Österreich ist im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen zuletzt von Platz 11 auf Rang 16 abgerutscht. Jetzt müssen wir nicht so tun, als würden Journalisten in Österreich Arbeitsbedingungen wie in Turkmenistan haben, die Kollegen können ohne große Einschränkungen ihrer Arbeit nachgehen. Doch die tägliche Arbeit wird härter. Nicht nur, weil wütende Bürger ihren Ärger über vermeintliche Parteilichkeit von Sendern und Zeitungen offen zeigen, sondern vor allem auch, weil die regierenden Rechtspopulisten von der FPÖ keine Gelegenheit auslassen, um gegen kritische Journalisten zu schießen. Ganz besonders der ORF ist zur Zielscheibe von Vizekanzler Heinz-Christian Strache und seinen Anhängern geworden.
Seit Jahresbeginn gab es unzählige solcher Angriffe, zuletzt hat die Intensität noch einmal zugenommen. Da drohte ein FPÖ-Politiker dem "ZiB 2"-Anchorman Armin Wolf vor laufender Kamera, dass dessen Arbeit "Folgen" haben werde. Grund war, dass Wolf das tat, was in Österreich viel zu wenige Journalisten tun: Er machte auf die ständigen, rassistischen Ausfälle der FPÖ aufmerksam. Wolf fragte Vilimsky in der Sendung nach einem rassistischen Cartoon der steirischen FPÖ-Jugend und verglich es mit der früheren Darstellung von Juden im "Stürmer". Offenbar zu viel für den Politiker der Partei, die die ORF-Gebühren ohnehin gerne komplett abschaffen und den ORF aus dem Staatshaushalt finanzieren würde. Die Folgen wären klar: Die Politiker würden versuchen, noch mehr beim Sender mitzureden.
Wie sehr die FPÖ den ORF schon sturmreif geschossen hat, zeigte sich am vergangenen Montag, als der Sender ein Interview mit Jan Böhmermann anlässlich dessen Kunst-Ausstellung in Graz ausstrahlte und sich die Moderatorin anschließend von den Aussagen des Satirikers distanzierte (DWDL.de berichtete). Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Ein Satiriker macht auf Missstände im Land aufmerksam und ist dabei wie üblich provokativ - und anstatt das als einen Meinungsbeitrag in einer wichtigen Diskussion zu klassifizieren, fühlt man sich offenbar genötigt, sich aktiv davon zu distanzieren. Böhmermann war in dem Interview streckenweise übrigens sehr ernst und erklärte, dass es ein Problem sei, wenn die vielen rassistischen "Einzelfälle" in der FPÖ inzwischen "normal" seien. So normal vermutlich wie ein ORF-Stiftungsratsvorsitzender, also quasi der oberste Aufseher des Senders, der Armin Wolf eine Auszeit nahelegt. Was hierzulande undenkbar scheint, löst in Österreich bloß ein Schulterzucken aus. Norbert Steger, so heißt der Stiftungsratsvorsitzende, war schließlich mal FPÖ-Chef. Achso, na dann ist das ja keine Überraschung. Ein Unding aber bleibt es.
Auch die "Kronen Zeitung" stellt sich dumm
Dass Jan Böhmermann es natürlich nicht ernst meint, wenn er von "acht Millionen Debilen" spricht, liegt auf der Hand. Der Online-Chefredakteur der "Kronen Zeitung" tut trotzdem so, als stamme die Aussage von einem Politiker - und eben nicht von einem Satiriker. Ein Deutscher beleidigt vermeintlich alle Bürger Österreichs - das sorgt für Klicks. Auch die FPÖ hat die Aussagen Böhmermanns genutzt und erklärt, der ORF entwickele sich immer mehr zu einer "reinen Propagandamaschine von Rot-Grün". Das kommt vor allem bei den eigenen Wählern gut an.
Beim ORF scheinen die Nerven ob der vielen Angriffe inzwischen blank zu liegen, anders ist eine solche Distanzierung unter vorauseilendem Gehorsam kaum zu erklären. Da hilft es auch nicht, dass TV-Kulturchef Martin Traxl erklärt, es habe keinerlei Druck von außen oder innen gegeben und man halte nur medienrechtliche Vorgaben ein. Offenbar ist der Druck schon so groß, dass man sich selbst solche Ketten auferlegt. Man sei dazu verpflichtet, sich von "unsachlichen Äußerungen" zu distanzieren, so Traxl. Damit tut er so, als habe es in den vergangenen Jahren im ORF nie unsachliche Äußerungen gegeben. Denkt man diese Logik weiter, müsste sich der ORF nach jedem Interview von den Aussagen des Gegenübers distanzieren, weil irgendjemand diese als "unsachlich" auffassen könnte. Und ganz nebenbei stempelt er die ORF-Zuschauer selbst als debil ab, weil diese seiner Meinung nach offenbar nicht mehr selbst unterscheiden können zwischen ORF-Meinung und dem Statement eines Satirikers.
Der ORF und der vorauseilende Gehorsam
Vielleicht hat sich die "kulturMontag"-Redaktion des ORF auch nur darüber geärgert, beim Interview mit Böhmermann nicht gut ausgesehen zu haben. Denn als Böhmermann auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die geplante ORF-Reform zu sprechen kommt ("Wird der ORF nicht bald in FPÖ-TV umbenannt?"), lächelt der Interviewer nur und geht zur nächsten Frage über. Überhaupt lächelt und nickt der Redakteur sehr viel und lässt etliche Aussagen von Böhmermann unkommentiert. Es ist eben ein Interview in einem Kultur-Magazin und keins in der "ZiB 2". Und dennoch hätte man sich nicht davon "distanzieren" müssen, um dadurch zu offenbaren, dass die Angst inzwischen groß ist. Ob sich Böhmermann tatsächlich justiziabel geäußert hat, erscheint mehr als fraglich.
"Journalisten trauen sich nicht mehr, Position zu beziehen", erklärte "Monitor"-Chef Georg Restle zuletzt in einem "Tagesthemen"-Kommentar in Bezug auf Österreich. Dass man sich nun aber aktiv von Positionen deutscher Satiriker distanziert, offenbart eine neue Qualität in der Debatte um die Pressefreiheit im Land. Zuletzt bekamen bereits die Kabarettisten von "maschek" zu spüren, dass Satire beim ORF längst nicht mehr alles darf. In einem ihrer Beiträge, in denen sie stets bewegte Bilder mit eigenen Kommentaren versehen, bezeichneten sie FPÖ-Chef Strache als "Neonazi". Der ORF nahm den Beitrag aus der Mediathek. Später ging er wieder online und die entsprechende Passage war gepiepst. Die Aussage sei "nach wie vor dem Tatsachensubstrat entsprechend angebracht", erklärte Peter Hörmanseder von "maschek" bei Twitter. Doch auch hier wollte man beim ORF lieber nichts riskieren. Aber so ist das eben, wenn die Nerven blank liegen. Mit Schulterzucken kann und darf man dieser Entwicklung aber nicht begegnen.