Für die ARD war Mehmet Scholl lange Zeit ein Glücksfall. Meinungsstark und nie um einen Spruch verlegen, eckte der ehemalige Fußball-Profi am Spielfeldrand gerne an und bescherte dem Sender damit regelmäßig Aufmerksamkeit – ein echter Typ eben, wie es ihn im Fernsehen mittlerweile selten gibt. Dass er auch mal danebenlag, wird man bei der ARD zur Kenntnis genommen haben; übel nahm man ihm die Aussagen aber offenkundig nicht.
"Der Herr Siegenthaler möge bitte seinen Job machen, morgens liegen bleiben, die anderen zum Training gehen lassen und nicht mit irgendwelchen Ideen kommen", kritisierte Scholl vor einem Jahr den DFB-Taktikexperten Urs Siegenthaler und machte ihn "und Konsorten" dafür verantwortlich, dass Bundestrainer Joachim Löw beim erst durch ein turbulentes Elfmeterschießen gewonnenen EM-Spiel gegen Italien die Taktik gewechselt habe. Ein paar Tage später gab Scholl kleinlaut zu, sich zumindest den "Konsorten-Spruch" hätte sparen können.
Unvergessen auch, als Scholl vier Jahre zuvor den damaligen Nationalspieler Mario Gomez dafür kritisierte, sich zu wenig bewegt zu haben – obwohl Gomez sogar der Siegtorschütze war. "Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wundliegt und mal gewendet werden muss", wetterte der ARD-Experte. Ein Spruch, der Gomez noch lange verfolgte. Mehr als drei Jahre zogen ins Land, bis sich Scholl auch hier zu einer Entschuldigung hinreißen ließ. "Ich habe einem Spieler damit richtig geschadet. Das tut mir leid", räumte Scholl damals im "Spiegel" ein.
Auch jetzt wäre es eigentlich mal wieder an der Zeit für eine Entschuldigung gewesen. Weil er während des Confed-Cups in Russland nicht über den russischen Doping-Skandal sprechen wollte, wie es die Redaktion plante, verließ Mehmet Scholl im Juni als beleidigte Leberwurst das Studio. Das war nicht kollegial und offenbarte ganz nebenbei ein zweifelhaftes Verständnis seiner Rolle. Vielleicht mag sich Scholl als eine Art Redaktionsleiter gesehen haben, als er das Weite suchte. De facto verpflichtete ihn die ARD zwar wegen seiner Meinung – aber eben zum Spiel und nicht zu redaktionellen Inhalten.
Dass er nach seiner Flucht beim Confed-Cup nicht umgehend gefeuert wurde, mag man bei der ARD rückblickend als Fehler erachten. Doch die Hoffnung, Scholl möge ähnlich wie bei bisherigen Ausrutschern, Einsicht zeigen, erfüllte sich nicht. Trotz öffentlicher Bekundung, zusammen weitermachen zu wollen, schwelte der Konflikt hinter den Kulissen so lange weiter, bis Mehmet Scholl seine Radioshow dazu nutzte, um noch einmal unmissverständlich verstehen zu geben, dass das geplante Doping-Thema für ihn "in dem Moment überhaupt keine Relevanz" gehabt habe.
Das konnte ARD-Sportchef Balkausky freilich nicht unkommentiert lassen und rüffelte seinen Experten via "Bild", den Inhalt und die redaktionelle Hoheit doch bitteschön zu akzeptieren. Mag sein, dass Scholl diese Prioritätensetzung als Majestätsbeleidigung erachtete, doch Scholl war letztlich über all die Jahre hinweg keineswegs die Majestät, sondern bloß eine Art Hofnarr – gut für Sprüche und Schlagzeilen. Die ARD wolle ihn so wie er ist, sagte er einmal in einem Interview. Und: "Mein Vorteil ist, dass mich im Fernsehen kein Ehrgeiz treibt. Ich will da nichts werden, ich muss mich nicht anpassen." Wahrscheinlich hatte Scholl da schon verlernt, dass nicht nur Fußball ein Teamsport ist, sondern auch Fernsehen.