keine Sorgen machen, dass der Kakao aus den Händen fällt, weil jede Wendung doch recht gemächlich eingeführt wird.
An manchen Stellen tatsächlich zu gemächlich. Was vielerorts als Stilmittel akzeptiert werden kann, wirkt mitunter so, als wolle man das Publikum absichtlich langweilen. Wenn etwa Polizistin Kautsalo am Anfang der Geschichte noch gezügelt wird, nicht auf eigene Faust weiter zu ermitteln. "Dafür ist die höchste finnische Polizei zuständig", ermahnt sie ihr Vorgesetzter und fügt schnell hinzu: "Die KRP!" Es hat nur noch gefehlt, dass ein Wikipedia-Artikel dieser Spezialeinheit rezitiert wird, um genau zu erklären, um wen es sich da handelt. Der von Yellow Film & TV und Bavaria Fiction umgesetzte Krimi in Eiseskälte hätte da gerne etwas mehr Anspruch an sich und seine Zuschauer haben können. Ebenso an die Synchro, die der sonst absolut sehenswerten Produktion einfach nicht gerecht wird und zu oft Szenen ins unfreiwillig Komische driften lässt.
Lässt man diese Schwachstellen beiseite, stellt sich "Arctic Circle" trotzdem als schöne TV-Überraschung heraus, die noch in den letzten Zügen des Winters genossen werden sollten. Ob nun das dynamische deutsch-finnische Ermittler-Duo aus Kuustonen und Brückner, oder die packenden Thrillerelemente: "Arctic Circle" sorgt dafür, dass man das Ende miterleben möchte. Auch die düsteren Passagen, ob mit den mysteriösen von Clemens Schick und Aleksander Jovanovic verkörperten Figuren oder die angedeuteten Folterszenen eines vermeintlichen Wilderers sorgen dafür, dass dieser Krimi als einer der besseren abgespeichert wird. Und wer die nordischen Krimis kennt, weiß, dass die Auflösung des Ganzen eigentlich nie enttäuscht.
"Arctic Circle - Der unsichtbare Tod" wird ab sofort sonntags um 22:15 Uhr mit Doppelfolgen im ZDF ausgestrahlt.