Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Während die meisten Kinder davon träumen, mal ins All zu fliegen, hat sich Payton Hobart (Ben Platt, "Pitch Perfect") bereits in der frühen Schulzeit vorgenommen, zum mächtigsten Anführer der Welt aufzusteigen. Sein Leben ist dementsprechend penibel darauf ausgerichtet, dass sein Traum exakt so aufgeht: Jede Präsidenten-Biografie kennt er auswendig und somit auch die Eigenschaften, die die meisten der 45 bislang gewählten Oberhäupter teilen. So weiß er, dass unter anderem Reagan und Bush Senior Schülersprecher waren, was er sich zum Anlass nimmt, den gleichen Zwischenstopp erreichen zu wollen. Und dass er auf die Harvard University möchte, ist ebenfalls klar, da dort mehr Präsidenten ausgebildet wurden, als anderswo. Ein Rennen zum wichtigsten Amt Amerikas samt zahlreicher satirischer Seitenhiebe beginnt, bei dem die neue Netflix-Serie nie vergisst, eine Unterhaltungssendung für das Kernpublikum von "Élite" und "Tote Mädchen lügen nicht" zu sein.
Gleichermaßen beginnt die Comedy somit mit einer Warntafel, die in ähnlicher Form einst durch "Tote Mädchen lügen nicht" berühmt wurde: "Die Komödie 'The Politician' behandelt Tatkraft, Ehrgeiz und das Durchsetzen um jeden Preis. Zuschauer mit psychischen Problemen könnten einiges verstörend finden. Bitte nach eigenem Ermessen anschauen." Und obwohl sich Netflix die Kritik zu Herzen genommen hat, die nach der expliziten Suizid-Szene von Hannah Baker deutlich wurde, hat das Produktionsteam von "The Politician" keinen Maulkorb verpasst bekommen oder sich gar selbst aufgesetzt. Bereits in der ersten Folge ist heftiges Mobbing zu sehen, ebenso wie kaputte Kinderseelen, die nie wirklich Kind sein konnten und Selbstmordansprachen, die leichter von den Lippen gehen, als eine sachliche Rede zur Schülersprecherwahl. Doch aufgepasst: "The Politician" wirkt bei diesen heftigen Themen nicht ansatzweise wie "Tote Mädchen lügen nicht".
Während sich die letztgenannte Serie ausdrücklich und beinahe ausschließlich damit beschäftigt, was Mobbing und sexuelle Belästigung alles anrichten kann, sind es für "The Politician" wichtige Elemente, die die große Rahmenstory tragen. Sicherlich hätte Paytons Weg ins weiße Hause als hundertprozentige Comedy inszeniert werden können – durch das feinfühlige Autorenteam um Ryan Murphy ("American Crime Story") gelingt es aber zusätzlich, selbst einen sozialgestörten Zuschauer nebenbei darauf hinzuweisen, wie sehr einem Menschen mit asozialen Verhalten weh getan werden kann. Noch viel wichtiger: Der großen Mehrheit wird präsentiert, dass auch der reichste Nachwuchs dieser Erde mit Tränen im Kissen versinkt, wenn die Stiefbrüder einen doof anmachen.
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"The Politician" fesselt vor allem mit Emotionen. Während einer Trauerrede gibt Payton "River" von Joni Michell in voller Länge zum Besten und erreicht damit interessanterweise genau das, was Donald Trump zum aktuellen Präsidenten der Vereinigten Staaten gemacht hat. Denn während Payton vor diesem Song recht düster in die Röhre geschaut hat, was seine Schülersprecherwahl angeht, sehen ihn seine Mitschüler nach dieser Aktion mit wässrigen Augen in einem anderen Licht. Und das, obwohl sich an seiner eigentlichen Argumentationskette und den Zielen, die er für die Schule erreichen möchte, absolut nichts geändert hat. Auch Trump hat die Logik der Argumente im Gegensatz zu Hillary Clinton nie eingesetzt, da mindestens sein Beraterteam wusste, dass Emotionen weitaus besser ankommen.
Ja, Trump-Bashing ist mittlerweile kein Akt des Mutes mehr. Doch neben all den triftigen politischen Statements innerhalb der Serie, die nicht nur auf Trump beschränkt sind, gibt es im Intro ein kleines Easter Egg, das eine klare Haltung beweist: Während die Kamera Paytons durchgelesene Biografien überfliegt, können die Buchtitel der letzten fünf Präsidenten in chronologischer Reihenfolge betrachtet werden: Ronald Reagan, Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama und "Idiots Guide to Clowning". Fernab der gesellschaftlichen und politischen Kritik: "The Politician" ist witzig und smart. Tatsächlich ist "The Politician" endlich mal wieder eine frische Netflix-Produktion.
In "The Politician" ist nichts so wie es scheint
Dank Murphys außerordentlichem Talent, das ihm bereits sechs Emmys eingebracht hat, wurde in der ersten Staffel zigfach angedeutet, dass das gleiche Level in Zukunft erreicht werden kann, wie es ein "Veep" jahrelang geschafft hat. Es ist einfach zu herrlich, wenn Payton mit seinen Freunden agiert, die gleichzeitig seine Berater sind. Dass sie sich in naher Zukunft ebenfalls im weißen Haus wähnen, ist selbstverständlich. Selbst nach einer mittelschweren Katastrophe stehen sie noch zu ihm: "Wir sitzen im gleichen Flugzeug zum selben Ziel: Du bist der Pilot, wir die Lotsen." Eine Einigkeit, die sich auch in allen anderen mittelschweren Katastrophen widerspiegelt – nachdem Payton eine Lüge zu seinem Vorteil nutzt, wird er von seinem Stab inszeniert: "Die Zahlen sehen super aus! Geh in die Cafeteria und lass dich umarmen."
"The Politician" ist dank solchen Szenen bereits so stark, dass Gwyneth Paltrow und Jessica Lange in ihren hervorragenden Nebenrollen nicht einmal erwähnt werden müssten, um ausreichend für die Dramedy zu werben. Durch sie und allen anderen Nuancen wird schlicht eindrucksvoll gezeigt, was angemessen budgetiertes und durchdachtes Fernsehen auf dem Kasten haben kann. "Ich möchte dich kennenlernen", sagt der Harvard-Professor in Paytons glasige Augen, als dieser sich für die Elite-Uni bewirbt. "Dein wahres Ich". Genau jenes lernt der Zuschauer kennen, so wie jenes aller anderen wichtigen Charakteren. Dass "The Politician" zusätzlich noch genügend Luft hat, wichtige Statements einzubringen und den Entertainment-Faktor oben zu halten, ist etwas, was nur ein richtig guter Präsident kann.
Die achtteilige erste Staffel von "The Politician" kann ab sofort bei Netflix gestreamt werden. Eine zweite Staffel wurde bereits bestellt.