Tief und fest schlummert Sabrina in ihrem Bett, ehe sie plötzlich zu schweben beginnt. Sie selbst bekommt davon nichts mit, jedoch ihre Tanten Zelda und Hilda, die im Türrahmen stehen. "Genau nach Zeitplan!", sagt eine von ihnen. Sabrina wurde in dieser Nacht 16 und laut den Gesetzen ihrer Art, nun eine richtige Hexe. "Aber warte mal ab, bis sie herausfindet, dass man auch mit 600 noch Pickel bekommt", scherzt Hilda und eröffnet damit eine Sitcom, die es in sieben Staffeln auf 163 Episoden schaffte. Eine immens lange Laufzeit, die ausreichte, um ein bestimmtes Bild von Sabrina Spellman zu prägen. Sie war das ulkige Mädchen mit der sprechenden Katze, die keinen flachen Hexengag liegen ließ.
"Bloß nicht weglaufen, bleib dran!", sagte Darstellerin Melissa Joan Hart dem Zuschauer einmal in ihrem Intro, das immer wieder variierte, die dritte Wand überwindend. Durch Momente wie diese fühlt sich "Sabrina – total verhext" rückblickend vielleicht wie ein peinlicher, aber auch nostalgischer Fleck in der eigenen Kindheit an. Wer die Serie heute zum ersten Mal sehen würde, hätte für Sabrina Spellman wohl nicht viel übrig. Doch die Sabrina, die Netflix nun neu aufleben lässt, pflegt beinahe keinerlei Gemeinsamkeiten mit ihrer Vorgängerin.
Der Sitcom-Witz muss einer düsteren Atmosphäre weichen, die die Kenner der gleichnamigen Vorlage für "The Chilling Adventures of Sabrina" bereits kennen. In den Archie Comics, die 2014 erschienen, setzt die Geschichte wenige Tage vor Sabrinas 16. Geburtstag ein. Sie weiß bereits, dass ihr Vater ein Hexer war und dass sie sich an ihrem Ehrentag in das "Buch der Bestie" eintragen soll. Symbolisch gesehen ist das ein Blutvertrag mit dem Teufel, der sie für immer an ihn binden soll. Dafür, dass sie ihm ihr Leben widmet, bekommt sie magische Kräfte verliehen. Da ihre Mutter jedoch ein normale Frau war und sie somit auch halb Mensch ist, ringt sie mit sich selbst und fragt sich, ob sie nicht lieber in ihrer normalen Welt bleiben möchte, wo sie immerhin Freunde hat.
Geballte Frauenpower
Luft für einen Gag bleibt zwischen all dem künstlichen Nebel, den gruseligen Wäldern und den verstörenden Zaubereien kaum. Selbst der Teufel lässt sich in Form einer alptraumhaften Ziege blicken und macht damit deutlich, dass "The Chilling Adventures of Sabrina" keine süße Hexengeschichte liefern möchte, sondern wahren Halloween-Stoff. Das Faszinierende daran ist, dass sich die von Melissa Joan Hart und nun von Kiernan Shipka ("Mad Men") verkörperte Sabrina in ihrem Geiste nicht groß unterscheiden. Beide sind sympathische Frohnaturen, die intelligent handeln und vernünftig mit ihren Mitmenschen umgehen. Tatsächlich treten in "Sabrina" mehrfach düstere Momente auf, in denen man das kleine, zerbrechliche Mädchen bei aller Liebe nicht sehen möchte.
Doch an dieser Stelle beweist Showrunner Roberto Aguirre-Sacasa ("Glee") ein Händchen für modernes Storytelling. Frauen, so süß und fragil sie auch wirken mögen, können es genauso drauf haben, wie jeder Mann. Neben dem Erzählstrang der Sabrina, die mit ihrem Hexenleben zurechtkommen muss, gibt es nämlich noch einen Zweiten: Mit ihren Schulfreundinnen gründet sie die "Womens Intersectional Creative Cultural Association", kurz WICCA. In dieser Vereinigung können sich junge Frauen austauschen, ohne Scham alles erzählen, was ihnen auf dem Herzen liegt und zusammen für mehr Gleichberechtigung einstehen. Auch Mobbing wird wieder einmal ein großes Thema spielen, jedoch mit einer frischen Erneuerung. Während Netflix mit "Tote Mädchen lügen nicht" noch zeigte, wie Mobbing im schlimmsten Fall ausgehen kann, zeigt "Chilling Adventures of Sabrina", wie diesen Untaten bereits im Vorfeld bekämpft werden können.
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Dass in dieser Serie größtenteils Frauen über diese Probleme sprechen und gegen sie handeln sorgt dafür, dass sich die Zuschauerinnen ihrer eigenen Stärken bewusst werden können. In einem Interview mit "Hello Giggles" erzählte Hauptdarstellerin Shipka jüngst, dass sie am Set von "Mad Men" für diese Aufgabe vorbereitet wurde: "Ich hatte dort immer starke Frauenfiguren um mich herum: Frauen, die arbeiteten und Frauen mit einer Vielzahl an Facetten." Aber auch Männer bekommen damit Perspektiven aufgezeigt, die einen gewissen Lehrauftrag erfüllen.
"Riverdale" liegt um die Ecke
Die Kunst besteht immer darin, solche Themen respektvoll zu beleuchten, aber auch den Unterhaltungswert nicht aus den Augen zu verlieren. Da die Geschichte rund um Sabrina Spellman im gleichen Comic-Universum wie "Riverdale" stattfindet – tatsächlich liegt Sabrinas Heimatstadt Greendale genau nebenan – gibt es natürlich eine spürbare Portion Teeniedrama. Aguirre-Sacasa, der als Kreativchef von Archie Comics ebenfalls "Riverdale" entwickelte, lässt gewisse Einflüsse spürbar auf "Sabrina" überschwappen. Ein zukünftiges Crossover ist also mehr als denkbar, was vor allem daran spürbar ist, dass sich "Riverdale" in der dritten Staffel immer mystischer entwickelt.
Vor allem geht es aber um die Ergründung der Hexenwelt, in die Sabrina größtenteils ohne ihren Willen gezogen wird. Denn so schön es auch klingen mag, als Hexe durch die Lüfte fliegen zu können: Am Ende des Tages ist man immer noch eine Angestellte des Teufels. Und der zeigt sich nicht von seiner nettesten Seite, sucht Sabrina in "Nightmare on Elm Street"-ähnlichen Visionen heim, die auch bei eingefleischten Satanisten dafür sorgen könnten, dass die Religionswahl nochmal überdacht wird.
"The Chilling Adventures of Sabrina" kann im Grunde nicht viel angekreidet werden - nur Eines: Salem, der sprechende Kater aus der 90er-Sitcom, spricht nicht. Wer Sabrina kennt, kennt auch ihn und seine frechen Sprüche. Der Stimmung zuliebe wurde aber auf seine schnippische Art verzichtet, damit sich die Serie mit all seinen schaurigen Details etablieren kann. Zu wünschen wäre es "Sabrina", beweist Netflix hier doch einmal mehr, dass sie Stoff auf einem Niveau produzieren können, welcher vor wenigen Jahren noch dem Kino vorbehalten war. Schön, dass sich die zweite Staffel längst im Dreh befindet.
Die erste Staffel von "The Chilling Adventures of Sabrina" stehen bei Netflix ab heute zum Streaming zur Verfügung.