Mit großen seriellen Produktionen wie "Babylon Berlin" und "Das Boot" will sich Sky unabhängiger vom Sport machen, aber auch ins Nonfiktionale hat der Bezahlsender zuletzt kräftig investiert. Eine dritte Staffel von "Masterchef" ist gerade in der Produktion, im vergangenen Jahr brachte man erstmals "Buschis Sechserkette" auf Sendung und auch den "Quatsch Comedy Club" hat man erfolgreich wiederbelebt. Nun folgt mit "X Factor" die bisher größte Show-Eigenproduktion. Die Marke ist international erfolgreich, vor allem in Großbritannien - und auch in Deutschland war "X Factor" zwischen 2010 und 2012 bereits bei Vox zu sehen.
Nun holt Sky die Marke zurück und begibt sich auf die Suche nach den besten Musikern des Landes. Um es kurz zu machen: UFA Show & Factual hat mit "X Factor" eine starke Show auf die Beine gestellt, die so auch auf allen großen deutschen Free-TV-Sendern laufen könnte. Und das ist vielleicht auch schon das größte Problem der Casting-Neuauflage. So richtig leuchtet es nicht ein, weshalb sich Sky jetzt, 18 Jahre nach der ersten "Popstars"-Staffel und 16 Jahre nach dem "DSDS"-Start, ins Feld der Castingshows wagt.
Dass sich Vox im Jahr 2012 nach drei Staffeln von "X Factor" verabschiedet hat, geschah damals nicht ohne Grund. Eigentlich wollte man mit der Show dem Fickfrosch und anderen "DSDS"-Auswüchsen eine ernste Casting-Alternative gegenüberstellen. Das gelang bei Publikum und Kritikern so lange bis "The Voice" bei ProSieben und Sat.1 startete und man in Köln nüchtern feststellen musste, dass die Kollegen schlicht die bessere Show haben. Da "X Factor" auch heute noch in weiten Teilen der Original-Version entspricht, besteht dieses Problem nun für Sky.
Die Show geht den Mittelweg, ist ernsthafter als "DSDS" aber hat heute wie 2012 kein zündendes Mittel gegen die Blind Auditions von "The Voice", die das Genre aufgemischt haben. Bei "X Factor" gibt es nun wieder die klassische Castingshow-Aufstellung: Ein Künstler oder eine Band performen auf einer Bühne vor der Jury - und die bewertet. Der Unterhaltungswert schwankt naturgemäß von Künstler zu Künstler und der Story, die Sky und UFA Show & Factual um die Musiker herum erzählen. Wobei es oft die Bands sind, die der Show frische Ansätze geben - das war damals schon bei Vox so. In der ersten Ausgabe der Sky-Version sticht vor allem "Ees und die Yes-Ja! Band" aus dem Teilnehmerfeld hervor. In Namibia kennt man die Gruppe bereits, jetzt gibt es die Klänge der Kwaito-Musik endlich auch mal in Deutschland zu hören. Hier zeigt "X Factor" eindrucksvoll sein Potenzial.
Die Jury, bestehend aus Thomas Anders, Sido, Lions Head und Jennifer Weist, ist in der Auftaktshow noch sehr handzahm. Konflikte gibt es keine. "Viermal ja - du bist weiter!" - 1.000 Mal gehört, 1.000 Mal ist nichts passiert. Ähnlich wie bei "The Voice" kommt den Juroren im weiteren Verlauf der Show aber noch eine gewichtige Rolle zu. Nach der Castingphase werden die Kandidaten in verschiedene Gruppen (Mädchen bis 24, Jungs bis 24, Soloacts ab 25 und Bands) eingeteilt, die von jeweils einem Juror betreut werden. Hier könnte also noch Konkurrenzkampf entstehen, der in der ersten Ausgabe so noch nicht zu erkennen war. Das Casting-Team von UFA Show & Factual hat in Sachen Kandidaten jedenfalls ganze Arbeit geleistet. Die Kandidaten der ersten Ausgabe kamen unter anderem aus Brasilien, Namibia und Italien - internationaler geht es kaum.
Die Castings finden in einem großen Studio vor Publikum statt.
Moderiert wird die Show von Charlotte Würdig und dem hierzulande weitgehend unbekannten Ben Istenes. Beide sind in der aufgezeichneten ersten Ausgabe, wie in dem Genre der Castingshows üblich, eher im Hintergrund, aber dann so aufgedreht, wie man heutzutage wohl aufgedreht sein muss, wenn man eine Castingshow moderiert. "Und? Und? Und?", fragt Würdig eine Kandidatin, die gerade von der Bühne kommt. Die gibt ihr schließlich die einzig richtige Antwort: "Ja, hast du doch mitbekommen." Ein eher unfreiwillig lustiger Moment. Gut gelöst ist der Umstand, dass die Moderatorin mit Juror Sido liiert ist. "Mein Mann und ich sind Ausnahmsweise einer Meinung", ist ein Satz der mitten in der ersten Sendung einmal fällt.
Ganz klar: Sky hat kräftig investiert. Das sieht man auch am Studio, in dem die Castings stattfinden und in das viele Zuschauer passen. Die Künstler treten in der Mitte des Studios auf, rundherum sitzt das Publikum und vor der Bühne befindet sich das Jury-Pult. Diese Anordnung mutet ein wenig wie eine Stierkampf-Arena an und sorgt für Hexenkessel-Stimmung. Es ist zudem einer der großen Unterschiede zur früheren Version bei Vox. Sky hat sich dankenswerterweise auch das Spiel mit dem "X" gespart. In der Werbekampagne überkreuzen Jury und Moderatoren zwar brav ihre Arme, ansonsten werden die Kandidaten aber einfach weitergelassen, wenn sie gut sind. Bei Vox mussten die Juroren damals zeitweise ein X auf ein Pult vor ihnen stellen, wenn der oder die Künstler/in weiterkommen sollte. Auf diese unnötige Spielerei verzichtet Sky.
Schon in den ersten Minuten der Auftaktfolge haut Sky kräftig auf den Putz. "Die Musikshow des Jahres…" dröhnt es aus dem Off. Klein will man beim Bundesliga- und "Babylon Berlin"-Sender nicht mehr. Aber ob "X Factor" wirklich das nächste große Ding für den Sender wird, muss sich noch zeigen. Bei der ersten Sendung ist das "gewisse Etwas" noch nicht übergesprungen - auch, weil mit "The Voice" die Latte im Casting-Dschungel inzwischen einfach sehr hoch liegt. "X Factor" ist eine gut produzierte Show, aber das wird wohl nicht ausreichen, um Talk of Town zu werden - insbesondere hinter der Paywall dürfte das schwierig werden.
Sky zeigt 15 Ausgaben von "X Factor" freitags und montags zur besten Sendezeit.