Wer am Dienstag das neue Joyn - also den Nachfolger von 7TV - aufruft, der findet ein optisch durchaus gelungenes und aufgeräumt wirkendes Streaming-Angebot vor, das in Sachen Design das Rad zwar nicht neu erfindet, aber trotzdem zu gefallen weiß. Als Einstieg wird großflächig jene Serie groß angepriesen, die nun zuerst bei Joyn zu sehen ist: "Jerks".  "S3 F2 ansehen" prangt einem da entgegen.

Joyn

Wer entschlüsselt hat, dass die Abkürzung "Staffel 3, Folge 2" bedeutet, steht unweigerlich vor der nächsten Frage: Warum sollte irgendjemand mit Folge 2 anfangen? Der Grund für die unglückliche Angabe ist schnell ausgemacht: Joyn hat bislang 2 Folgen online gestellt - und die Programmierung sieht aktuell offenbar vor, dass immer die neueste Folge angepriesen und nach Klick auch direkt gestartet wird, ohne zunächst eine Übersichtsseite mit allen Episoden zu zeigen. Das mag für ein Catch-Up-Angebot auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, ist in einer On-Demand-Welt aber häufig nicht zielführend. Von Netflix & Co. ist der Nutzer gewohnt, entweder die erste Folge serviert zu bekommen - oder jene, an der man zuletzt aus der Serie ausgestiegen ist. Das allerdings kann Joyn gar nicht wissen, weil es noch gar keine Möglichkeit des Logins gibt und demnach auch noch keine Möglichkeit der geräteübergreifenden Individualisierung.

Doch das ist zugleich auch der größte Vorteil, den Joyn momentan bietet: Die Einfachheit. Nie zuvor war es möglich, ein so umfassendes TV-Livestream-Angebot so unkompliziert zu nutzen. Ein Klick auf Live-TV und schon geht's los. Keine Registrierung oder ähnliches nervt den Nutzer, stattdessen startet sofort das Programm des Ersten - für die ARD also schonmal kein schlechter Deal, an erster Stelle der Programmliste zu stehen. Tatsächlich bietet sich dann auf Klick eine umfangreiche Senderauswahl - auch wenn die von Joyn so bejubelten 55 Sender etwas in die Irre führen. Zählt man nicht jeden Lokal-Feed der Dritten einzeln, dann bleiben noch 37 Sender übrig.  Neben den Joyn-Betreibern ProSiebenSat.1 und Discovery sind auch Welt, Comedy Central, Sport1, Eurosport, MTV, Deluxe Music, Nick und Ric verfügbar, zudem die meisten öffentlich-rechtlichen Sender mit Ausnahme von Arte und 3sat. Trotzdem fehlt zu einem umfassenden Angebot, das es mit Anbietern wie Zattoo oder waipu.tv aufnehmen könnte, eine ganze Menge - vor allem natürlich die Sender der Mediengruppe RTL, aber auch weitere kleinere Sender wie Tele 5.

Weiteres Problem des Livestreaming-Angebots: Weil die Privaten immer noch der Meinung sind, dass ihr HD-Signal nicht kostenfrei zugänglich sein soll, obwohl es sich ja eigentlich um werbefinanziertes Free-TV handelt, sind alle Privaten eben nur in mäßiger Auflösung zu sehen. In zeitgemäßem HD gibt's also auch bei Joyn nur die Öffentlich-Rechtlichen. Da die Bezahl-Abteilung von Joyn erst Ende des Jahres nachgerüstet werden soll, gibt's bei Joyn somit aktuell gar keine Möglichkeit, auch die Privaten in HD zu sehen. Ansonsten weiß die Bedienung des schnörkellosen Players durchaus zu gefallen. Umschalten zwischen den Programmen funktioniert selbst im Browser ganz einfach mit den Pfeiltasten der Tatstatur. Zappen wird bei Joyn trotzdem kaum jemand: Bei jedem Umschalten auf ein privates Programm läuft nämlich stets ein vorgeschalteter Werbespot - und der wiederholt sich auch noch nach kurzer Zeit.

Im On-Demand-Teil des Angebots ist es mit der großen Sendervielfalt dann vorbei. Auf Abruf finden sich wie zuvor schon bei 7TV in erster Linie die Inhalte von ProSiebenSat.1 und Discovery. Joyn preist auf der Startseite vor allem jene Inhalte an, die schon vor TV-Ausstrahlung zu sehen sind, drunter folgt eine Auswahl "Best of Joyn", wo sich u.a. auch die derzeit exklusiv bei Joyn laufenden Inhalte finden. Neben "Jerks" hat Joyn beispielsweise auch schon die komplette erste Staffel der kommenden Sat.1-Comedy "Die Läusemutter" online gestellt. Es folgen wie von anderen Anbietern bekannt Sortierung nach Genres oder anderen Gemeinsamkeiten - "Wissenswertes", "Crime Time", "Harte Jobs" oder "Kochen & Co" werden da etwa zusammengefasst präsentiert. Auch der Aufruf der Mediatheken nach Sender getrennt ist möglich, wird aber nicht mehr so prominent platziert beworben wie in der Vergangenheit.

Einen ersten Schritt haben ProSiebenSat.1 und Discovery damit gemacht. Doch es warten noch große Herausforderungen, insbesondere wenn man die Inhalte weiterer Anbieter integrieren will. Denn die Frage, wessen Inhalte an welcher Stelle angeteasert werden, bleibt heikel. Die Integration der Bezahlangebote wird ebenfalls eine komplizierte Aufgabe, wenn man das derzeit größte Pfund - die Unkompliziertheit - nicht verlieren will. Und den ganzen Teil der Personalisierung ist Joyn in der aktuellen Form noch gar nicht angegangen. Es bleibt eben nur ein erster Schritt. Aber auch den gilt es heute Abend beim großen Launch-Event in Berlin erst einmal zu feiern. Ab morgen warten dann genügend weitere Aufgaben.