Wir leben in einem Land und in einer Zeit, in der man sich schnell erregt. Über den Vordermann, der am Ende der Rolltreppe dusselig stehen bleibt, die Dame vor einem an der Kasse, die mit den Worten "Ich glaub ich hab es passend" im Portemonnaie kramt oder die Nachbarin, die beim Small-Talk viel zu weit ausholt und einfach nicht aufhören möchte, zu reden. Wir sind nunmal in Deutschland aufgewachsen, einem Land der Effektivität. Nichts darf zu lange dauern. Von Generation zu Generation werden Werte wie diese vermittelt, die die neu Heranwachsenden automatisch übernehmen, weil sie sich die ersten Lebensjahre schlicht nicht dagegen wehren können. Verloren hast du vor allem dann, wenn du von Helikopter-Eltern aufgezogen wirst. Gewonnen, wenn Lutz Heineking jr. mit seiner Produktionsfirma eitelsonnenschein im Rücken eine Serie über diese ganz besondere Spezies Mensch macht.
Um den Begriff kurz zu (er)klären: Helikopter-Eltern sind die Art Eltern, die den Sachverhalt "Eltern haften für ihre Kinder" mit "Eltern haften an ihren Kindern" missinterpretieren. Nicht nur, dass sie jeden Schritt und Tritt ihres Nachwuchses überwachen, sorgen sie auch stets dafür, dass er auf Wolken läuft. Hier werden nicht die Kinder auf die Welt vorbereitet, sondern die Welt auf ihre Kinder. Das Internet lacht sich bereits länger über die Hipster-Eltern schlapp, die ihren Söhnen die Klobrillen warmfönen und ihre Töchter vom Kreissaal an vegan ernähren. Spoiler: Das ist für Kleinkinder kein gesundes Verhalten, wie auch "Andere Eltern" unter Beweis stellt.
Es ist aber nicht der Zeigefinger, den die Eigenproduktion von TNT Comedy, die nun im ZDF ihre Free-TV-Premiere feiert, mahnend erhebt. Die auf Senderseite von Anke Greifeneder verantwortete Realsatire geht deutlich smarter vor: Im Mockumentary-Stil werden die archetypischsten Heliktoper-Eltern und ihre Smoothie-Yoga-Impffrei-Welt ins Bild gedrängt, damit sie sich selbst demontieren können. Es ist diese ständige Parallele mit Personen die man als Zuschauer bzw. Zuschauerin selbst kennt, die den Witz der Serie kreiert. So schafft es Heineking Jr. mit seinem grandios harmonierenden Cast und der kongenialen Idee, Lavinia Wilson, Sebastian Schwarz und Co. zum Großteil improvisieren zu lassen, ein famoses Comedy-Gold "made in germany" zu kreieren.
Die Ausgangslage der Geschichte von "Andere Eltern" beginnt mit der realen Not an Kita-Plätzen. Nina (Lavinia Wilson, "Deutschland 86"), Zweifach-Mama und wieder im siebten Monat schwanger, entscheidet sich deswegen für die Gründung einer eigenen Kindertagesstätte. Dafür holt sie sich befreundete Pärchen ins Boot, die ebenfalls den Kölner Stadtteil Nippes ihr zu Hause nennen. Ninas Mutter Ines (Johanna Gastdorf, "Die Welle") folgt ihrer Berufung als professionelle Dokumentarfilmerin und will das Vorhaben dokumentarisch begleiten. Sie begleitet den irrwitzigen Prozess, bei dem sie voller Erstaunen feststellen muss, welche Erziehungsmaßnahmen heute en vogue sind.
"Deutsch" und "Comedy" sind zwei Wörter, die sich nicht oft in einem positiven Satz vereinen lassen. Satire, ja daran versuchen sich viele. Comedy abseits der Vielzahl von Personalityshows bekannter Comedians und Sketchcomedies, die mit Überhöhung und Punchlines arbeiteten, waren lange rar, was im Endeffekt dafür gesorgt hat, dass das Ausland lediglich verhöhnend lächeln kann, wenn es um 'deutsche Comedy' geht. Dabei hatten wir doch einst mal Loriot, verdammt! Zuletzt aber nahmen die Experimente wieder zu und kleine Perlen entstanden, denkt man an "Hindafing", "Jerks" oder "Arthurs Gesetz", ebenfalls eine TNT Comedy-Produktion. Und natürlich "Tatortreiniger" als Geburtshelfer einer neuen Generation von deutschen Comedyserien.
"Andere Eltern" ist ein zeitgeistiges Sittengemälde von Großstadteltern, das sich durch die Improvisation viel unmittelbarer aus dem selbst Erlebten seiner Schauspielerinnen und Schauspieler speist als es ein Drehbuch könnte, auch wenn natürlich der Rahmen von Heinking jr. und drei weiteren Autoren abgesteckt wurde. Wie Lavinia Wilson bereits im DWDL.de-Interview so schön sagte: Echte Helikopter-Eltern würden sich niemals unironisch als solche bezeichnen. So werden diese auch kaum lachen können über "andere Eltern". Für den glücklichen Rest, der die nötige Selbstironie besitzt, ist die Serie ein Ausflug in die erfrischende Comedy-Zukunft Deutschlands. Eine Zukunft, in der auch mal das Ausland sagen könnte: Deutschland, you're so funny!
"Andere Eltern", dienstags um 23:15 Uhr, ZDFneo
Dieser Text ist schon einmal in ähnlicher Form anlässlich der Erstausstrahlung bei TNT Comedy erschienen.