Mit den Sommerinterviews im Fernsehen verhält es sich zumeist in etwa so wie mit alten Familientraditionen. Keiner weiß, warum es sie gibt, aber zelebriert werden sie trotzdem. In diesen Wochen haben die Gespräche mit unseren Spitzenpolitikern wieder Hochkonjunktur – und so sitzen die Chefs der großen Parteien derzeit entweder wahlweise in roten Sesseln, die die ARD in der Hauptstadt vor die Tür gestellt hat, oder – wie beim ZDF – irgendwo sonst im Freien, wo es dem Gesprächspartner gut gefällt.
Meist kommt bei den Sommerinterviews nicht sonderlich viel heraus, mitunter kann man sich sogar mächtig ärgern. So wie vor zwei Wochen, als ARD-Journalist Thomas Baumann den Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer ganze 15 Minuten zur Asylpolitik befragte, um dann beim Blick auf die Uhr zwei Minuten vor Schluss festzustellen, dass Seehofer ja auch noch Minister für Bauen und Wohnen ist und man ja auch hierzu noch ein paar Fragen stellen könnte.
Umso bemerkenswerter das Gespräch von ZDF-Mann Thomas Walde, das am Sonntag zu sehen war. Walde war nach Postdam gereist, um AfD-Chef Alexander Gauland vor schöner Kulisse in Potsdam zu befragen. Genießen konnte Gauland die Aussicht allerdings nicht, weil Walde eben darauf verzichtete, ihn, den Anführer der größten Oppositionspartei, zu seinem Lieblingsthema zu befragen. Und so musste der 77-Jährige eben mal nicht über Flüchtlinge sprechen, sondern über Digitalisierung, Renten und die Wohnungsnot im Land.
Das war wunderbar entlarvend, weil Waldes Befragung zeigte, wie alt die AfD aussieht, wenn es nicht um Zuwanderung und Integration geht, sondern um viele weitere zentrale Themen. "Da kann ich Ihnen im Moment keine Antwort drauf geben", sagte Gauland gleich mehrfach und konnte dem Moderator im Laufe des Gesprächs, so schien es, fast gar nicht mehr in die Augen sehen. Einen Rentenplan hat seine Partei ebenfalls noch nicht entwickelt und vom Klimawandel hält er ebenfalls nicht viel. "Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können", so der Parteichef im ZDF.
Angesprochen darauf, dass die fortschreitende Digitalisierung die Arbeitswelt spürbar verändert und auch die kleinen Leute, für die sich die AfD angeblich einsetzt, betrifft, zeigte sich Gauland sogar völlig planlos. Was die Digitalisierung sei, habe ihm noch niemand erklären können, räumte er ein, und von einer Strategie seiner Partei zur Digitalisierung könne nicht die Rede sein – "und ich wüsste auch im Moment keine". Über Alternativen habe man noch nicht genügend nachgedacht.
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Fast 20 Minuten ging das so, kurz unterbrochen von einer Hand voll Störern, die Gauland aus der Ferne ausbuhten, ehe Thomas Walde zum Ende kam. "Herr Gauland, das ist die Zeit, die wir hatten. Vielen Dank für das Gespräch", sagte der Journalist zum Schluss des vermutlich bemerkenswertesten und zugleich entlarvendsten Sommerinterviews der letzten Jahre. Auf Twitter schrieb die Redaktion von "Berlin direkt" vor der Ausstrahlung, Walde habe Gauland "so viel über Klima, Rente und Digitalisierung gefragt, dass für das Thema Flüchtlinge gar keine Zeit war". Gut so, möchte man anfügen, denn dafür hat die AfD in der Vergangenheit ohnehin schon genug Sendezeit bekommen.