Wann immer die deutsche Fernsehbranche in den vergangenen Jahren von stetiger werdenden Impulsen der On-Demand-Nutzung geweckt wurde, drückte sie die Snooze-Taste. Irgendwann, nur nicht jetzt, schien das Motto. Wir dösen noch ein bisschen - und das immer und immer wieder. In den vergangenen Wochen muss ein finaler Weckruf erfolgt sein - offenbar auf einer geheimen Frequenz. Es ist nicht ganz nachvollziehbar warum auf einmal alle gleichzeitig aufwachen und sich gegenseitig regelrecht überschlagen mit Tatendrang im On-Demand-Bereich - und das völlig egal, ob öffentlich-rechtlich oder kommerziell. Wir erleben eine grundsätzlich erfreuliche Aufbruchstimmung in der Branche, die weiterhin zwar stolz ist auf ein starkes lineares Geschäft, aber erstmals die sich nachhaltig verlagernde Mediennutzung wirklich adressiert.
Neben den kommerziellen Initiativen aus München und Köln ist auch bei den Öffentlich-Rechtlichen Bewegung im Thema. ZDF-Intendant Thomas Bellut kündigte kürzlich an, die eigene Mediathek verbessern zu wollen und der ARD-Vorsitzende und BR-Intendant Ulrich Wilhelm träumt gleich von einer zentralen Super-Mediathek der Öffentlich-Rechtlichen, gemeinsam mit den Verlagen. Die Idee klingt mit Bezug auf die Zusammenarbeit von ARD und ZDF verlockend. Wäre nicht eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Mediathek eine für den Gebührenzahler noch viel verständlichere, weil zentralere Anlaufstelle für alle von ihm bzw. ihr schon bezahlten Inhalte?
In der „Süddeutschen Zeitung“ gab Professor Leonhard Dobusch am Montag erst wieder einen Impuls in diese Richtung. Der Wissenschaftler ist Mitglied im ZDF-Fernsehrat und hat gemeinsam mit dem Politikwissenschaftlicher Christoph Bieber, der wiederum im WDR-Rundfunkrat sitzt, die Idee einer öffentlich-rechtlichen Plattform durchgedacht. Die soll noch viel mehr sein als nur eine Mediathek, sondern auch offen für andere Kulturbetriebe, Universitäten und Nutzer. Eine neuzuschaffene Internet-Intendanz solle dies lenken und führen. Der gänzlich offene Gedanke geht manchem zu weit, wie einige Reaktionen auf den Impuls zeigen. Aber hängen bleibt immer wieder die Frage: Könnten ARD und ZDF im Netz nicht ihre Kräfte bündeln?
Diese Frage hört man sogar in Gesprächen mit Vertretern der öffentlich-rechtlichen Sender. Manchmal verbunden mit der spürbaren Euphorie, damit doch endlich einmal pro-aktiven einen Schritt gehen zu können, der richtig sinnvoll erscheint und Synergien ermöglicht. Ja, es klingt alles so vernünftig, doch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland wäre damit die Büchse der Pandora geöffnet. Es ist fraglich ob so mancher Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sich der Tragweite dieser Idee wirklich bewusst ist. Es würde, wenn man es weiterdenkt, das eigene System in seinen Grundfesten erschüttern.
Wer davon träumt, dass ARD und ZDF im Netz eine gemeinsame Marke schaffen, die alle von Beitragszahlern finanzierte, öffentlich-rechtliche Inhalte bündelt, der muss über die Konvergenz kommend eine viel grundlegendere Frage stellen: Wozu vereint man im Netz die Kräfte aber behält im linearen Fernsehen dann noch die getrennten Strukturen der beiden öffentlich-rechtlichen Sendersysteme bei? Wer darüber nachdenkt, im Netz eine neue Marke für alles Öffentlich-Rechtliche zu schaffen, der muss die Existenzberechtigung der bestehenden linearen Angebote mit mehr als "Weil es nun mal so gewachsen ist" verargumentieren können.
Eine durchaus progressive Idee im Netz wird, je länger sie im Raum steht und auch noch vom ARD-Vorsitzenden herbeigesehnt wird, in letzter Konsequenz zur elementaren Frage der Berechtigung zweier getrennter Systeme von ARD und ZDF. Das passiert nicht zum ersten Mal. Immer wieder gab es mehr oder weniger radikale Ideen für eine Veränderung der Öffentlich-Rechtlichen, gar einen Zusammenlegung oder Abschaffung einer der beiden Sender. Selten aber wurde es aus den Anstalten selbst befeuert, wenn auch unbeabsichtigt.
Einmal mehr zeigt sich, dass das deutsche Fernsehen - egal ob öffentlich-rechtlich oder kommerziell - ganz dringend die Konvergenz-Frage lösen muss. Das Geschwafel all der Branchengipfel der vergangenen Jahre nützt nichts: Wirklich konvergent sind die wenigstens Medienmarken. Wohin man schaut, sollen jetzt plötzlich seit Jahrzehnten etablierte Sendermarken im Netz durch neue unbekannte Dachmarken ersetzt werden. In einer linearen Fernsehwelt mit begrenzten Frequenzen wurden auf beiden Seiten des dualen Rundfunks über die Jahre so viele Sendermarken etabliert, die sich künftig im Netz jedoch einem viel größeren Wettbewerb ausgesetzt sehen. Lassen sich wirklich alle Marken in eine On-Demand-Welt übertragen? Braucht man alle? Braucht es neue Dachmarken? Und wie schlüssig sind unterschiedliche Markenführung im linearen und non-linearen?
Die Snooze-Taste funktioniert nicht mehr.