Stell dir vor du sollst das Medium vermarkten, das im besten Fall Emotionen wecken kann wie kein anderes. Und dann heißt die gemeinsame Veranstaltung aller Vermarkter, bei der die potentiellen Werbekunden von der Macht des Mediums überzeugt werden sollen „TV-Wirkungstag“. Es ist nur sehr schwer vorstellbar, wie man das Fernsehen noch weniger sexy verkaufen kann - trotzdem war es viele Jahre lang Realität.
Im Jahr 2004 zogen sich die großen Vermarkter abgeschreckt durch die enormen Kosten von der zuletzt zur Materialschlacht ausgearteten Telemesse zurück und kochten fortan ihr eigenes Süppchen. Das geschah, insbesondere anfangs, teils noch in größeren Veranstaltungen wie „The Big Picture“ von ProSiebenSat.1, den "Fourscreen"-Events von IP oder zuletzt noch bei den großartig inszenierten „El Cartel Media Nights“, teils aber auch einfach in unspektakulären Agentur-Touren. Vom kurzlebigen von kleineren Vermarktern ins Leben gerufenen "United Screening Day" abgesehen blieb als gemeinsame Veranstaltung nur ebenjener „TV-Wirkungstag“ übrig, bei dem über alles geredet wurde, aber nicht über das, um das es doch irgendwie gehen sollte: Das Programm.
Es mussten erst neue Konkurrenten auf den Plan treten – etwa die Konkurrenz durch Google oder Facebook, die Werbegelder zu sich abzweigen. Oder Amazon und Netflix, die plötzlich für jede einzelne Serie mehr Aufmerksamkeit in den Medien bekommen als manch Sender das ganze Jahr über. Dieser Druck von außen sorgte dafür, dass sich die Vermarkter doch darauf besannen: Es muss dringend mal wieder demonstriert werden, dass das deutsche Fernsehen nicht tot ist, dass gerade mehr in Eigenproduktionen investiert wird als viele Jahre zuvor und dass es trotz rückläufiger Reichweiten bei großen Sendern noch immer kein anderes Medium gibt, das in so kurzer Zeit mit seinen Inhalten so große Massen bewegen kann – wenn es denn die richtigen sind.
Dazu muss man sich zusammentun und dazu muss man auf den Putz hauen, denn mit Powerpoint-Charts und Zahlenspielereien allein ist es eben nicht getan. Und genau das vermochten die neu gestalteten „Screenforce Days“ auch zu leisten. Neun einzelne Screenings verteilten sich da auf zwei Tage, und keines glich dem anderen. SevenOne setzte vor allem auf den Entertainment-Faktor und hatte mit Stefan Raabs Auftritt ohne Frage ohnehin für den überraschendsten Moment der Screenforce Days gesorgt. Es gab Auftritte von den Fantastischen Vier, Samu Haber, Mark Forster und Yvonne Catterfeld, am Klavier begleitet von ProSieben-Chef Daniel Rosemann persönlich. Neben Raab ließ man mit Joko und Klaas, Neuzugang Steffen Henssler, Luke Mockridge oder Frank Rosin die bekanntesten Gesichter der Sender aufmarschieren.
Die Mediengruppe RTL Deutschland wählte am Tag darauf eine gänzlich andere Strategie – eine Nummer leiser, dafür mit mehr strategischen Aussagen, etwa von IP-Deutschland-Chef Matthias Dang oder Anke Schäferkordt. Und auch dort sparte man nicht an Show-Auftritten, von den Profis aus „Let's dance“ über Felix Jähn bis hin The Boss Hoss und sympathische und humorvolle Einspieler mit den Senderchefs rundeten die Präsentation ab. Zudem wurde bei den Trailern die gigantische Video-Wand so gekonnt bespielt, wie es bei keinem anderen Screening zu sehen war.
Dazwischen nutzten zahlreiche kleinere Vermarkter und Sender die Chance, ein so großes Publikum zu erreichen, wie sie es alleine nur schwer oder gar nicht anlocken könnten. Die Palette reichte hier von eher nüchternen Screenings wie bei AS&S (Kai Pflaume: „Aus Compliance-Gründen müssen wir bei der ARD auf jede Form von Unterhaltung verzichten. Deshalb sind wir hier...“) über eine Bühne voller Curvy Models bei RTL II, dem Aufgebot der Sportstars Boris Becker und Matthias Sammer bei Discovery, Sport1 mit einer bemerkenswerten künstlerischen Einlage, der charmanten Alpen-Wanderung von Servus TV, einem zugeschalteten Konzert von Xavier Naidoo aus Mannheim bei Sky bis zu einem Live-Ausschnitt des Aladdin-Musical beim Disney-Channel.
Ja: So toll, wie man nach diesen mit allerlei Pyrotechnik und Glitter garnierten Screenings meinen müsste, ist das deutsche Fernsehen im Alltag dann meist doch nicht, inhaltlich gibt es an vielen Stellen vieles zu verbessern. Aber wer sich selbst nicht geil findet und das auch nach außen transportiert, der braucht sich auch nicht zu beschweren, wenn er von anderen auch nicht mehr so wahrgenommen wird, selbst wenn es längst nicht nur Krawallformate am Nachmittag, sondern auch viel sehenswertes Programm gibt. Doch die deutsche Fernsehbranche hält sich inzwischen ja schon selbst für so wenig feierwürdig, dass selbst der Deutsche Fernsehpreis nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit verliehen wird. Auch unter diesem Artikel wird man wohl schnell nachlesen können, dass das Image in den letzten Jahren schon ziemlich ramponiert wurde.
Insofern waren die „Screenforce Days“ ein Schritt in die richtige Richtung. 2018 soll es weiter gehen, hat zumindest Screenforce-Geschäftsführer Martin Krapf zum Abschluss auf der Bühne angekündigt. Bis dahin bekommt man ja vielleicht auch die diversen organisatorischen Mängel in den Griff – wie die Tatsache, dass sich vor dem Eingang riesige Schlangen bildeten, weil das Sicherheitskonzept wenig taugte, die fehlenden Arbeitsplätze oder das Rätsel, wieso an einem heißen Sommerabend trotz zahlreich vorhandener Freiflächen eine Party in einer stickigen Mall ohne Außenbereich durchgeführt wird. Doch abgesehen davon kann man nur hoffen, dass sich die Vermarkter auch 2018 tatsächlich erneut zusammenfinden, auch wenn zu hören ist, dass es hinter den Kulissen manche Unstimmigkeit gab, etwa weil ein Screening doch deutlich den vorgegebenen Zeitrahmen sprengte. Dem deutschen Fernsehen wäre eine Neuauflage in jedem Fall zu wünschen.