Natürlich gab es auch alberne Serien, die sozialistisch-verklärend erzählten. Die neunteilige Serie „Zur See“ oder das Spin-Off (Auch der Sozialismus kannte Spin-Offs) „Treffpunkt Flughafen“. Aber wer hinter die Propaganda blickt, so wie ich das tat, sieht etwas schönes. Die Welt meiner Eltern und 17 Millionen anderer Menschen. Menschen mit Softeis, Menschen die Kinder bekommen, Menschen die lieben und sich scheiden lassen. Menschen, die heute Teil der Bundesrepublik sind und ein ebenso großes Bedürfnis haben, ihre eigene Geschichte erzählt zu sehen und zu erleben. Stoffe gibt es genug. Mehr als nur Stasi, Überwachung und Verrat.
Einen wechselhaften, aber oft überraschenden Einblick in die Lebenswelt meiner Eltern und der anderen, gibt der alte „Polizeiruf“. Der Gegenentwurf zum westdeutschen „Tatort“. Manchmal erschreckend billiger Propaganda-Krimi, oft aber auch ein präzise Analyse der Ost-Gesellschaft. Heiko, der Punk - etwas, das ich für unmöglich in der DDR hielt. Weil ich es so gelernt habe. Punks, die gab es nicht. Aber im „Polizeiruf“ gab es sie. Heiko wird des Diebstahls verdächtigt, aber der Punk, er war es nicht. „Ihr verdächtigt mich doch nur, weil ich Punker bin“, sagt er. Ich bin über diese Ehrlichkeit nur beeindruckt, weil mein Wissen eine andere Wahrheit erzählt.
„Benno macht Geschichten“, ein zweiteiliger Film, der zu Ostern `82 ausgestrahlt wurde. Opa Oskar (Erwin Geschonnek) der Benno (Torsten Rennert) über die Sommerferien bei sich aufnimmt. Das Faszinierende daran: Opa und Benno lernen sich im Zug kennen. Und die Eltern, beide arbeitend, fragen: „Nehmen sie unser Kind für die Sommerferien auf?“ Der erste Sommer, alleine, Coming-of-Age, ohne sozialistischen Kitsch, dafür mit einem Fiesling, der die Frauen der Nachbarschaft verführt: Ralf Klotz. Gespielt von Henry Hübchen. Der Sommer in der DDR war eben nicht immer Durchbrennen am Plattensee, Dramen mit Agenten sondern auch, Zwetschgen essen und mit Plastesandalen an den Baggersee.
Ich will, kurz bevor ich zum letzten Beispiel komme, noch mal erwähnen: Nichts möchte ich relativieren, möchte die Mauertoten nicht in Frage stellen und auch nicht das Unrecht, dass den Bürgern der DDR widerfahren ist, wegschreiben. Ich sage auch nicht: Das soll nicht erzählt werden. Ich fordere nur mehr Ausgewogenheit. Ich wünsche mir, dass Drehbücher und Fernsehfilme ein realistischeres Bild dieses Land zeichnen. Das Menschen, die in diesem Land gelebt haben, nicht nur in gut und böse zu unterscheiden sind. Nicht in diejenigen, die den politischen Apparat unterstützt haben und die anderen, die darunter litten.
In der DDR wurde geträumt und gehasst, es wurde geflucht und bloßgestellt und am System gezweifelt. Offen. Aber es wurde auch gehofft, weil nicht wenige Menschen im Sozialismus eine Zukunft sahen. Auch die gab es. „Weissensee“ erzählt von diesem Dilemma äußerst gut. Eine der wenigen Serien, die ein verträumtes, aber überraschend exaktes Bild der DDR gezeichnet hat - dank Autorin Anette Hess.
Wie weit die Kritik am eigenen System und die Kritikfähigkeit der ausgehenden DDR funktionierte, zeigt der äußerst moderne Film „Insel der Schwäne“, nach einem Buch von Ulrich Plenzdorf. Pubertät zwischen Neubauten. Langeweile und Monotonie, der Wert des Westgeldes und die Nähe zu Westberlin. Kühl, drastisch in Sprache und Schnitt, erzählt der Film von einer Verzweiflung, die mich überrascht hat.
„Der muss ´89 rausgekommen sein“, dachte ich, als ich den vielleicht 14-Jährigen Sven Martinek, der den Rüpel „Windjacke“ spielt, fast in einen leeren Fahrstuhlschacht fallen sehe. Der Sozialismus ist gescheitert. Das macht der Film deutlich. 1983 kam er in die Kinos - trotz Zensur durch das Kulturministerium, ein immer noch enorm kritischer Film.
Wie kann es sein, dass Serien und Filme in der späten DDR kritischer mit dem eigenen Staat umgehen als die Serien der Gegenwart? Ich hoffe auf eine Antwort und eine Widerlegung der These meines Vaters, damit nicht ausschließlich die Wissenschaft die Geschichte dieses Landes klären kann. Sondern auch das Fernsehen.