Wenn eine Sendung 40 Jahre besteht, dann darf man sie getrost zum Inventar zählen. 40 Jahre sind im Fernsehgeschäft zwei Ewigkeiten. Mindestens. Andere sind gekommen und gegangen, die Tagesthemen sind nach ihrem Start am 2. Januar 1978 geblieben, sind nach wie vor Institution, wenn auch nicht mehr die Institution schlechthin, die sie zu Zeiten von Hajo Friedrichs und selbst Uli Wickert mal war.

Immerhin gab es im vergangenen Frühjahr noch eine Goldene Kamera, über die sich die Macher der Tagesthemen aber nur bedingt gefreut haben dürften, weil in einem ziemlich unentschiedenen Ehrungsaufwasch auch das Heute-Journal und RTL aktuell mit Trophäen bedacht wurden. Spätestens da wurde deutlich, dass sich die Tagesthemen im ewigen Wettstreit befinden um die stetig schwindende Restaufmerksamkeit der Fernsehzuschauer. Sie müssen dabei mit dem Handicap arbeiten, dass sie immer die letzten am Tage sind, die auf Sendung gehen. Angesichts der demographischen Werte des öffentlich-rechtlichen Stammpublikums ist das immer als Manko zu werten. Wer informiert sich als älterer und arbeitender Mensch schon gerne um 22.15 Uhr, wenn er es schon eine halbe Stunde früher tun kann.

Also ist es an den Tagesthemen, den Zeitnachteil mit etwas Unverwechselbarkeit auszugleichen. Dass in dieser Hinsicht jüngst nicht alles gelungen ist, zeigt sich an der Tatsache, dass das eine Ereignis, an das sich beim Thema Tagesthemen spontan alle erinnern, jener Moment ist, als Caren Miosga auf dem Moderationstisch stand, um des verstorbenen Schauspielers Robin Williams zu gedenken. Da waren die Tagesthemen auf einmal wieder in aller Munde. Aber das war 2014.

Seitdem haben die vom Heute-Journal viele Interviews geführt, die für Diskussionsstoff sorgten. Vor allem die bissige Art von Marietta Slomka lässt ein Interview mit der ZDF-Sendung bei Politikern gelegentlich auf einer Stufe mit einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt rangieren. Bei den Tagesthemen führt man auch gute Interviews, ordentliche Interviews, aber einen echten Kracher hatten sie schon lange nicht.

Da hilft es, wenn etwas bleibt, das einen unverkennbar macht. „Der Kommentar“ ist es, der die Tagesthemen heraushebt, diese regelmäßige oft pastorale Ansprache, die vor allem selbstverliebte Sesselpupser in den angeschlossenen Funkhäusern dazu nutzen, visuelle Präsenz zu zeigen und sich um die Nachfolge des großen Sigmund Gottlieb (BR) zu bewerben, der vor seiner Pensionierung immer wieder das Kunststück fertigbrachte, mit großen Worten die eigene Bedeutung verdauend nichts zu sagen, auf jeden Fall Bayern zu bevorzugen und dabei doch immer wieder in den Teleprompter zu schauen, als sei dieser eine Schlange, die gerade das Kaninchen Sigmund hypnotisiere.

Beim Kommentar in den Tagesthemen verfestigte sich so lange der Ruf, dass der Inhalt zweitrangig sei, dass es vor allem darauf ankomme, auf Sendung zu gehen und der eigenen Anstalt einen Platz im ARD-Gefüge zu sichern. Ausnahmen wie der Anja-Reschke-Kommentar zu Hetze im Netz oder die gelegentlichen Wacht-auf-Rufe von „Monitor“-Chef Georg Restle bestätigen da eher die traurige Regel anstatt sie zu entkräften. Es stricken halt immer noch welche an der alten Mär. Thomas Baumann (MDR) und Rainald Becker (SWR) etwa rangieren in der Kategorie „Germanys‘ Next Sigmund Gottlieb“ in verdächtiger Recall-Nähe. Niemand sonst kann so ausdruckslos und leer in die Kamera schauen wie diese beiden Schlipsträger. Nie wurde nichts in Wort und Bild besser dargestellt.


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Apropos Schlipsträger. In einer nicht repräsentativen, aber nichtsdestotrotz möglicherweise doch aussagekräftigen Auswertung von Tagesthemen-Kommentaren im gesamten September und im Dezember bis Heiligabend, ergab sich, dass die Schlipsträger-Dichte im Monatsvergleich drastisch zurückgegangen ist. Waren im September noch zwölf Kommentare männliche Schlipsgeburten, fiel die Zahl im Dezember (bei zugegeben kürzerer Betrachtungsphase) drastisch auf zwei. Das lag indes weniger an den schlipsfreien Kommentatoren (ausschließlich NDR und WDR), deren Zahl in beiden Monaten bei drei lag, vielmehr ist zu konstatieren, dass sich erfreulicher Weise die Zahl der kommentierenden Frauen verdoppelt hat. Im September, in dem ja bekanntlich Bundestagswahl war, durften nur vier Frauen vor die Kamera und sahen sich 15 Männern gegenüber, im kürzeren Dezemberzeitraum waren acht Frauen auf Sendung und sahen sich gerade mal fünf Herren gegenüber.

Das darf man auch mal loben und feststellen, dass man in der ARD die Zeichen der Zeit erkannt hat und die Tagesthemen einen starken Trend setzten. Allerdings darf die Hoffnung, dass die Platzhirsche weiterhin ihr Revier freiwillig räumen, als verfrüht betrachtet werden. Schaut man sich die ARD-Strukturen an, stellt man rasch fest, dass Frauen in den hohen Etagen immer noch stark unterrepräsentiert sind.

Aber vielleicht gilt der Dezember 2017 ja irgendwann mal als der Aufbruchsmonat der Frauen in der ARD. Und wenn sich dann alles so wunderbar weiterentwickelt, dann kommt eine dieser dann die Mehrheit stellenden Kommentatorinnen gemeinsam mit ihren Kolleginnen auf die Idee, dass man nach 40 Jahren Tagesthemen einfach mal den Kommentar abschaffen könnte. Weil er aus einer Zeit stammt, als im Fernsehen noch die Dinosaurier, sprich: die Schlipsträger, das Sagen hatten.

Den Baumanns und Becker wird dann was fehlen, sicherlich. Aber die Restwelt käme ganz prima aus ohne Bescheidwisser, die mit dem Teleprompter nicht umgehen können und vor der Kamera belegen, dass es gute Gründe gibt, sie die meiste Zeit ihres Wirkens im Büro zu belassen. Für die Tagesthemen käme das einer großen Befreiung gleich. Es gäbe die Chance, ohne den Ballast am Bein mal ganz anders aufzutrumpfen, sich neue Schwerpunkte zu suchen und wieder zur ersten Adresse zu werden. 

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